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Tuesday, June 16, 2020

Installiert die Corona-Warn-App auch wenn keiner sagt, dass sie sicher ist --- oder ein Lehrstück in Öffentlichkeitskommunikation

Seit heute gibt es sie, die Corona-Warn-App, und ihr könnt (und solltet, siehe unten) sie herunterladen und installieren.

Das ist die kurze Nachricht. Sie hätte auch in einen Tweet gepasst. Warum noch ein Blogpost? Das liegt daran, dass viele Bedenken gegen diese App kursieren und andererseits niemand (insbesondere nicht der CCC) sagt "Alles Quatsch, die App ist sicher!".  Diese Situation würde ich gerne etwas erklären.

Das fängt mit einem Mantra an, dass seit Jahren hergebetet wird: "Sicherheit (im Sinn von Security) ist kein Zustand, sondern ein Prozess". Jede Software, deren Komplexität wesentlich über
10 PRINT "HALLO" 
20 GOTO 10
hinaus geht, wird Bugs haben. Ich zitiere gerne eine alte IBM Studie, die besagt, dass es praktisch nicht gelingt, weniger als 1 Bug pro etwa 10.000 Zeilen Code zu haben, weil man, wenn man den Code weiter versucht zu debuggen und testen, dabei mehr Fehler einbaut als man eliminiert. Selbst der NASA, die sich da sehr viel Mühe gibt, fallen regelmässig Raumsonden wegen Softwarefehlern hart auf Planetenoberflächen. Und das sicher nicht, weil die leichtfertig waren.

Daher kann es nur darum gehen, möglichst wenig Fehler zu produzieren (mit entsprechenden Tests, Audits, Software-Werkzeugen, die einem helfen etc). Aber niemand, der weiss, was er tut, wird garantieren können, dass man alles gefunden hat. Man kann nur dokumentieren, dass man sich Mühe gegeben hat und dabei nach best practices gehandelt hat. Und vor allem: Wenn dann doch ein Fehler auftaucht, muss man die entsprechende Fehlerkultur haben und ihn schnell und effektiv beseitigen. Besser geht's leider nicht. Die Alternative ist nur, keine Computer bzw keine Software zu benutzen.

Und weil Leute, die wissen, wovon sie reden, genau diesen Umstand kennen, lassen sie sich nicht dazu verleiten "Die App habe ich geprüft, sie ist sicher" öffentlich zu sagen.

Was man aber sehr wohl feststellen kann, ist wenn etwas unsicher ist und man eine Lücke gefunden hat. Und das wird ja auch regelmäßig gemacht und auch der CCC hält sich nicht zurück, über Probleme öffentlich zu reden, wenn man sie denn gefunden hat (responsible disclosure beachtend), wie zB in der jüngsten Vergangenheit beim Telematix-Netzwerk im Gesundheitswesen.

Was man sehr wohl hören sollte, ist dass man genau sowas über die Corona-Warn-App zumindest bisher nicht hört. Es gibt sehr wohl die 10 Prüfsteine für eine solche App und am Anfang sah es nicht so aus, als würden sie eingehalten (zB zentrale Serverstruktur, closed source), aber an dieser Stelle beschwert sich momentan niemand. Vielmehr gibt es viel Lob, dass auf Kritik reagiert wurde: Es werden die Kontaktdaten nur lokal auf den Telefonen gespeichert (auch schon weil Apple und Google dies als sinnvoll eingesehen haben und es nicht wirklich eine App gegen die entsprechenden Betriebsystemhersteller gegeben hätte, schon alleine weil die die Betriebssysteme es aus Securitygründen Apps nicht einfach erlauben, dauerhaft und im Hintergrund Bluetooth zu verwenden) und der Source-Code zusammen mit der Entwicklungsgeschichte wurde öffentlich auf GitHub zur öffentlichen Überprüfung zugänglich gemacht. Und die Öffentlichkeit hat tatsächlich Probleme gefunden. Aber diese wurden nicht ignoriert, sondern behoben.

Und genau das ist der Prozess, von dem ich oben sprach. Den darf man auch gerne mal loben und sagen "so soll's sein, gerne wieder". Und das wird ja auch getan. Man muss dem eben nur zuhören und verstehen (was leider nicht so richtig kommuniziert wird), dass dieses Lob eigentlich die bessere Variante des "Zertifikat: die App ist sicher" ist. Hier ist leider das Schweigen nicht laut genug, das "nicht geschimpft ist genug gelobt" ist leider nicht sehr öffentlichkeitswirksam, bzw bedarf einer Erklärung, wie ich sie hier versuche. Update: Linus Neumann, CCC Sprecher, macht es doch.

