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Seite:Die Gartenlaube (1885) 427.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Romeo und Julia in der Garnison.
Aus den Memoiren eines Lieutenants.
Von Karl Hecker.
(Schluß.)


Der Karneval ging seinem Ende entgegen, ohne daß es die Gesellschaft in X. bei der in ihr herrschenden Spaltung zu einer größeren Festlichkeit gebracht hätte. Da trat ein Ereigniß ein, das wie ein Blitzstrahl auf die stagnirenden Gewässer eines Sumpfes wirkte. Ein Prinz hatte ganz unvermuthet das Kommando der beiden Regimenter übernommen, und seine erste Amtsthätigkeit war die telegraphische Ankündigung seines Besuchs behufs näherer Bekanntschaft auf dem Weg einer Besichtigung. Noch am gleichen Abend, da die Botschaft eintraf, ward zwischen den beiden Officierkorps der übliche Waffenstillstand geschlossen und andern Morgens hielten auch schon die Damen gemeinsamen Rath, was ihrerseits zur Verherrlichung des erlauchten Gasts zu geschehen habe. Auch hier ward nach lebhafter Debatte eine Einigung erzielt und die Veranstaltung eines kostümirten Balls zum Beschluß erhoben. Dem sofort gebildeten engeren Fest-Komité trat auf allgemeinen Wunsch Sternau, der Unentbehrliche, als einziges männliches Mitglied bei. So war denn ganz von selbst die verhaßte Schranke gefallen, auch Julia saß im Komité, das nun bei der Dringlichkeit des Gegenstandes von früh bis spät in die Nacht hinein tagte.

Sternau befand sich hier in seinem Element, aber niemals noch hatte man ihn sich einer Sache mit solchem Feuer, solcher Hingebung annehmen sehen. Ein Menuet von Rittern und Edelfräulein und ein türkischer Tanz sollten die Glanzpunkte des Festes bilden, Christen und Türken sich zum Schluß in einer malerischen Gruppe vereinigen, welche symbolisch auf die Kriegslorbeern eines Vorfahrs des Gefeierten anspielte.

Die Rollen wurden vertheilt, Sternau bat für das Menuet um Julia’s Hand, die ihm von der Eigenthümerin freudigst gewährt, von den übrigen trotz einigen Nasenrümpfens Dank seiner Unentbehrlichkeit nicht bestritten wurde. So mußte sich Herr von Hagedorn wohl oder übel – er ließ es an Protesten nicht fehlen – mit dem Rang eines Paschas von mehreren Roßschweifen abfinden lassen. Auch der ganz unberechtigte Widerstand, den einige Damen dem Schleier der Türkin entgegensetzten, ward glücklich gehoben und die Proben begannen.

Wer schon dabei gewesen, wird es bezeugen, wie in diesen der Hauptreiz für alle Betheiligten liegt, welcher darin besteht, daß der gemeinsame künstlerische Zweck auch dem gegenseitigen Verkehr eine gewisse künstlerische Freiheit verleiht und das sonst übliche Ceremoniell aufhebt. Wenn dies für alle gilt, mögen sie sich im Leben noch so fern stehen, wie viel mehr für die beiden Hauptpersonen dieser Erzählung, deren Herzen doch bereits ein geheimes Band umschlang. Wohl brannte Herr von Hagedorn vor innrer Wuth, wenn er Sternau, den Montague, den Windhund, der ihm seines schöngeistigen Wesens halber von der ganzen Familie der verhaßteste war, seine künftige Braut, wie er meinte, umtänzeln und mit seinem faden Geschwätz ennuyiren sah, während er selbst an eine ältliche Türkin von der andern Seite gebunden war. Allein, ob er gleich bittere Rache brütete, mußte er sich doch für den Augenblick zur Geduld zwingen. Sternau war nun einmal der Leiter des Spiels, alle fügten sich seinen Anordnungen, und überdies hatte der Regimentskommandeur im Hinblick auf den erwarteten hohen Besuch das ganze Officierkorps und den Lieutenant von Hagedorn insbesondere unter Androhung strengster Strafe zu einem friedfertigen und einträchtigen Betragen gegenüber den Dragonerkameraden ermahnt.

Herr von Helmkron verstand keinen Spaß in solchen Dingen, das wußte Hagedorn, und darum wagte er es auch nicht, das Glück der beiden Liebenden durch eine offene Feindseligkeit zu stören, und für diese wurden die Tage vor dem Fest zu einer Probezeit in des Worts tieferer Bedeutung.

