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Textdaten
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Autor:
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Titel: Windstille mit Tragödie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 347–348
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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[347] Windstille mit Tragödie. Schrecklich sind Stürme auf dem Meere, aber bei Weitem entsetzlicher ist ein Feind auf den tropischen Gewässern, die Windstille. Wenn sie sich um Segelschiffe lagert und es auf dem flüssigen Elemente unter den gerade herabglühenden Sonnenstrahlen festnagelt, die letzten Reste des Wassers und dann das Blut und Mark in den Menschen ausdörrt, ohne daß sich Jemand schützen und wehren kann, dann erreicht die Grausamkeit der Natur ihren höchsten Grad, von dem man sich kaum in der brennendsten Sandwüste Afrika’s einen Begriff machen kann. Von einem Journale eines unlängst nach England zurückgekehrten Schiffes entnehmen wir eine Skizze solcher Windstille, welche eine der einfachsten aber entsetzlichsten Tragödien einschließt.

Das Schiff lag glühend auf dem Wasser, das von Unten heiß emporathmete, während die Sonne sengend herabschoß. Es lag bewegungslos auf der glühenden, festen Platte des Wassers seit drei Tagen und Nächten. Niemand konnte mehr in den üblichen dünnen Schuhen über das Deck gehen: es brannte durch. Der Pech- und Oelanstrich war in harten Zacken und Splittern aufgesprungen, und die Verpichung zwischen den Planken mußte durch forwährendes Begießen gehalten werden, da sie überall herauszuschmelzen drohte. Das Trinkwasser in den Fässern unten war zu einem zähen Leim zusammengetrocknet und so geschwunden, daß auch Besorgnisse wegen dieses Labsals laut wurden. Auf dem Meere hatte sich eine dicke Haut gebildet, welche nur hier und da von den umherlauernden Hayfischen zerrissen ward. Sie warteten, wie die Matrosen steif und fest behaupteten, auf einen Jonas, auf ein Opfer, das ihnen vom Schiffe bestimmt war. Zwei Seegänse (Albatrosses) waren hoch über dem Schiffe schwebend entdeckt worden. Diese galten ihnen als Vorboten der Erfüllung dieser Bestimmung. Merkwürdig genug, daß sie in ihrem Aberglauben auf eine furchtbare Weise bestärkt wurden. Ein junger, heiterer, vornehmer Engländer, einer von unseren Kajüten-Passagieren, der von England, wo er seine „Erziehung“ geholt, um zu seinen Aeltern zurückzukehren, hatte einige Tage vorher zwei Möven in weiter Entfernung geschossen und getroffen. Möven sind für unsere Matrosen eine Art Heiligthum. Sie sagten daher, der junge Engländer werde von den Hayen erwartet, er sei ihnen bestimmt und verfallen.

So lange wir uns noch leidlich auf den Beinen fühlten, machten wir verschiedene Versuche, eins der größten Scheusale des Meeres, einen Hay, zu fangen, aber vergebens. Nur ein Matrose, der oben die Wache hatte, machte am dritten Tage noch einen Versuch, ein solches Ungethüm mit einem großen Stück Schweinefleisch an einem ungeheuern Haken zu tödten. Das Fleisch lag etwa 20 Yards vom Hintertheile des Schiffes. Plötzlich schrie der Matrose, daß sich ein Hay nahe. Wir stiegen hinauf zu ihm und sahen das lange Ungeheuer mit seinem langen, schwarzen, dünnen Schweife in dem dicken Wasser spielen. Zuweilen erhob es sich bis drei Fuß über das Wasser empor mit seinen scheußlichen, weiten Rachen gappend. Offenbar merkte er aber, daß mit dem von ihm gewitterten Bissen Gefahr verbunden sei. Er schlang sich drum herum, steckte seine scheußliche Nase heraus, um zu wittern und wand sich dann in verschiedenen Bogen immer wieder durch den grauen Schlamm. Endlich siegte seine natürliche Verschlingungswuth; er stürzte sich auf das Fleisch mit blitzartiger Schnelligkeit, schoß aus dem Wasser, warf sich auf die Seite und zeigte zum ersten Male seinen ekelhaft grauen Bauch und den unbeschreiblich großen, grauenhaften Rachen mit dem bedeutend kürzeren Unterkiefer. Diese Verkürzung ist wahrscheinlich der Grund, weshalb der Hay seine Beute stets in ganz eigenthümlicher Manier ergreift, dadurch, daß er sich auf die Seite wirft, und entweder von Unten oder Oben seitwärts zubeißt. Er stürzte sich von Oben über das Fleisch, schnappte, daß das Wasser weit umher spritzte und verschwand. Der Schmerz von dem verschlungenen Haken trieb ihn wieder in die Höhe; er schlug mit furchtbaren Krämpfen umher, und blitzte zackig durch das dicke Wasser. Wir versuchten ihn heranzuziehen, aber er hatte noch zu viel Kraft, als daß wir es ernstlich hätten wagen können. Das Tau war ziemlich schwach, er konnte es gar zu leicht zerreißen (wie er auch nachher es wirklich that). So ließen wir ihn noch eine Zeit lang kämpfen und sahen mit Erstaunen, daß er zu der größten, furchtbarsten, gefräßigsten Species gehörte, und nicht unter 18 Fuß Länge sein konnte.