"Aber es gibt doch Kritikpunkte" höre ich Euch sagen. Ja, die gibt es. Aber schauen wir sie uns an, ob die von ihnen ausgehende Gefahr den möglichen Nutzen der App übersteigen kann:


  • "Man kann Leute tracken" Ja, kann man. Aber nur, wenn man die Republik flächendeckend mit Bluetooth-Empfängern überzieht. Pavel Meyer hat dieses Argument ausführlicher gemacht.
  • "Ich muss Bluetooth anschalten, das hatte schon Lücken in der Vergangenheit." Stimmt. Gilt aber auch für Wifi/Internet. Wenn man sich darum sorgt, empfehle ich das Handy abzuschaffen. Update: Bei Android-Smartphones, die nicht gegen bekannte Probleme gepatched werden können (Android Update nach 1. Februar 2020), ist es vielleicht doch keine gute Idee, Bluetooth einzuschalten. Kann man aber drüber nachdenken, ob das ein Problem der App oder des Smartphones ist.
  • "Die App ist open source, aber was ist mit der Library von Apple/Google?". Stimmt auch. Gilt aber auch für das Betriebssystem des Handys. Wenn Apple/Google euch überwachen wollen und eure Daten raustragen wollen, können sie das nicht erst seit der App. Sondern seit ihr ein Handy benutzt. Also wieder besser: Handy in den Shredder.
  • "Wenn nicht viele die App benutzen, nützt sie nichts" (oder auch in der Version "die App ist nicht verpflichtend, so kann sie nicht funktionieren, also benutze ich sie nicht"). Ja. Henne und Ei. Dann benutz sie doch. Ist wieder ein Beispiel des Gefangenendilemmas, kann man ändern indem man selber kooperiert und hofft, dass die anderen zum gleichen Schluss kommen.
Bleibt noch eine Meta-Frage: Ich möchte eigentlich diese ganze Geschichte auch als eine Erfolgsgeschichte des CCC abbuchen, man hat (nehmen wir mal an, es hat tatsächlich einen Einfluss gehabt) echte Verbesserungen erreichen können. Vor allem wenn man sich vor Augen führt, was am Anfang der Geschichte vorgeschlagen wurde, wie GPS-tracking, eine zentrale, staatliche Kontaktdatenbank etc. Der Umstand, dass hier auf die Expertise gehört wird, ist auch ein langfristiger Erfolg, es wurde verstanden, sich über die Jahre als kompetenter und kritischer Beobachter zu etablieren. Die Öffentlichkeit wurde für entsprechende Themen hellhörig gemacht.

Andererseits lese ich auf social media viel Kritik an der App und Erklärungen, warum sie böse ist oder warum man sie sich selber auf keinen Fall installieren will. Die halbwegs rationalen Einwände habe ich eben aufgezählt (auch wenn meine Kosten-Nutzen-Abwegung klar anders ist und ich first thing this morning mir die App installiert habe), es gibt aber auch unendlich viel, was sich im Spektrum Halbwissen bis Aluhuttum bewegt. Es werden viele Bedenken geäussert, die aber eher aus dem Bauch kommen (der Staat will uns Stasi-mässig überwachen) aber aus technischer Sicht nach allem, was man weiss, nicht haltbar sind. Und irgendwie fürchte ich, dass viele von diesen Leuten auch von CCC und Co in ihrer kritischen Sicht mitsozialisiert worden sind und irgendwann falsch abgebogen sind.

Und das ist dann schon ein Wermutstropfen bzw eine Aufgabe für die Zukunft: Wie schafft man es, vor allem auch in seiner Kommunikation, noch deutlicher die begründeten von den unbegründeten Bedenken (die aber so ähnlich klingen) zu trennen?  Wie kann man hier offensiver seine Sicht kommunizieren ohne in ein "Wir versprechen Euch, ist alles sicher" verfallen zu müssen? Dieser Text ist jedenfalls ein Versuch in diese Richtung.

Und noch der nötige Disclaimer: Ich bin zwar Mitglied beim CCC (sowohl in München als auch schweigendes im Bundes-CCC). Ich spreche aber nicht für den Club. Dies ist nur meine Meinung (die aber aus meiner Sicht natürlich jedeR teilen sollte, auch alle Clubs der Welt. Haha)