[go: up one dir, main page]
More Web Proxy on the site http://driver.im/Zum Inhalt springen

Seite:Meyers b13 s0123.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13

Die Platonische Philosophie selbst ist so wenig wie irgend eine andre Erscheinung in der Geschichte der Philosophie gleich Pallas aus Zeus’ Haupt entsprungen, sondern durch Aneignung und Fortbildung der Vorgänger entstanden. P. hat schon vor seinem Bekanntwerden mit Sokrates durch seinen Lehrer, den Herakliteer Kratylos, Anregungen aus der Schule des „ewigen Flusses“; nach dem Tode des Sokrates durch seinen Aufenthalt in Megara und seine Bekanntschaft mit der eleatischen Philosophie solche aus der Schule des „ewigen Seins“ empfangen. Durch beide wurde er bestimmt, im Gegensatz zu Sokrates, welcher im Kampf gegen die Sophisten die logischen und ethischen Probleme vorangestellt hatte, wieder auf die metaphysischen zurückzugehen und an die Spitze der Philosophie nicht sowohl die Frage nach dem Wahren und Guten, als nach dem wahrhaft Wirklichen (dem schlechthin Seienden) zu stellen. Erstere sollten dadurch keineswegs beseitigt oder zurückgesetzt, sondern vielmehr mit der letztern auf das innigste verschmolzen werden. Das Mittel dazu bot die Sokratische Lehre vom Begriff, welche dieser der Leugnung eines allgemeinen Wahren und Guten durch die Sophisten entgegengestellt hatte. Der Begriff als Zusammenfassung der allen Gliedern einer Art gemeinsamen Merkmale ist ein Unveränderliches und Bleibendes, das allen individuell verschiedenen Auffassungen desselben, wie der Gattungscharakter allen individuell verschiedenen Exemplaren der Gattung, zu Grunde liegt. Derselbe besitzt (als Bleibendes) diejenige Eigenschaft, welche sowohl Herakliteer, die das „Anderswerden“, als Eleaten, welche die „Unveränderlichkeit“ für das Bleibende erklären, als Wesen des Seienden ansehen. Derselbe besitzt aber ferner (als „Einheit der Vielheit“) jene Eigenschaften vereinigt, deren jede für sich von einer der beiden entgegengesetzten Schulen (von den Eleaten die „Einheit ohne Vielheit“, von den Herakliteern die „Vielheit ohne Einheit“) als Wesen des Seienden ausgegeben wird. Durch erstere Bemerkung wird P. veranlaßt, den „Begriff“ (das Allgemeine, die Gattung) für das wahrhaft Seiende zu erklären. Letztere Bemerkung führt ihn dahin, jedes wahrhaft Seiende als eine „Vereinigung von Gegensätzen“, als eine „Harmonie“, anzusehen. Da nun nach Sokrates der Begriff allein Wissen (Wahrheit), das Gute (die Tugend) aber „lehrbar“, also selbst Wissen (Begriff) ist, so fallen, nachdem der Begriff durch P. zum allein wahrhaft Seienden erhoben worden ist, die Umfänge des Wahren und Guten (also des Vernünftigen einer-) und des Seienden (des Wirklichen anderseits) in Eins zusammen. Dieses Vernünftige, welches wirklich, und Wirkliche, welches vernünftig ist (das realisierte Vernünftige), nennt P. Idee und macht es zum ausschließlichen Gegenstand seiner Philosophie als Ideenlehre. Dasselbe ist jedoch keineswegs ein einziges (wie das Sein der Eleaten), sondern da es der Begriffe viele gibt (z. B. Begriff des Guten, des Schönen, der Seele, des Staats etc.) und die Ideen eben nichts andres als hypostasierte Begriffe sind, so muß es nicht nur viele Ideen geben, sondern dieselben müssen auch untereinander (wie es bei den Begriffen der Fall ist) in mannigfachen Verhältnissen der Über- und Unterordnung, Begründung und Abfolge etc. zu einander stehen, und es muß eine Idee geben, welche als „Sonne im Ideenreich“ alle übrigen Ideen unter sich befaßt. Als diese wird von P. die Idee des Guten bezeichnet und dadurch der streng ethisch vollkommene Charakter des gesamten Ideen- als des schlechthinnigen Vernunftreichs aufs stärkste