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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Minimieren von Gefahrensituationen bei Fahrzeugen mit einem das Fahrzeug-Umfeld erkennenden und bezüglich möglicher entstehender Gefahrensituationen, insbesondere drohenden Unfallsituationen, auswertenden System sowie eine zur Durchführung dieses Verfahrens eingerichtete Vorrichtung. Das auswertende System erkennt eine Gefahrensituation anhand einer Analyse der Umfeld-, Fahrzeug- und/oder Fahrersituation, welche ihm durch Sensorsignale angezeigt werden, und löst bei dem Erkennen einer Gefahrensituation in dem Fahrzeug mindestens eine, vorzugsweise aber mehrere Fahrerassistenzfunktionen aus, die teilweise auf in dem Fahrzeug installierte, insbesondere aktive Sicherheitssysteme zugreifen.
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Unfallvermeidende bzw. die Folgen eines Unfalls mildernde Systeme sind bspw. aus der
WO 2004/085220 A1 bekannt, die das sogenannte APIA-System (Active Passive Integration Approach) beschreibt, welches unfallträchtige Situationen durch Überwachung des Fahrzeugs und des Fahrzeugumfeldes frühzeitig erkennt und eine Eskalation der Gefahrensituation durch gestufte Fahrerassistenzfunktionen und/oder andere präventive Schutzmaßnahmen zu vermeiden sucht. So schützt das APIA-System z. B. für Folgeverkehrsszenarien bei Gefahren, die vor dem eigenen Fahrzeug entstehen. Diesen Verkehrsraum überwacht das bekannte APIA-System mit speziellen Abstandssensoren. Je nach Konfiguration können diese Sensoren auch für weitere Funktionen eingesetzt werden, wie z. B. einem Abstandsregeltempomaten ACC (Adaptiv Cruise Control). Die Unfallwahrscheinlichkeit wird in einem Gefahrenrechner des Systems für die aktuelle Verkehrssituation ermittelt, und es werden gestuft Maßnahmen zum Schutz der Insassen und anderer Verkehrsteilnehmer eingeleitet.
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Das APIA-System als auswertendes System im Sinne dieser Patentanmeldung bündelt alle heute bereits vorhandenen sowie weitere künftige Systeme zur aktiven und passiven Sicherheit zu einem Netzwerk. Ein zentral gesteuerter Systemverbund unterstützt den Fahrer aktiv bei der Bewältigung von Gefahrensituationen und hilft die Zeit vor einem trotz allem nicht zu vermeidenden Unfall zu nutzen, um bestmöglichen Schutz vor Verletzungen zu ermöglichen.
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Dazu setzt APIA auf den Datenaustausch zwischen allen bzw. einer Vielzahl von Fahrzeugsystemen, die Informationen über die Aktivitäten des Fahrers, das Verhalten des Fahrzeugs und das Fahrzeugumfeld erheben. Dadurch können mehrfach in den verschiedenen Systemen enthaltene, identische Sensoren teilweise sogar entfallen.
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Dieses auswertende APIA-System stellt eine Fahrzeugfunktion dar, die aufgrund ihrer Sicherheitsfunktion in letzter Zeit stark an Bedeutung gewinnt, da man damit Unfälle vermeiden bzw. Unfallfolgen mildern kann. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise aus der
WO 2005/047066 A1 bekannt, ein verunfalltes Fahrzeug bis zu dessen Stillstand nach dem Unfall zu kontrollieren bzw. stabilisierend zu beeinflussen, um das Fahrzeug autonom, d.h. ohne Zutun des in diesen Unfallsituationen meist ohnehin überforderten Fahrers, in eine sichere Position zu überführen und bspw. starken Schleuderbewegungen entgegenzuwirken. Dazu finden Eingriffe in das Brems- und/oder Lenksystem des Fahrzeugs statt. Dies setzt eine ordnungsgemäß arbeitende Bremsanlage und/oder eine ebenfalls intakte, autonom ansteuerbare Lenkanlage voraus. Fällt eine der von dem APIA-System in der Gefahrensituation anzusteuernden Sicherheitssysteme aus, so stehen nur die passiven Sicherheitsmaßnahen zur Verringerung der Unfallfolgen zur Verfügung. Gerade nach einem Unfall ist es jedoch nicht unwahrscheinlich, dass ein Teil der Sicherheitssysteme ausgefallen ist. Unabhängig von den passiven Sicherheitsmaßnahmen fährt das Fahrzeug dann jedoch mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit in das andere Objekt.