Jetzt konnte sich der junge Engländer, Mr. Willis, nicht mehr halten. Er bestand darauf, daß er ihm, nach Art der Grönland-Wallfischfänger, den coup de grace, den Todesstoß, mit einer Harpune versetze. Der Kapitain warnte ihn und verweigerte ihm endlich das Boot. Dadurch nur noch mehr gereizt, lief Willis mit einer mächtigen Harpune auf den Besanmast-Gang hinaus und wartete mit hochausholendem Arme auf das nächste Auftauchen des Hay’s. Dieser näherte sich, Willis erhob sich mit aller Kraft, und die Harpune sauste wie ein Pfeil aus seiner Hand. Eine von den gewöhnlichen, blitzartigen, elastischen Schwenkungen, die sein Feind in diesem Augenblicke machte, nahm der Waffe ihre Macht; sie verletzte ihn, traf ihn aber nicht in’s Innere. Willis hatte mit solcher Leidenschaft geworfen, daß ihm dabei das Gleichgewicht verloren gegangen war. Er schwankte und graspte eine Zeit lang umher, um sich irgendwo anzuhalten, wurde aber dadurch nur unsicherer und stürzte mit einem furchtbaren Gekreisch hinunter in’s Meer, dicht neben dem jetzt noch wüthender gewordenen Ungethüme. Der Schrei setzte sich durch’s ganze Schiff fort, ein Tau ward sofort zu ihm hinabgeschleudert und zugleich ein Boot hinuntergelassen und bemannt. Willis hatte das Tau ergriffen und ward in die Höhe gezogen, aber vor Schrecken erstarrt, ließen die ziehenden Matrosen nach, als der Hay gleichsam auf dem Wasser sich festsetzte, wie ein Tiger zum Sprunge, und mit einem furchtbaren Satze ganz aus dem Wasser heraus nach seiner Beute sprang. Willis, am Taue hängend, stieß den durchdringendsten Schmerzensschrei aus, der Hay fiel mit einem weit umherspritzenden Geräusch in’s Wasser zurück, auf dessen aufspritzende Wellen das Blut des Unglücklichen dick herabschoß. Es hing nur noch ein Stumpf an dem Taue. Beide Beine waren ihm von oberhalb der Knieen abgerissen. Wir sahen ihn in Convulsionen und tödtlich erblassend noch ein Paar Secunden sich festklammern, doch seine Kraft strömte rasch aus, sein Schrei verstummte, er fiel in’s Meer zurück und verschwand zwischen dessen blutgefärbten Wellen. Ein Gurgeln unten, ein [348] furchtbares Aufklatschen des Hay’s, und Jeder wußte, was geschehen war. Die Matrosen im Boote bemerkten bald in einiger Entfernung blutiges Aufquellen. Sie überzeugten sich bald, was es war: etwas menschliche Eingeweide, Alles, was von dem jungen, reichen, hoffnungsvollen, übermüthig gesunden Willis übrig geblieben war.

Die Matrosen blickten sich gedankenvoll an und wetteten, daß nun die Hitze und die Windstille bald weichen würden. Das Schicksal habe nun seinen Willen, die Möven und das Meer hätten ihr Opfer bekommen und seien nun zufrieden. Noch in derselben Stunde erschienen leichte Kreiselchen und Wellen von ferne auf dem weiten Meeresspiegel, Federn und Haare in die Luft gehalten, bewegten sich, es wurde kühler und kühler, die matten Segel fingen an, erst sich oben, dann weiter unten zu schwellen, das Schiff bekam Steuerkraft und noch an demselben Tage schnitten wir durch klare, lustig plaudernde Wogen, fern von dem blutigen, heißen, stillen Sumpfe, der das Schiff Tage lang umlagert hatte. Die Matrosen sind seitdem die stärksten Fatalisten und behaupten, daß sie weder Windstille noch Sturm, noch irgend ein Unglück fürchten, da keine Macht der Erde ihnen etwas anhaben könne, wenn es nicht ihre Bestimmung sei, und keine Vorsicht und Klugheit sie vor dem ihnen zuerkannten Schicksale zu retten vermöge. So ein einziger Fall pflanzt sich als Beweissatz des Aberglaubens durch die ganze Matrosenschaft fort, und tausend andere Fälle, welche diesen Aberglauben Lügen strafen, sind nicht im Stande, ihn zu erschüttern. So ist der Mensch ohne Kultur zu Wasser und zu Lande: was er glauben will und nach seiner Bornirtheit muß, dafür findet er leicht einen trügerischen Beweis: was ihn widerlegt, weiset er ab, ob man ihn auch Tag für Tag damit bombardire.