betont. Ebendarum aber sieht sich auch P. im Hinblick auf den unvollkommenen Charakter der sinnlich wahrnehmbaren Welt genötigt, zuzugestehen, daß die Welt der Ideen „nicht von dieser Welt“, sondern als metaphysische Welt zwar das Muster- und Vorbild dieser Welt, selbst aber eine „außer“-, bez. „überweltliche“ Welt sei. P. versetzt daher dieselbe, indem er zum mythischen Ausdruck seine Zuflucht nimmt, in eine jenseit des Fixsterngewölbes auf dessen von uns abgekehrter Seite gelegene und deshalb irdischen Blicken unzugängliche Region, das sogen. Empyreum (den Feuerraum der Pythagoreer). Der Einblick in diese (außer der Sinnlichkeit gelegene) Welt ist der Seele nur, bevor sie in die sinnliche Welt eintritt (vor der Geburt in einen irdischen Leib), oder während des irdischen Daseins nur in Momenten und Zuständen gestattet, wo sie selbst von den Banden der Sinnlichkeit frei, also entweder (wie der Seher und Dichter) von einem „heiligen Wahnsinn“ berauscht, oder (wie der Philosoph) über die niedern Stufen des sinnlichen Wahrnehmens und mathematischen Denkens hinaus in den Besitz der Philosophie (der Ideenlehre) gelangt ist. Wie die Ideenwelt die einzige wirkliche Welt, so ist die Ideenlehre die einzige wirkliche Wissenschaft, obgleich niemand ohne Vorbereitung durch das Studium der „Geometrie“ (der mathematischen Wissenschaften) zu derselben gelangen kann. Dieselbe ist im Grund als Wissenschaft vom wahrhaft Seienden (nach modernem Sprachgebrauch) ausschließlich Metaphysik, da das Seiende aber mit dem Wahren und Guten identisch ist, zugleich Logik und Ethik. Eine Scheidung der einzelnen philosophischen Disziplinen findet daher bei P. ebensowenig statt wie (trotz mannigfacher Ansätze) ein eigentliches System. Dagegen wird von dem ausschließlichen Gegenstand der Philosophie (den Ideen) entweder im allgemeinen (von deren Wesen, Eigenschaften, Zusammenhang etc.) oder im besondern (von Wesen, Eigenschaften, Folgen etc. einzelner Ideen) gehandelt. Jenes geschieht in der sogen. Dialektik, die er die Wissenschaft vom wahrhaft und unwandelbar Seienden nennt, dieses in den gesprächsweise belehrenden Abhandlungen einzelner Ideen (wie z. B. jener des Schönen im Gastmahl, des Guten im Philebos, des Staats in der Republik, der Seele im Phädon, des Weltgebäudes im Timäos u. dgl.), welche die Stelle der einzelnen philosophischen Wissenschaften (Ästhetik, Ethik, Politik, Psychologie, Kosmologie etc.) vertreten. Die Methode, die er in diesen befolgt, besteht darin, daß er das Seiende, welches als Idee eine „Vereinigung von Gegensätzen“ ist, zuerst in seine Gegensätze zerlegt und durch ein gemeinsames Band dieser letztern das richtige Verhältnis, die Harmonie zwischen den Gegensätzen, herstellt. So ist die Seele als Idee zwar ein „Einfaches“; aber sie setzt nichtsdestoweniger „Teile“ voraus, die sich zu einander wie „Vernünftiges“ und „Vernunftloses“ (also als Gegensätze) verhalten, und deren letzterer abermals in zwei Teile, einen bessern (dem Vernünftigen verwandten) und einen schlechtern (vom Vernünftigen abgewandten), gespalten ist. Durch den zwar vernunftlosen, aber der Vernunft nicht ab-, sondern zugewandten Teil (den P. den „Mut“ nennt) wird zwischen der Vernunft und ihrem Gegenteil ein Band hergestellt und durch dieses das „Leben“, welches „Eins mit der Seele“ ist und zu dieser gehört wie „die Wärme zum Feuer“. Da nun das Feuer zu erwärmen nicht aufhören kann, so schließt P., daß auch die Seele zu leben nicht aufhören und ebensowenig zu leben angefangen haben könne, und erweist mittels dessen sowohl die Präexistenz der Seele vor der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b13_s0123.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)