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Die
WO 2006/032658 A1 beschreibt ein Verfahren zur Erhöhnung der Bremswirkung bei einem Kraftfahrzeug mit einer hydraulischen Bremsanlage, bei dem durch Einschalten einer Energieversorgungseinheit ein Bremsdruck in wenigstens einer Radbremse bis zu einem ersten Drucklimit mit einem ersten Wert erhöht wird, wenn ein Bremsdruck eine in Abhängigkeit von einer Fahrzeugverzögerung ermittelte Aktivierungsschwelle überschreitet. Das Drucklimit wird zum Schutz der Hydraulikbremsanlage vorgeben. Wenn jedoch die Bremswirkung bspw. aufgrund von Fading nachlässt, wird der Bremsdruck bis zu einem zweiten, über dem ersten Drucklimit liegenden Drucklimit erhöht, um die Bremswirkung zu verbessern. Diese Maßnahme ist jedoch wirkungslos, wenn die gesamte hydraulische Bremsanlage defekt ist.
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In der
DE 41 299 19 A1 ist eine elektronisch betätigte Feststellbremse eines Kraftfahrzeugs beschrieben, bei der die Bremskraft nicht an der Bremsen-Betätigungseinrichtung des Fahrers, sondern durch eine elektronische Bremsbetätigung aufgebracht wird. Diese Feststellbremse lässt sich auch als Notbremse einsetzen. Allerdings wird diese Feststellbremse nicht als Sicherheitssystem eines Systems zur Unfallvermeidung eingesetzt.
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DE 10 2004 039 998 A1 offenbart ein elektronisches Sicherheitssystem mit redundant ausgelegten Steuergeräten. Falls ein Steuergerät ausfällt, so kann das redundante Steuergerät sowohl Bremsen als auch Lenkung weiterhin vollumfänglich ansteuern.
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WO 2006/002695 A1 offenbart ein redundantes Datenbussystem mit zwei Steuergeräten. Sicherheitsrelevante Steuernachrichten werden immer über beide Datenbussysteme parallel übertragen, um trotz eines fehlerhaften Steuergerätes eine Funktion des Datenbussystems sicherzustellen.
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Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung gemäß den Merkmalen des Oberbegriffs zu schaffen, welche die Sicherheit der Fahrzeuginsassen in einem Kraftfahrzeug weiter erhöhen.
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Diese Aufgabe wird durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 und eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 7 gelöst. Dazu ist insbesondere vorgesehen, dass das auswertende System die Funktion der Sicherheitssysteme überprüft und bei einem nicht betriebsbereiten Sicherheitssystem, welches im Rahmen der Auslösung der Fahrerassistenzfunktionen betätigt werden soll, auf ein alternatives Sicherheitssystem als Rückfallebene zugreift. Hierdurch wird zuverlässig verhindert, dass durch eine Fahrerassistenzfunktion ausgelöste Zugriffe auf ein Sicherheitssystem ins Leere laufen, weil das Sicherheitssystem selbst ausgefallen ist. Dabei kann die Überprüfung des Sicherheitssystems durch das auswertende System unmittelbar vor der Ausgabe eines Befehls an dieses Sicherheitssystem erfolgen. Die Überprüfung kann mittels einer Funktionsprüfung oder eines Rückgriffs auf eine Fehlerdatenbank erfolgen, in der Probleme mit einzelnen Fahrzeugsystemen eingetragen werden. Ferner ist es möglich, dass die Überprüfung des Sicherheitssystems durch das auswertende System im Sinne einer Überwachung kontinuierlich stattfindet, wobei die Verfügbarkeit eines Sicherheitssystems in regelmäßigen Abständen überprüft wird. Auf diese Weise kann in einem Gefahrenfall, in dem schnelle Reaktionen erforderlich sind, ohne vorherige Überprüfung auf das Sicherheitssystem zugegriffen werden, da dessen Funktion ständig überwacht ist. Bei Ausfall eines Sicherheitssystems kann dann unmittelbar das in der Rückfallebene definierte Sicherheitssystem angesprochen werden, ohne dass es zu einem weiteren Zeitverlust kommt.
