Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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Vor Allem wird hier der Blick gefesselt durch die architektonischen Schönheiten des schlank aufsteigenden, die Plattform um 76 Meter überragenden Thurmes. Welch ein Geist spricht aus diesen wunderbaren Konstruktionen und Gliederungen der Riesenfensterbogen wie der überaus reichen Ornamente, welche, bis ins kleinste Detail fein ausgearbeitet, stets wechseln, so daß keines dem andern vollständig gleicht! Welche schöpferische Erfindungskraft gehörte dazu, alle diese Verbindungen von Säulen, Pfeilern, Stab- und Maßwerken zu ersinnen, alle diese wundersamen Verschlingungen und Lösungen der Ornamente, insbesondere an der prachtvollen Pyramide auszudenken!
Hat man sich aber sattgesehen an dem Wunderwerke, so lasse man die Blicke schweifen über die tief unten liegende alterthümliche Stadt mit ihren gekrümmten, engen Straßen und über die Mauern und Wälle der weit hinausgeschobenen Festungswerke auf das herrliche, von dem schimmernden Rheinstrom durchzogene Thal mit seinen grünen Wiesen und fruchtbaren Feldern, seinen gewerbreichen Städten und blühenden Dörfern. Man schaue hin nach dem im Süden mitten in diesem Thale isolirt aufsteigenden Kaiserstuhlgebirge und der das linke Ufer des Stromes begleitenden schön-geformten Vogesenkette mit ihren hin und wieder durch eine Ruine, ein Schloß, ein Kirchlein geschmückten malerischen Kuppen. Man sehe endlich nach dem jenseits des Rheines das Thal begrenzenden Schwarzwalde, der fast in seiner ganzen Länge von Basel bis zu den Thälern der Oos und Murg sichtbar die gewaltigen Gipfel des Feldberg, des Belchen und des Kandel zeigt, ferner den schönbewaldeten Staufenberg mit seinem gleichnamigen Schloß, die kahle Hornisgrinde und den Knibis, und endlich im nördlichen Theile des Gebirgszugs den unfern der Heimath des Meisters Erwin, bei Steinbach gelegenen Yberg mit den Trümmern der Yburg, den Fremersberg und den hinter Baden-Baden emporsteigenden Gipfel des Mercuriusberges.
Ueber hundert Jahre sind verstrichen, seit der junge Wolfgang Goethe zum ersten Male (4. April 1770) diese Plattform betrat und mit Entzücken „die ansehnliche Stadt, die weit umherliegenden, mit herrlichen dichten Bäumen besetzten und durchflochtenen Auen vor sich sah“. Damals war das Elsaß ein Theil des französischen Reichs, ein „Halbfrankreich“, wie sich Goethe ausdrückt. Heute ist alles Land, was man von der Plattform des Straßburger Münsters überblickt, deutsch. Und daß es deutsch bleiben wird, dafür bietet eine sichere Bürgschaft die „neue Wacht am Rhein“, die starke Festung Straßburg selbst, das dahinter stehende geeinigte Deutschland und sein Volk in Waffen. M. B.
Ein Tänzchen. (Mit Illustration auf S. 669.) Nicht bloß im sonnigen Thüringen, auch in anderen Gegenden unseres deutschen Vaterlandes können wir es sehen, wie wenig Vorbereitungen zu solch einem Tanze nöthig sind. Ein Geiger, ein Flötenspieler, Einer, der die Trompete zu blasen oder mit der Handharmonika umzugehen weiß, ist leicht und an jedem Orte zur Hand; und etliche Burschen und Dirnen finden sich gleichfalls überall zusammen. Weiter ist aber nichts vonnöthen. Der erste Ton der Geige oder welches Instrumentes immer – und wie ein Ruck geht es durch die Reihen, wie auf Kommando erstrahlen die Gesichter noch einmal so hell, setzen sich allsogleich die Füße in Bewegung. Fehlt’s an Burschen, so tanzen die Mädchen unter sich; sind die ersteren zu linkisch, zu schüchtern, gehen ihnen die letzteren mit ermunterndem Beispiel voran.
So auch auf unserem Bilde. Der Frohsinn lacht den beiden Tänzerinnen, welche den Reigen eröffnen, aus den Augen; daneben der Schalk. Ob’s aber hilft, ob sie sich jetzt ein Herz fassen, diese zaghaften Burschen? Freilich, ein Paar kommt bereits, andere werden folgen.
