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Eine Gemsjagd

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Eine Gemsjagd
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 588–590
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 46
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Bearbeitungsstand
fertig
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[588]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 46. Eine Gemsjagd.


Sonnenklar strahlte ein reifkalter Spätoctobermorgen über die Berge herein – irre ich nicht, war’s gerade am Tage St. Galli, als der Herzog Ernst der Zweite von Sachsen-Coburg-Gotha, der rastlose Jäger, in seinen ausgedehnten wildreichen Revieren der Hinterriß in Tirol die erste Treibjagd des Jahres auf Gemsen abhielt. Nach frühzeitig erfolgtem Aufstieg in die Berge bis hinauf zu den Schroffen der Hochalpen, wo die Jagd abgehalten werden sollte, waren die Schützen endlich an ihrem Bestimmungsorte angekommen, vom dienstthuenden Wildmeister bald angestellt, und zwar so, daß der gezwungene Wechsel, den die Gemsen vor den Treibern nothwendig annehmen mußten, an erster Stelle vom hohen Jagdherrn selbst, ihm zur Seite aber durch den Prinzen Leiningen und den Grafen Erbach-Erbach besetzt ward. Weiter unten hingegen, am Fuße einer gerölligen Halde und dicht vor einer Latschendickung, hatten Mr. Barnard, der damalige englische Gesandte am Coburger Hofe, Freund Gerstäcker und meine Wenigkeit ihre Stände angewiesen bekommen. Nachdem hiernach das Signal, der sogenannte Hebschuß, zum Ablaufen für die in stundenweitem Umkreise harrenden Treiber gegeben worden war, schlug mir, dem Neuling in dieser Art Jagd, denn doch das Herz merklich heftiger; regte mich doch die Hoffnung auf möglichen, mir gewünschten „guten Anblick“ und dabei anzubringenden erfolgreichen Schuß nicht wenig auf. Um so vorsichtiger und strenger nahm ich Alles in Obacht, um ja nicht durch eine etwa jählings über mich kommende Ueberraschung außer Fassung gebracht und gar vom Jagdfieber ergriffen zu werden. Darum stand ich denn regungslos wie aus Stein gemeißelt, nur des Auges unmerkliche Bewegung zum Umblick nach allen Richtungen hin nicht hemmend, und wartete so in der mich umgebenden lautlosen Gebirgseinsamkeit mit Spannung der Dinge, die da kommen sollten.

Dabei mochte wohl schon gut eine volle Stunde vergangen sein; inzwischen hatte auch nicht ein einziger Ton das lauschende Ohr berührt, aus dem man die Annäherung von Wild oder Treibern hatte schließen können; kein Zeichen bekundete dem bis zur Ueberreizung ausspähendem Auge auch nur das Geringste vom Gange der zu erhoffenden Jagd – da, endlich, an einer fernen, mir [589] gegenüber gelegenen, jäh abstürzenden Wand erschien plötzlich ein am schwindelnden Hange sich fortbewegendes Pünktchen, das für eine Gemse halten zu dürfen ich meiner aufgeregten Phantasie gern verwilligte, besonders da ihm in einiger Entfernung ein gleiches Etwas folgte. Als aber in ganz gemessenen Abständen dieselbe Erscheinung sich wiederholte und so zuletzt eine Kette lebendiger Punkte bildete, da muthmaßte ich, wie es sich später auch als richtig herausstellte, daß es die Linie der Treiberleute sein möchte,

Gemsen auf der Flucht.
Nach der Natur aufgenommen von Guido Hammer.

die, in für mich geradezu unbegreiflicher Weise, am schaurigen Gesenke ihren Weg hinnahmen. Indeß zerbrach ich mir hierüber nicht weiter den Kopf, hatte doch der Leben bietende Anblick wahrhaft erlösend auf mich gewirkt und den Bann, der ob der langen, vergeblichen Erwartung schon recht drückend auf mir gelastet, mit einem Male gebrochen; froh und frei darüber aufathmend, fühlte ich, wie sich im Nu alle meine Lebensgeister wieder zu neuer Hoffnung anfrischten. In dieser bekümmerte es mich denn auch durchaus nicht, daß die lebendigen Colonnen wieder hinter vorspringenden Gebirgsmassen verschwanden, wenigstens konnte ich mir nun aus dem Erspähten schon leichter ein Bild vom Getriebe der mir so neuartigen Jagd schaffen, ein Umstand, der mich meinen aufmerkenden Blick nun auch nicht mehr, wie erst, allzu sehr in’s Unbestimmte hinaus richten ließ.

Wiederum war geraume Zeit verflossen, in welcher all mein Denken in erneuerter Erwartung sich gipfelte, als ein Ton an mein Ohr schlug, welcher mich mit freudigem Bangen erfüllte, glich er doch genau dem mir von Gebirgsjägern als Warnzeichen der Wachtgemsen bezeichneten. Ich mußte also eine Gefahr witternde Gemse in der Nähe vermuthen. Und in der That hatte ich richtig geschlossen; denn nicht lange nach nochmaliger Wiederholung des gleichen Lautes fiel der erste dröhnende, die tiefe Stille weithin durchhallende Schuß vom Stande des Herzogs aus, dem rasch hinter einander noch vier Schüsse folgten, sodaß das knatternde Echo in dem vielfach zerrissenen Geklüft unserer Umgebung kein Ende nehmen wollte.