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Gemäß einer besonders bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäß vorgeschlagenen auswertenden Systems ist vorgesehen, dass mehrere alternative Sicherheitssysteme gleichzeitig und/oder nacheinander aktiviert werden können. Auf diese Weise werden mehrere Rückfallebenen gebildet, die jeweils auf verschiedene alternative Sicherheitssysteme oder eine Kombination dieser alternativen Sicherheitssysteme zurückgreifen und verschiedene Intensitäten der Fahrerassistenzfunktionen durch alternative Sicherheitssysteme verwirklichen können. Da alternative Sicherheitssysteme häufig nur eine geringere Wirksamkeit als das für die Umsetzung dieser Fahrerassistenzfunktion eigentlich vorgesehene Sicherheitssystem aufweist, kann es daher insbesondere dann sinnvoll sein, in einer Rückfallebene mehrere alternative Sicherheitssysteme gleichzeitig anzusprechen, wenn ein starker Einfluss auf das Kraftfahrzeug genommen werden soll, der durch ein einzige alternatives Sicherheitssystem nicht geleistet werden kann.
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Ein typisches aktives Sicherheitssystem, auf das das auswertende System zur Umsetzung von Fahrerassistenzfunktionen häufig zugreift, ist die Bremsanlage eines Kraftfahrzeugs, insbesondere dessen elektronisches Bremssystem EBS, das auf verschiedene Arten in bekannter Weise realisiert sein kann. Trotz hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei den Bremsanlagen kann ein Versagen der Bremsanlage nicht ausgeschlossen werden. So kann es beispielsweise durch eine Beschädigung des Hydrauliksystems vorkommen, dass in dem Hydrauliksystem kein ausreichender Staudruck zum Betätigen der hydraulisch angetriebenen Radbremsen aufgebaut werden kann. Dies wird durch das auswertende System bei der Überprüfung der Funktionen des Sicherheitssystems festgestellt.
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In einem solchen Fall kann dann als alternatives Sicherheitssystem, auf welches das auswertende System zur Umsetzung einer Fahrerassistenzfunktion zugreift, die Betätigung einer elektronischen Parkbremse, ein Eingriff in das Motormanagement insbesondere zur Reduzierung der Motordrehzahl, ein Eingriff in ein elektrisches Getriebe insbesondere zum Einlegen eines niedrigeren Ganges und Aktivierung der Motorbremse und/oder ein Eingriff in ein beispielsweise autonomes Lenksystem verwendet werden, um durch ein Lenkmanöver einem beispielsweise durch optische Sensoren oder Radarsensoren erkannten Hindernis auszuweichen. Das Ansprechen eines oder mehrerer dieser alternativen Sicherheitssysteme kann in einer oder mehreren einander nachgeschalteten Rückfallebenen geschehen.
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In einer weiteren Ausführungsform der vorliegenden Erfindung, die auch mit der vorbeschriebenen Ausführungsform kombinierbar ist, kann das aktive Sicherheitssystem ein Lenksystem des Fahrzeugs sein, das dazu eingerichtet ist, Hindernissen auszuweichen oder das Fahrzeug mittels eines Spurhalteassistenzsystems in seiner Spur zu halten.
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Bei einem Ausfall dieses Fahrzeuglenksystems kann, sofern vorhanden, beispielsweise in einer ersten Rückfallebene ein autonomes Lenksystem als alternatives Sicherheitssystem verwendet werden. Ein derartiges autonomes Lenksystem ist in einem Fahrzeug beispielsweise dann vorhanden, wenn das Fahrzeug über einen Einparkassistenten verfügt, welcher die Lenkung des Fahrzeugs eigenständig betätigt. Gleichzeitig oder in einer anderen, vorzugsweise nachgeschalteten Rückfallebene kommen die Betätigung der Bremsanlage, eine Betätigung einer elektronische Parkbremse (beispielsweise für den Fall, dass die Bremsanlage zusätzlich ausfällt), ein Eingriff in das Motormanagement und/oder ein Eingriff in ein elektrisches Getriebe als alternative Sicherheitssysteme in Frage, um die Geschwindigkeit des Fahrzeugs zu reduzieren und das Fahrzeug kontrolliert zum Stehen zu bringen, vorzugsweise bevor es aufgrund der defekten Lenkung mit einem Hindernis oder anderem Kraftfahrzeug kollidiert.
