[go: up one dir, main page]
More Web Proxy on the site http://driver.im/

Seite:Die Gartenlaube (1860) 247.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sofort den Beamten der Polizei, der das Verhör geleitet hatte, in den Sitzungssaal als Zeugen eintreten, und es ergab sich aus seiner Mittheilung Folgendes: In der Woche vorher war zu den Eheleuten Boller ein Fremder gekommen, hatte sich als einen Freund ihres Verwandten Weidmann vorgestellt und ihnen anvertraut, die Leuthold habe von dem Weidmannschen Gelde 40,000 Franken „verkochet“ (vergraben); die Kapuziner in Rapperschwyl könnten das Geld heben; es gehöre aber Geld dazu, ob sie es daran setzen wollten? Etwas von dem Schatze habe er schon, 6400 Franken; er wolle sie ihnen in Versatz lassen, wenn sie ihm das Geld für Hebung des Ganzen gäben. Die Leute borgten 210 Franken zusammen und gaben sie dem Betrüger, der ihnen dafür ein schweres verschlossenes Kästchen zurückließ. Sie schickten ihn in ihrem Glauben zugleich an den (Mitangeklagten) Mobiliarhändler Kambli, von dem die Leuthold gleichfalls Geld geliehen hatte. Kambli aber überlieferte ihn der Polizei. Das Kästchen enthielt Steine und Straßenschmutz. Der Betrüger hatte gestanden.

Die Beweisaufnahme über den Betrug gegen Weidmann war damit dem Wesen nach beendet. Der Präsident befragte sofort den Ehemann Leuthold. Die Frau Leuthold schied für den Fall aus; sie hatte schuldig plaidirt. Der Mann war der Theilnahme angeklagt, dadurch, daß er die sämmtlichen oben genannten und während der Vernehmung der Zeugen verlesenen Briefe geschrieben habe. Er erkannte an, daß er die Briefe geschrieben, aber er leugnete, irgend etwas von dem betrügerischen Thun und Treiben seiner Frau gewußt zu haben; er habe die Briefe willenlos abschreiben müssen, „sonst hätte sie mich verzehrt.“ Sie sei immer „wüst“ gegen ihn gewesen. Sie habe mit Geistern geflüstert und ihn dann weggeschickt. Er habe geglaubt, daß sie viel Vermögen vom Obersten Kunz habe. „Hochgeachteter Herr Präsident, hochgeachtete Herren! ich bin von meiner Frau und von Weidmann hinter’s Licht geführt worden.“ Hier war es, wo seine Frau, zum ersten Male aufsehend, ihm den Blick voll Hohn und Verachtung zuwarf.

Daß die Frau entschieden das Regiment geführt hatte, wurde noch durch zwei Mägde, die im Hause gedient hatten, bestätigt. Sie selbst leugnete es auch nicht. „Er hat mich geschlagen, ich habe ihn geschlagen,“ sagte sie zwar als sie dann aber gefragt wurde: „Wer hat im Hause regiert?“ antwortete sie ohne Zögern: „Ich!“ Trotzdem stand ihm entgegen, daß er ungeachtet aller Verstellung, ein alter, abgefeimter, oft bestrafter Betrüger war; daß er vor seiner Heirath seine Frau als Zuchthäuslerin gekannt; daß sie später aus Armenmitteln ernährt worden; daß sie in Folge ihres Verkehrs mit Weidmann, also auch der von ihm geschriebenen, stets Geld fordernden und den Empfang von Geld anzeigenden Briefe, auf einmal in den Besitz von vielem Gelde gekommen, mit ihm eine eigene Wohnung gemiethet, diese elegant eingerichtet, Mägde gehalten und gar luxuriös gelebt habe.

Seine Verurtheilung durfte unbedenklich erwartet werden, und wurde allgemein erwartet. Es konnte sich nur fragen, ob ihm der ganze erschwindelte Betrag von 14,000 Franken werde zugerechnet werden. Das Züricher Strafgesetzbuch stuft die Strafe des Betrugs nach dem höheren oder geringeren Betrage desselben verschieden ab.




2. Betrug gegen den Silberarbeiter Knecht.

Die Frau Leuthold wollte von dem Gelde, das sie von dem armen Weidmann erschwindelt hatte, auch gut, selbst elegant leben. Unter Anderem schaffte sie sich eine Menge Luxusgegenstände an. Namentlich entnahm sie im Sommer und Herbst (1859) von dem Silberarbeiter Knecht in Zürich goldene Uhren, goldene Ketten, Bracelets, Brochen u. s. w. zu bedeutenden Beträgen. Sie bezahlte jedesmal gleich baar. An, 3. November kaufte sie wieder bei ihm für 1158 Franken, aber ohne zu bezahlen, sie versprach schriftlich Zahlung zu Martini, also in acht Tagen, wo ihre Zinsen eingingen. Knecht creditirte unbedenklich der Frau, die er nach dem Vorhergegangenen für reich hielt. Er erhielt aber zu Martini kein Geld, erkundigte sich nun näher nach den Leuthold’s, erfuhr, daß sie „Lumpenpack“ seien, und begab sich zu der Frau Leuthold in ihre Wohnung, sofortige Bezahlung oder Zurückgabe der gekauften Waare fordernd. Sie suchte ihn anfangs hinzuhalten, als er aber nicht wich, schrieb sie ein Billet, schickte es fort und gab ihm nach einer Viertelstunde die sämmtlichen gekauften Sachen zurück, und zwar noch in derselben Verpackung, in der sie sie von ihm erhalten hatte.

Der Zeuge Knecht – Damnificat konnte man ihn nicht nennen, weil er nicht den geringsten Schaden erlitten hatte – trug selbst die Sache mit vielem Humor so vor. Seine Aussage wurde ergänzt durch das Zeugniß eines in der Nähe der Frau Leuthold wohnhaften Specereihändlers. Von diesem hatte die Frau Leuthold im November ein Darlehn von 600 Franken entnommen, unter Verpfändung jener Waaren. Einige Tage nachher hatte sie mit einem Billet die 600 Franken ihm zurückgeschickt und dafür die Pfänder zurück erhalten.

Die Frau Leuthold gab die vorgetragenen Thatsachen zu, wollte aber den von der Staatsanwaltschaft angeklagten Betrug um 1158 Franken nicht darin finden. