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Lutz Niethammer

deutscher Historiker

Lutz Niethammer (* 26. Dezember 1939 in Stuttgart) ist ein deutscher Historiker und Hochschullehrer. Er beschäftigt sich im Besonderen mit deutscher Nachkriegsgeschichte und Oral History, einer Methode der Geschichtsforschung, die durch Befragung von Zeitzeugen versucht, das mündlich überlieferte, subjektive Geschichtsbild einer bestimmten Bevölkerung beziehungsweise bestimmter Milieus (im Gegensatz zu politischen Akteuren) zu rekonstruieren.

Lutz Niethammer (2019)

Niethammer wurde als Sohn des Grafikers Robert Niethammer und dessen Frau Annlis, geb. Mostert, in Stuttgart geboren. Er studierte Geschichte, evangelische Theologie und Sozialwissenschaften an den Universitäten Heidelberg, Bonn, Köln und München u. a. bei Hans Mommsen. 1971 wurde Niethammer in Heidelberg bei Werner Conze mit einer Arbeit zur Entnazifizierung in Bayern promoviert. Nach Lehrstühlen in Essen, an der Fernuniversität in Hagen sowie einer Tätigkeit als Gründungsdirektor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen folgte er 1993 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an die Universität Jena. Gastaufenthalte führten Niethammer an das St Antony’s College in Oxford (1972/73), an das Maison des Sciences de l’Homme in Paris (1978/79), an die Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin (Ost) (1986/87), an das Wissenschaftskolleg zu Berlin (1987/88), an die Universität Basel (1988/89), an das Europäische Hochschulinstitut in Florenz (1988/89) sowie an die Universität Wien (2008/09). Lutz Niethammer wurde 2005 emeritiert. Niethammers Nachfolger auf dem Jenaer Lehrstuhl wurde Norbert Frei. In der Frage der Zwangsarbeiterentschädigung war Niethammer Berater der Bundesregierung. Zu seinen Schülern gehören Franz Brüggemeier, Ulrich Herbert, Dirk van Laak, Detlev Peukert und Ernst Schmidt.

Lutz Niethammer ist seit 2003 Foreign Honorary Member der American Academy of Arts and Sciences. Er ist Träger des Bochumer Historikerpreises. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Diaspora- und Genozidstudien an der Ruhr-Universität Bochum (seit 1998), des Kuratoriums der Gedenkstätte Buchenwald (seit 1993), des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Ettersberg zur vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen und ihrer Überwindung in Weimar (seit 2002) und des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (seit 2004). Niethammer ist ferner Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung (seit 1978).

Niethammer gilt als ein Wegbereiter der Oral History in Deutschland. Als deutschsprachiges Pionierwerk gilt der erste Band seiner Studie Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930–1960. Band 1: Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet. Er war von 1980 bis 1994 deutscher Vertreter der Oral History Association, von 1990 bis 1992 auch deren Vorsitzender. Er gehört zum Herausgebergremium der Zeitschrift BIOS.

Niethammer war verheiratet mit der Bochumer Historikerin und Hochschullehrerin Regina Schulte.

Schriften (Auswahl)

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Monografien

  • Angepasster Faschismus. Politische Praxis der NPD. S. Fischer, Frankfurt a. M. 1969.[1]
  • Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung. Fischer, Frankfurt am Main 1972, ISBN 3-10-052402-0 (Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1971 u.d.T.: Entnazifizierung in Bayern. Untersuchungen zur Entstehung und Durchführung des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus v. 5.3.1946 in einem Land unter amerikanischer Besatzung).
  • Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“. Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-8108-0142-9.
  • Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende? Rowohlt, Reinbek 1989, ISBN 3-499-55504-2.[2]
  • Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. Rowohlt, Berlin 1991, ISBN 3-87134-009-X.
  • Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-55594-8.[3]
  • Ego-Histoire? Und andere Erinnerungs-Versuche. Wien 2002, ISBN 3-205-77085-4.[4]
  • Der gesäuberte Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald. Mit Katrin Hartewig, Einleitung Katrin Hartewig; Lutz Niethammer, Berlin 1994, viele weitere Auflagen. Reprint in Online-Ausgabe, De Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-05-007049-0.

Herausgeberschaften

  • (mit Bodo Hombach, Tilman Fichter, Ulrich Borsdorf): „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst.“ Dietz, Berlin 1984, ISBN 3-8012-0101-5.
  • „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll.“ Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet. Dietz, Bonn 1983 (= Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet, Bd. 1). ISBN 3-8012-0085-X.
  • „Hinterher merkt man, daß es richtig war, daß es schiefgegangen ist.“ Nachkriegserfahrungen im Ruhrgebiet. Dietz, Bonn 1983 (= Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet, Bd. 2). ISBN 3-8012-0090-6.
  • (mit Alexander von Plato): „Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern. Dietz, Bonn 1985 (= Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet, Bd. 3). ISBN 3-8012-0113-9.
  • (mit Roger Engelmann): Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression. Ein Kulturkonflikt in der späten DDR. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen/Bristol, Conn. 2014, ISBN 978-3-525-35035-5.
  • (mit Silke Satjukow): „Wenn die Chemie stimmt …“. Geschlechterbeziehungen und Geburtenplanung im Zeitalter der „Pille“. Wallstein, Göttingen 2016, ISBN 978-3-8353-1741-3.
  • Tengelmann im Dritten Reich. Ein Familienunternehmen des Lebensmittelhandels und der Nationalsozialismus. Hrsg., Autoren: Niethammer, Katrin Hartewig, Almuth Leh u. Daniela Rüther, Klartext, Essen 2020, ISBN 978-3-8375-1223-6.

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. »Faschistische Grundstruktur« | Zeithistorische Forschungen. Abgerufen am 18. September 2023.
  2. Ist die Geschichte am Ende? Abgerufen am 18. September 2023.
  3. Rezension: Edgar Wolfrum, in: Die Welt, 18. November 2000.
  4. Lutz Niethammer: Ego-Histoire? Böhlau Verlag, Wien 2002, ISBN 978-3-205-77085-5 (hsozkult.de [abgerufen am 18. September 2023]).