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Die Erfindung ist jedoch nicht auf die vorbeschriebenen Ausführungsformen von Sicherheitssystemen und alternativen Sicherheitssystemen beschränkt, sondern kann auch mit anderen Sicherheits- und alternativen Sicherheitssystemen kombiniert werden, wie sie beispielsweise in der
WO 2004/085220 A1 beschrieben sind. Diese dort erwähnten Sicherheitssysteme können in die erfindungsgemäß beschriebene Möglichkeit zur Bildung von Rückfallebenen integriert werden. Entscheidend für die Umsetzung der Erfindung ist, dass das System zur Vermeidung von Gefahrensituationen oder Minderung deren Folgen, nachfolgend auch kurz auswertendes System genannt, bei Ausfall eines Sicherheitssystems eine oder mehrere Rückfallebenen vorsieht, in denen ein, vorzugsweise aber mehrere alternative Sicherheitssysteme anstelle des ausgefallenen Sicherheitssystems aktiviert werden. Eine bevorzugte Umsetzung findet natürlich im Bereich der Bremsanlage des Kraftfahrzeugs statt, die besonders sicherheitsrelevant ist.
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Um entscheiden zu können, welche der Rückfallebenen beziehungsweise alternativen Sicherheitssysteme aktiviert wird, kann das auswertende System erfindungsgemäß eine Klassifizierung der Gefahrensituation vornehmen, d.h. die Schwere der Gefahrensituation bewerten, und den Zugriff (Aktivierung) auf ein alternatives Sicherheitssystem in Abhängigkeit von der gewählten Gefahrenklasse ausüben. So können auch zwanglos alternative Sicherheitssysteme kombiniert beziehungsweise weitere Sicherheitssysteme zugeschaltete werden, wenn sich trotz Aktivierung eines alternativen Sicherheitssystems die Einschätzung der Gefahrensituation durch das auswertende System nicht verbessert. Hierzu kann in die Klassifizierung auch eine zeitliche Bewertung der Gefahrensituation vorgenommen werden, gegebenenfalls kombiniert mit einer Bewertung der Gefahrenklasse, deren zeitliches Verhalten ausgewertet wird.
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Die Erfindung bezieht sich auch auf eine Vorrichtung zum Minimieren von Gefahrensituationen bei Fahrzeugen mit einem das Fahrzeug-Umfeld erkennenden und bezüglich möglicher entstehender Gefahrensituationen, insbesondere drohenden Unfallsituationen, auswertenden System, welches über Schnittstellen mit Sensoren zur Aufnahme von Umfeld-, Fahrzeug- und/oder Fahrerdaten verbindbar ist. Das auswertende System weist einen Gefahrenrechner zur Analyse der aufgenommenen Daten und zum Erkennen einer Gefahrensituation auf und kann über Schnittstellen auf im Fahrzeug installierte Sicherheitssysteme zum Auslösen von Fahrerassistenzfunktionen zugreifen. Erfindungsgemäß ist der Gefahrenrechner dazu eingerichtet, die Funktion der Sicherheitssysteme zu überprüfen und bei einem nicht betriebsbereiten Sicherheitssystem, welches im Rahmen der Auslösung der Fahrerassistenzfunktion betätigt werden soll, auf ein alternatives Sicherheitssystem als Rückfallebene zuzugreifen. Diese Vorrichtung eignet sich insbesondere zur Durchführung des vorbeschriebenen Verfahrens, wodurch die bereits erwähnten Vorteile erreicht werden. In einem bevorzugten Anwendungsfall ist die Vorrichtung in die Steuerung eines elektronischen Bremssystems beispielsweise als implementierte Software integriert.
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Weitere Vorteile, Merkmale und Anwendungsmöglichkeiten der vorliegenden Erfindung ergeben sich auch aus der nachfolgenden Beschreibung von Ausführungsbeispielen und der Zeichnung. Dabei bilden alle beschriebenen und/oder bildlich dargestellten Merkmale für sich oder in beliebiger Kombination den Gegenstand der vorliegenden Erfindung, auch unabhängig von ihrer Zusammenfassung in den Ansprüchen oder deren Rückbezügen.