Ja sie schien ihnen fast zu kurz, denn noch ehe die Mannschaften über die unzähligen Ziffern und Punkte des Erlasses, der ihr Verhalten regeln sollte, genügend instruirt, ehe sämmtliche Tänzer und Tänzerinnen ganz taktfest waren, traf auch schon Seine Hoheit ein und geruhte in feierlicher Audienz, die ihr von den beiden Kommandeurs nebst Gattinnen angebotene Einladung zum Ballfest auf den nächsten Abend gnädigst anzunehmen. Ein Glück war’s, daß Romeo und Julia bis dahin alle Hände voll zu thun hatten, so daß ihnen keine Zeit zum Nachdenken blieb, wie sich ihr Geschick wohl vollenden werde, wenn nach gelungenem Fest der Waffenstillstand ablief und die Feindseligkeiten wieder begannen. Der von den Sternen so auffallend begünstigte Anfang ihres Unternehmens ließ sie dessen Schwierigkeiten vergessen und blind dem Glück vertrauen, dessen Unzuverlässigkeit ihnen doch gerade das traurige Ende jenes Liebespaars nahelegen mußte, das sie sich zum ominösen Vorbild erkoren hatten. – –


II.

Schneeflocken wirbelten, der Winter hatte sich plötzlich auf seine lang vernachlässigte Pflicht besonnen. Stimmte ihn die Ankunft des Prinzen so diensteifrig? Fürchtete er vielleicht, ein höheres Kommando könnte nächstens einmal ebenso überraschend die Jahreszeiten besichtigen? – Die Vorderseite des Gesellschaftshauses in X. war mit den Fahnen aller Nationen geschmückt und darunter stand, mehr durch die Empfindung der Kälte, als den Mangel an Raum zusammengedrängt, die neugierige Menge derer, welche in X. sonst nicht unter den Fahnen standen, denn die Truppen waren der Ordnung wegen in den Kasernen konsignirt. Wagen um Wagen rollte über den knarrenden Schnee und entledigte sich vor dem Portal, das zwei bärtige Landsknechte bewachten, seiner kostbaren Fracht. Dicke Mäntel und Pelze verhüllten die Gestalten, nur zwischendurch glitzerte hier und dort ein Stück Goldborde oder ein Ordensstern, wie die glühende Lava durch die Ritzen eines geborstenen Vulkans, und wer in die Herzen hätte sehen können, würde wohl auch da etwas von der in solchen Feuerbergen herrschenden Gährung bemerkt haben. Im großen Saal, zu dessen Dekoration Zeug- und Treibhaus ihre Trophäen geliefert hatten, wogte es von Rittern und Türken, Odalisken und Edelfräulein; Sternau schärfte ihnen allen mit lebhaftem Geberdespiel nochmals ihre Rollen ein. An der Thür standen die beiden Kommandeusen gleichfalls im Kostüm und am Fuß der Treppe die Kommandeurs in Uniform, des erlauchten Gasts harrend. Jetzt erschollen gedämpfte Hochrufe auf der Straße, plötzliche athemlose Stille herrschte im Saal, dann folgte eine tiefe, allgemeine Verbeugung. Er war da!

Von den beiden Obristinnen umrahmt, deren Gatten ehrerbietig etwas zurückstanden, nahm der Prinz auf der teppichbehängten Estrade Platz; sofort setzte die Musik ein und das Menuet begann.

Es würde diese wahrhafte Geschichte ungebührend verlängern, wollte ich mich auf eine Schilderung des nun folgenden Schauspiels einlassen, ich begnüge mich daher, zu sagen, daß es dem künstlerischen Ruf des Helden alle Ehre machte. Der Prinz war von allem, namentlich aber von der Schlußapotheose, deren Symbolik ein von Sternau verfaßtes und von Julia gesprochenes Gedicht erläuterte, höchlichst befriedigt. Er gab dies allen Mitwirkenden zu erkennen und ließ sich mit jedem einzelnen in ein ebenso kurzes, als huldreiches Gespräch ein, aus dem jeder einzelne wieder eine besondere, speciell für ihn berechnete Artigkeit heraushörte. Man ging nun zur zweiten Nummer des Programms, dem Souper über, das in einem kleineren Nebensaal servirt war.

Der hohe Gast mit einem kleineren Häuflein Auserlesener saß an einer besonderen Tafel, an einer andern vereinigten sich die Künstler, und wie, den Umständen angemessen, dort eine friedliche, so herrschte hier eine überaus heitere Stimmung, die ganz allein Hagedorn nicht theilte. Finster und wortkarg saß er neben seiner Türkin, die es gleichwohl an Aufmunterung nicht fehlen ließ, und schleuderte grimmige Blicke nach dem entgegengesetzten Ende der Tafel, wo Sternau in der ihm eigenen lebhaften Art seine Dame bediente und unterhielt, ohne daß beide den Zorn ihres Beobachters im geringsten zu bemerken schienen. Einige scherzhafte Anspielungen der Tischgenossen steigerten diesen noch und das überhastete Hinunterstürzen von Getränken, die der Koran seinen Bekennern verbietet, trug nicht dazu bei, ihn zu beruhigen. Er hatte sich schon stark gegen das Verbot versündigt, als das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_427.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)