Die anmuthigen Gestalten unseres Bildes – ihre engere Heimath ist die Gegend zwischen Inselsberg und Eisenach – gehören ihrer kleidsamen Tracht nach in den Anfang dieses Jahrhunderts: was thut’s? Die Zeiten gingen, die Namen wechselten, auch die Trachten wurden andere; Waldesgrün und Sonnenschein, Jugend und Frohsinn aber blieben dieselben. – th.
„Von Muttern.“ (Mit Illustration S. 673.) Eine Scene aus dem Kriegsleben des vorigen Jahrhunderts ist es, die uns der Maler hier im Bilde vorführt. Zwei Reitersleute aus des großen Friedrich’s Heer, eben ins Quartier gerückt, haben Federhut, Mantel und Pallasch abgelegt, zum Zeichen der Besitzergreifung auch schon das Bildniß ihres königlichen Feldherrn an die Wand genagelt und machen sich’s nun bequem.
Der Eine hat sich ein Pfeifchen angezündet und auf einen Stuhl niedergelassen; die Beine weit abgestreckt, die Ellbogen aufgestützt, beobachtet er neugierig das Thun des Kameraden, der auf dem Tische am Fenster seine Habseligkeiten auspackt. Er bringt ein ansehnliches Päckchen, sorgfältig in zahllose Papierumschläge gewickelt, zum Vorschein, und wie er die schützenden Hüllen eine nach der andern abschält, entpuppt sich ein fetter geräucherter Schinken, den er mit dem freudigen Ausrufe: „Von Muttern!“ dem Genossen hinhält. Man sieht es seinem lachenden Gesichte wohl an, daß ihn die mütterliche Vorsehung ebenso rührt, wie überrascht.
Der Andere aber hat bei dem Anblicke die Pfeife aus dem Munde genommen, sein Zopf richtet sich sichtlich in die Höhe, zärtlich schlau hängt sein Blick an dem saftigen Gegenstande und aus den unter dem schwarzen Schnurrbarte hervorblitzenden Zähnen redet ein gesunder Appetit. Der hat vielleicht keine Mutter mehr, oder mindestens keine, die in der Lage ist, ihn mit solchen Leckerbissen zu regaliren. Aber das thut nichts, unter Quartierkameraden wird redlich getheilt, und wenn wir den Gedanken des Malers weiter ausspinnen, so sehen wir bald den kleinen Tisch vom Fenster abgerückt und von dem Schinken nur noch das Skelett. Mit den Düften aber, die ihm entströmen, ziehen Erinnerungen aus der fernen Heimath durchs Gemach, und die beiden Krieger, die am Tische sitzen, erzählen sich alte Geschichten von Freund und Liebchen und, wie bei der Veranlassung nicht mehr als billig, hauptsächlich „von Muttern“.
„Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu,“ und auch in unserem Jahrhundert hat sich dieselbe Scene schon oft abgespielt; wer den letzten großen Krieg mitgemacht: erinnert er sich nicht mit Rührung manches ähnlichen Päckchens, das ihm die Feldpost „von Muttern“ gebracht? Gerade jetzt aber, wo unsere Truppen im Manöver draußen Krieg im Frieden spielen, zeigt wohl manche niedrige Bauernstube, vom Kostüm abgesehen, dasselbe Bild. Wir wünschen von Herzen guten Appetit, an dem’s sicher nicht fehlt heute, wie damals. C. H.
Die Schulsanatorien. Schon seit Jahren haben Laien, Lehrer und Aerzte für Gründung von Schulsanatorien zu wirken gesucht, also für Lehr- und Erziehungsanstalten, die in klimatisch besonders bevorzugten Orten der Jugend nicht blos Unterricht, sondern vor allen eine individuelle hygieinische Erziehung geben. Wenn einige dieser Anstalten eingegangen sind, z. B. die des verstorbenen Dr. Fresenius in St. Blasien, so haben sich andere ausgezeichnet entwickelt, wie z. B. das Fridericianum in Davos (Schweiz) und das Schulsanatorium in Meran (Tyrol). Davos besitzt bereits zahlreiche interne und externe Schüler, die unter Leitung des Dr. Scharschmidt trefflich erzogen werden. Das Schulsanatorium in Meran hingegen, welches in den Händen des Dr. P. Liman liegt, ist noch eine junge Anstalt, die aber ebenfalls aufs Beste empfohlen werden kann. Wie wir hören, beabsichtigt man auch in Görbersdorf (Schlesien) ein derartiges Knabenpensionat zu gründen. Jedenfalls verdienen solche Erziehungsanstalten die weiteste Verbreitung, sowohl durch Gründung neuer, als durch Empfehlung der schon bestehenden. Dr. –é.