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Es zeigen:
- 1 ein Ablaufschema zur Aktivierung einer elektrischen Parkbremse bei einem aktivierten auswertenden System gemäß der vorliegenden Erfindung;
- 2 ein Ablaufschema zur Aktivierung einer Motormomentunterdrückung bei einem aktivierten auswertenden System gemäß der vorliegenden Erfindung und
- 3 ein Ablaufschema zur Aktivierung eines autonomen Gangwechsels bei einem aktivierten auswertenden System gemäß der vorliegenden Erfindung.
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Die Erfindung wird in einem Gefahrensituationen bei Fahrzeugen mit einem das Fahrzeug-Umfeld erkennenden und bezüglich möglicher entstehender Gefahrensituationen auswertenden System realisiert, welches eine Gefahrensituation anhand einer Analyse der Umfeld-, Fahrzeug- und/oder Fahrersituation erkennt und bei dem Erkennen einer Gefahrensituation in dem Fahrzeug Fahrerassistenzfunktionen auslöst.
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Ein derartiges System ist in der
WO 2005/047066 A1 ausführlich beschrieben und auch als sog. APIA-System (Active Passive Integration Approach) bekannt. Herzstück und vernetzender Teil des APIA-Systems ist ein beispielsweise in einer Bremsensteuerung (EBS-Controller) mittels Software implementierter Gefahrenrechner, in dem die Daten sämtlicher Sicherheitssysteme des Kraftfahrzeugs zusammenlaufen und permanent ausgewertet werden. Dieser Gefahrenrechner ermittelt für die aktuelle Fahrsituation ein Gefahrenpotenzial, das die momentane Unfallwahrscheinlichkeit widerspiegelt. Übersteigt dieses Gefahrenpotenzial eine definierte Schwelle, leitet der Gefahrenrechner abgestufte Schutzmaßnahmen ein, die auch als Fahrerassistenzfunktionen bezeichnet werden. Die zuvor beschriebene grundsätzliche Funktionsweise eines derartigen auswertenden Systems wird nachfolgend anhand eines konkreten Beispiels des APIA-Systems beschrieben.
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Im Falle einer Folgefahrt zweier Autos lassen sich - abhängig von der Geschwindigkeitsdifferenz sowie dem Abstand der Fahrzeuge zueinander - verschiedene Gefahrenstufen darstellen:
- Stufe 1: Vorausfahrendes Auto bremst leicht, Sicherheitsabstand wird unterschritten
- a) Das APIA-System weist den Fahrer optisch auf eine potenzielle Gefahrensituation hin, z.B. durch eine Cockpit-Anzeige: „Abstand!“, und/oder warnt ihn haptisch, z.B. über ein aktives Fahrpedal.
- Stufe 2: Vorausfahrendes Auto bremst stärker, schnelle An näherung
- a) Die Maßnahmen der 1. Stufe werden ausgeführt, zusätzlich:
- b) Das Bremssystems wird bis 5 bar Bremsdruck vorgefüllt, um eine unmittelbare Bremsbereitschaft der Bremsanlage zu erreichen.
- c) Die Gurte werden - reversibel und mit geringer Kraft - zur Beseitigung der Gurtlose gestrafft.
- d) Das Seitenfenster und das Schiebedach werden geschlossen.
- Stufe 3: Vorausfahrendes Auto bremst sehr stark, sehr schnelle Annäherung, Fahrer zeigt keine Reaktion
- a) Es werden die Maßnahmen der 1. und 2. Stufe ausgeführt, zusätzlich:
- b) Das APIA-System leitet aktiv eine Bremsung mit einer Verzögerung bis zu 0,3 g zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Sicherheitsabstands ein. (Der Wert von 0,3 g ist aus technischer Sicht willkürlich gewählt und könnte den jeweiligen Anforderungen geeignet angepasst und bspw. abstandsabhängig gewählt werden. Derzeit stellen 0,3 g die gesetzliche Obergrenze für eine Verzögerung bei autonomen Bremseingriffen dar.)