[590] Wenige Minuten darauf aber bot sich mir ein Anblick dar, der mich beinahe vergessen ließ, daß ich selber mit der Büchse in der Hand dastand; so sehr ward davon vor Allem mein Malerauge in Anspruch genommen. Und dies konnte – leider! muß ich hinzufügen – auch ohne Eintrag für den Jäger in mir geschehen; denn die in vollster Flucht daherstürmenden Gemsen, die eben dem Herzog angelaufen und von ihm und seinen beiden Nebenschützen beschossen worden waren, bogen, ehe sie uns Untenstehenden auf Schußweite nahe gekommen, ab, dabei seitwärts eine kleine grasige mit Steintrümmern übersäete Blöße überfliehend, und strebten wieder der Höhe zu, wobei sie denn abermals in’s Feuer der dort verbliebenen fürstlichen Schützen kamen. Offenbar scheute das geängstete Wild die weitere Tiefe, in welcher unser Kleeblatt verloren Posto gefaßt.

Diesmal ward ich Augenzeuge der unmittelbaren Wirkung des Feuers. Da ich jede Aussicht auf einen anzubringenden Schuß aufgeben mußte, war ich nur noch bestrebt, das mir so interessante Alpenwild möglichst lange im Auge zu behalten. Zu diesem Zweck umsprang ich behend eine mir die Aussicht versperrende, weit vorschneidende Felsenkante und konnte so denn auch wirklich die unvergleichliche Flucht der unaufhaltsam Emporstürmenden weithin verfolgen und mit ansehen, wie eben ein stattlicher Bock aus der Mitte des Rudels die Kugel empfing. Davon augenblicklich zum Tode verwundet, stürzte das edle Thier rücklings zusammen und kopfüber in die jähe Tiefe.

Die anderen Flüchtigen aber, denen noch mehrere Schüsse, doch ohne sichtbaren Erfolg, nachgesandt wurden, flohen nun in verdoppelt beschleunigter Hast über das angenommene zerklüftete Terrain dahin. Mit unglaublichen Sätzen überfielen hierbei die auf’s Aeußerste Erschreckten die ihren Pfad kreuzenden gähnenden Risse und Schlünde, sodaß die stahlgesehnten Springer wie im Fluge über das starre Geklipp und auf kaum handbreit erscheinenden Simsen der senkrecht abstürzenden Felsenwände hineilten, um ihre schützenden, für Menschen unzugänglichen Stände in den himmelanstrebenden Jochen zu gewinnen. Dabei hörte man noch lange hinterher, als bereits das letzte Stück außer Sicht gekommen, daß durch die eisenharten Schalen der Entschwundenen losgetretene lockere Gestein zur unabsehbaren Tiefe poltern.

Darauf aber folgte lautlose Ruhe – tiefes Grabesschweigen lag wieder ringsum über dem weiten, weiten Gebirge, als berge es auch nicht ein lebendes Wesen mehr in sich. Doch bald schwand diese Täuschung. Der in Alles eingreifende Mensch störte von Neuem die hehre Naturstimmung; aus dem Lärmen der beendeten Jagd erscholl nun das Abrufen der Schützen von ihren Ständen, und in das Juchzen und Jägergeschrei aus den Reihen der Treiber und des anderen Trosses mischte sich der frohe Jubel der glücklichen Schützen. Heitere, lustige Lebendigkeit trat überall an die Stelle der kaum entflohenen Todtenstille.

Als das ganze laute Jagdvölkchen zum Sammelorte gekommen, ergab es sich, wie viel der Beute errungen worden war; sie betrug im Ganzen immerhin fünf Gemsen. Vier Stück davon wurden von den herzukommenden Treibern sofort zur Stelle gebracht und gestreckt, während der zuletzt geschossene Bock, den ich abstürzen sah, erst noch von dem ihm nachgestiegenen Jäger heraufgebracht werden mußte. Die glücklichen Erleger des gefällten Wildes aber waren der waidgerechte, selten fehlende Herzog – mit drei Böcken, den eben zur Tiefe gefallenen mit inbegriffen – sowie der Prinz und der Graf, die je eine Gemse geschossen hatten. Außerdem waren noch mehrere Stück als angeschossen angesagt, auf deren Schweißspuren die geübtesten Jäger nun noch nachzogen.

Jetzt ward zum Abstieg verschritten. Bald erreichte die Jagdgesellschaft nebst dem ganzen nachfolgenden Troß eine verlassene Alm, auf deren noch saftig grüner Matte ein Pürschhaus stand; hier war bereits für den Herzog und seine Gäste ein schmackhaftes Mahl, aus Gems- und anderm Wildbraten nebst Tiroler Wein bestehend, vorbereitet und wurde von uns Allen in heiterster Laune und mit nicht wenig geschärfter Eßlust eingenommen. Dabei umstanden die Jäger und Treiber in malerischen Gruppen das Jagdhäuschen, an dessen vorgreifender Dachrinne einstweilen die erbeuteten Gemsen vermittelst ihrer Krickeln aufgehangen worden waren. Die wetterharten Männer genossen ebenfalls in ausgelassener Frohheit den ihnen gebotenen Imbiß. Nach dieser allgemeinen Stärkung ging’s dann unverweilt weiter bergein, hinab bis zum Thale, wo im hirschgeweihgeschmückten Saale des reizend gelegenen herzoglichen Jagdschlosses das Diner unser wartete.

Dieses Diner aber, welches durch die Betheiligung der geistvollen und anmuthigen Frau Herzogin verschönt wurde, gab dem so genußreich verlaufenen Jagdtage erst die rechte Weihe.

Und in unverlöschlicher Erinnerung an jene schönen Stunden, die mir bei meinem neuesten Besuche der Hinterriß im letztvergangenen Sommer wieder in lebendiger Frische vor die Seele traten, ist es mir ein wahres Herzensbedürfniß, an dieser Stelle schließlich noch dem ritterlichsten Alpenjäger, der mir so Herrliches geboten, in Dankbarkeit und mit ehrerbietigstem Gruß ein herzliches, bestgemeintes Waidmanns-Heil! zuzurufen.