Das Zwingli-Denkmal in Zürich. Die Stadt Zürich und mit ihr das ganze reformirte Schweizerland zahlte am 25. August dieses Jahres in ebenso sinniger als großartiger Weise eine mehr als dreihundertjährige Schuld durch die Enthüllung eines bereits vor fünfzehn Jahren projektirten Ulrich Zwingli-Denkmales. Das Denkmal selbst, die einzige und erste Erzstatue Zürichs, erhebt sich dicht am rechten Ufer der Limmat, nicht weit von ihrem Ausflusse aus dem Zürichsee, vor dem Chore der sogenannten Wasserkirche (jetzige Stadtbibliothek) und ist die Schöpfung des Bildhauers Heinrich Natter aus Wien, welcher im Juni 1882 mit seinem Entwürfe unter 41 Preisbewerbern den Sieg davon getragen hatte.
Die in Ueberlebensgröße ausgeführte Statue – gegossen in der Erzgießerei des Herrn Turbain in Wien – stellt den großen Schweizer dar als Reformator sowohl der Kirche als auch des politischen Lebens seiner Wirkungsstätte, in der Rechten die Bibel und in der Linken das Schwert, um so das gewaltige Wirken Zwingli’s zu kennzeichnen, welches wir in der „Gartenlaube“ (1883, Nr. 52) bereits ausführlich geschildert haben.
Das Postament des Denkmales ist nach den Angaben des Bildhauers durch die Anstalt von Hergenhahn in Bensheim (Hessen) aus Syenit hergestellt worden; es trägt auf seiner Vorderseite den Namen des Reformators und die Angaben seines Geburts- und seines Todestages. Das ganze Denkmal erhebt sich auf einer einfach, aber freundlich angelegten Terrasse, und obwohl der äußere Chor der Wasserkirche als architektonischer Hintergrund etwas einfach und altersgrau aussieht, so kommt er doch der historischen Auffassung des Denkmals zugute, und das ganze Bild, belebt durch freundliches Grün und zur Linken des Beschauers begrenzt durch die silbernen Wellen der Limmat, gewährt einen recht stattlichen Anblick. E. L.
Vermißten-Liste. (Fortsetzung aus Nr. 31.)
11) Wo befindet sich der Weißgerber Karl Naß aus Halberstadt? Im Jahr 1849 geboren, machte er den Krieg in Frankreich unter Prinz Friedrich Karl mit, wurde im Herbst 1871 entlassen, arbeitete 1877 in einer Weißgerberei zu Osterwiek. Die Fabrik ging ein, Naß wurde brotlos. Da äußerte er, er wolle zum russisch-türkischen Kriegsschauplatz, um bei der russischen Armee Soldat zu werden. Seit jener Zeit, also 1877, fehlt jede Nachricht über ihn.
12) Von seiner hochbetagten Mutter wird gesucht der Seifensieder Georg Gustav Freytag aus Nürnberg, 47 Jahre alt. Sein letztes Schreiben kam 1875 aus Tomsk in Sibirien. Er meldete, nach Archangel reisen zu wollen, um sich dort auf ein Schiff zu begeben.
13) Ernst Töpfer aus Schwarzwald bei Ohrdruf, 23 Jahre alt, wird von seiner alten, fast erblindeten, völlig mittel- und verdienstlosen Mutter, die er im September 1880 verlassen hat, gesucht. Sein letzter bekannter Aufenthaltsort ist Schönfeld bei Perleberg, woselbst er im Frühjahr 1881 in einer Ziegelei gearbeitet hat.
14) Robert Louis Schmidt, geboren zu Lauban 26. April 1831, ging im August 1861 von Schmiedeberg aus nach Brasilien, wo er in Donna Franziska eine Stelle als Lehrer fand. Im Jahre 1865 schrieb er, er müsse mit in den Paraguay’schen Krieg. Seit jener Zeit fehlt jede direkte Nachricht von ihm. Ein Herr Leuschner, der mit ihm von Schmiedeberg abgereist, schrieb, Schmidt sei nach dem Kriege nach Rio gekommen, habe dort ein deutsches Mädchen geheirathet und sich in der Kolonie Blumenau niedergelassen, wo er von Cigarrenhandel lebe. Sein Vater starb 1882; seine alte bekümmerte Mutter möchte dem einzigen Sohn, der ein schweres Dasein gehabt, gern noch gute Tage bereiten.
[ Inhaltsverzeichnis dieser Nr., hier z. Zt. nicht dargestellt.]
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_680.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)