- c) Reversible Gurtstraffer werden aktiviert und fixieren die zu schützenden Personen optimal im Sitz
- d) Der elektrisch verstellbare Beifahrersitz wird in eine Position gebracht, die einen zu geringen Abstand zum Airbag ausgleicht. Sitzkissen werden auch beim Fahrersitz in eine optimale Position bewegt
- Stufe 4: Notbremsung des Vordermanns, Fahrer des Folgefahrzeugs reagiert
- a) Es werden die Maßnahmen der 1. bis 3. Stufe ausgeführt, zusätzlich:
- b) Der erweiterte Bremsassistent erkennt aus dem schnellen Wechsel des Fußes vom Gas- auf das Bremspedal den Beginn einer Notbremsung. Dank der mit Druck vorgefüllten Bremsanlage (2. Stufe) kann umgehend der maximale Bremsdruck aufgebaut werden. So wird für einen optimal kurzen Anhalteweg gesorgt.
- c) Reversible Gurtstraffer werden mit maximaler Kraft aktiviert und positionieren die zu schützenden Personen optimal im Sitz.
- Stufe 5: Trotz Notbremsung kommt es zum Auffahrunfall
- a) Die Maßnahmen der 1. bis 4. Stufe werden ausgeführt, zusätzlich:
- b) Die Smart Airbags lösen in Abhängigkeit von Unfallschwere und Unfallart aus.
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Zusammenfassend sieht das auswertende APIA-System als Fahrerassistenzfunktionen bei einem drohenden Auffahrunfall eine optische und/oder haptische Warnung des Fahrers vor, wobei bei wachsendem Gefahrenpotenzial das Vorfüllen der Bremsanlage, das leichte Straffen der Gurte sowie das Schließen von Seitenscheiben und des Schiebedachs folgen. Wächst die Gefahr weiter und schließt das System aus der Art, wie der Fahrer den Fuß vom Gaspedal nimmt, auf eine Notsituation, leitet der Gefahrenrechner eine Bremsung mit einer Verzögerung von bis zu 0,3 g ein, aktiviert die reversiblen Gurtstraffer und bringt elektrisch einstellbare Sitze und Kopfstützen in eine optimale Position. Beim Tritt auf das Bremspedal, welches in dieser Situation das Einleiten einer Notbremsung durch den Fahrer anzeigt, unterstützt der Bremsassistent den Fahrer weiter, indem die maximale Fußkraftverstärkung eingestellt wird. Parallel werden die Gurtstraffer mit maximaler Kraft aktiviert.
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Eine Verbesserung des vorbeschriebenen APIA-Systems oder der gemäß der
WO 2005/047066 A1 beschriebenen Funktionen zur Überführung eines Fahrzeugs nach einem Unfall in eine sichere Ruheposition wird erreicht, wenn das System Rückfallebenen in Form alternativer Sicherheitssysteme für die durch das APIA-System vorgesehenen Sicherheitssysteme (Stellglieder), nämlich insbesondere Bremsanlage und/oder autonome Lenkanlage, vorsieht.
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Im Folgenden wird die Erfindung in Bezug auf die als hydraulische Betriebsbremse ausgebildete Bremsanlage konkret beschrieben. Die vorgesehenen, als Rückfallebenen betriebenen alternativen Sicherheitssystem sind nicht so effektiv wie die hydraulische Betriebsbremse, aber jegliche Reduzierung der Fahrzeuggeschwindigkeit führt bereits zu einer Reduzierung der Unfallfolgen oder sogar einer Vermeidung des Unfalls selbst, abhängig von der vorhergesagten Gefahrensituation und dem Zeitpunkt der Vorhersage. Erfindungsgemäß können insbesondere die folgende Rückfallebenen beim Ausfall der Bremsanlage vorteilhaft selbsttätig, d.h. unabhängig vom Fahrer, aktiviert werden:
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Die erste Rückfallebene bildet eine elektronische Parkbremse, wie sie beispielhaft in der
DE 41 299 19 A1 beschrieben ist. Die elektrische Parkbremse kann von dem APIA-System elektronisch angesteuert werden. Fällt die hydraulische Betriebsbremse aus, so kann durch die Ansteuerung der elektronischen Parkbremse eine Verzögerung des Fahrzeugs erfolgen. Die elektrische Parkbremse weist einen einem Antiblockiersystem ähnlichen Steueralgorithmus auf, der ein Blockieren der Räder verhindert. Mittels der elektrischen Parkbremse kann eine Verzögerung des Fahrzeugs im Bereich von 0,2 bis 0,4 g, vorzugsweise von 0,25, erreicht werden. Damit ist ein Minimieren der Gefahrensituation, insbesondere eine Reduzierung der Unfallfolgen möglich.
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Ein möglicher Ablauf des vorbeschriebenen Verfahrens ist in 1 dargestellt. Während einer normalen Fahrt tritt eine Gefahrensituation auf, die durch das APIA-System erkannt wird. Das APIA-System wird daraufhin aktiv und veranlasst einen Zugriff auf die in dem Fahrzeug als Sicherheitssystem installierte hydraulische Bremsanlage EBS. In der hydraulischen Bremsanlage kommt es, bspw. aufgrund eines Lecks in dem Hydrauliksystem, zu einem Ausfall der Hydraulik. Dies stellt das APIA-System bei einer Überprüfung fest und greift statt auf die hydraulische Bremsanlage auf die als alternatives Sicherheitssystem vorgesehene elektronische Parkbremse EPB zu, die ihrerseits eine Antiblockierfunktion (EPB AnitBlock) aufweist.
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Sofern beispielsweise im Rahmen einer automatischen Abstandsregelung (ACC - Adaptive Cruise Control) lediglich ein minimal zu geringer Sicherheitsabstand eingehalten wird, kann durch die auch nur recht geringe Bremswirkung bzw. Verzögerung der Parkbremse die Gefahrensituation aufgehoben werden. Das APIA-System wird dann insoweit deaktiviert, als die Fahrerassistenzfunktion beendet wird.
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Die zweite Rückfallebene, die je nach Art und Klassifizierung der Gefahrensituation alternativ oder zusätzlich zu der ersten Rückfallebene betrieben werden kann, sieht einen Eingriff in das Motormanagement, konkret eine Motormomentreduzierung, vor. Verschiedene in Fahrzeugen eingesetzte Sicherheits- oder Assistenzsysteme sehen eine Reduzierung des Motormoments vor, so z.B. die Antriebsschlupfregelung ASR bzw. die Traktionskontrolle TCS, welche einen Schlupf der Räder zu vermeiden suchen. Bei einem Abstandsregelsystem ACC (Adaptive Cruise Control) wird das Motormoment häufig direkt vorgegeben, um einen konstanten Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug oder eine konstanten Fahrzeuggeschwindigkeit einzuregeln.
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Die vorhandene Möglichkeit zum Eingriff in das Motormanagement wird vom APIA-System wahrgenommen und dann autonom in das Motormanagement eingegriffen, wenn der Fahrer in einer Gefahrensituation ist und zum Beispiel während der vorbeschriebenen Stufen 1 bis 3 nicht reagiert. Diese Rückfallebene kann dann auch zusätzlich zu der elektronischen Parkbremse eingesetzt werden, um die Wirkung auf das Kraftfahrzeug insbesondere bei einem Ausfall der eigentlichen Bremsanlage zu erhöhen. Für diesen Fall kann das Motormoment aktiv durch das APIA-System reduziert werden, selbst wenn der Fahrer noch das Fahrpedal betätigt.
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Dies führt bei einem nachfolgenden Unfall zu einer Reduzierung der Aufprallgeschwindigkeit und damit zu einer Reduzierung der Unfallfolgen. Die Beeinflussung des Motormoments dahingehend, dass eine Reduzierung erfolgt, kann bei einem Ausfall des im Regelfall anzusteuernden Stellglieds eines Sicherheitssystems, z.B. der Bremsanlage, als auch bei betriebsbereiter Bremsanlage oder in Verbindung mit der zuvor beschriebenen elektrischen Parkbremse erfolgen.
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Der Ablauf der Beeinflussung in dieser Rückfallebene ist schematisch in 2 dargestellt und läuft grundsätzlich analog zu der mit Bezug auf 1 beschriebenen Rückfallebene ab. Wenn während einer normalen Fahrt eine Gefahrensituation erkannt wird, die einen massiven Eingriff durch eine Fahrerassistenzfunktion erfordert, wird das APIA-System aktiv und greift gleichzeitig auf das hydraulische Bremssystem der Bremsanlage und das Motormanagement zur Motormomentunterdrückung bzw. -reduzierung zu. Wenn das APIA-System dann feststellt, dass bei der elektronische Bremsanlage EBS die Hydraulik ausgefallen ist, aktiviert es als Rückfallebene das - ohnehin bereits aktive - Motormanagement-Sicherheitssystem und führt eine stärkere (zusätzliche) Reduzierung des Motormoments durch, bis die Gefahrensituation aufgehoben ist. Dann deaktiviert sich die Fahrerassistenzfunktion des APIA-Systems.
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Eine weitere Rückfallebene kann durch einen Eingriff in ein elektrisches Getriebe als alternatives Sicherheitssystem realisiert werden, indem eine Gangmanipulation erfolgt. Bei Fahrzeugen mit elektrischem Automatikgetriebe wird die Gangstufe nicht mehr vom Fahrer eingelegt. Dieser gibt über einen Hebel einen elektrischen Befehl für einen vorgewählten Gang, der über einen Regler eingelegt wird. Die Getriebe können auch über eine Datenverbindung, zum Beispiel über einen CAN-Datenbus, angesteuert werden. Gemäß der Erfindung ist vorgesehen, dass das APIA-System oder andere mit dem APIA-System kommunizierende Steuersysteme, bei erkannter Gefahrensituation und nicht betriebsbereiter Bremsanlage niedrigere Gänge anfordern, um die Motorbremse zu aktivieren und die Fahrzeuggeschwindigkeit zu reduzieren.
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Der Ablauf des erfindungsgemäßen Verfahrens ist in 3 dargestellt. Nach Erkennen einer Gefahrensituation bei normaler Fahrt wird das APIA-System in der bereits erläuterten Weise aktiv und erkennt bei dem Ausführen einer Fahrerassistenzfunktion, dass die als Sicherheitssystem eigentlich vorgesehene elektrische Bremse EBS aufgrund eines Hydraulikausfalls nicht zur Verfügung steht. Dann greift das A-PIA-System als alternatives Sicherheitssystem auf das elektrische Getriebe zurück und legt zur Geschwindigkeitsreduktion einen niedrigeren Gang ein, um die Motorbremse zu aktivieren. Nach überstandener Gefahrensituation deaktiviert sich das APIA-System durch Beenden der zuvor ausgewählten Fahrerassistenzfunktion. Wie in den vorbeschriebenen Fällen auch, bleibt das APIA-System im Übrigen natürlich aktiv, um neu auftretende Gefahrensituationen zu erkennen.
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Alle Rückfallebenen können bei erkannter Gefahrensituation auch gemeinsam aktiviert werden. Die gemeinsame Aktivierung kann in einer zeitlich abgestuften Aktivierung, z.B. zuerst die Reduzierung des Motormoments, bei höherem Gefahrenpotenzial dann das Einlegen eines niedrigeren Ganges und so weiter oder in der sofortigen Aktivierung aller Rückfallebenen erfolgen.
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Die Erfindung ist auch nicht auf das vorbeschriebene Beispiel beschränkt und kann mit einer Vielzahl von Sicherheitssystemen in einem Kraftfahrzeug in analoger, für den Fachmann einfach übertragbarer Weise angewendet werden.
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Das neue, erfindungsgemäß vorgeschlagene Verfahren verwendet die bei einem Fahrzeugsystem vorhandenen zusätzlichen Stellglieder bzw. Sicherheitssysteme für die Minimierung von Gefahrensituationen, die bei einem Ausfall der von dem APIA-System standardmäßig in Abhängigkeit von der Fahr- und Umfeldsituation angesteuerte Brems- oder Lenkanlage dann alternativ angesteuert werden, um die die Gefahren zu verringern. Dabei kann auch ein standardgemäß bei einer bestimmten Situation angesteuertes Sicherheitssystem, z.B. eine Überlagerungslenkung für einen autonomen Lenkeingriff, durch einen Bremseneingriff ersetzt werden, wenn die Lenkanlage nicht betriebsbereit, also defekt, ist.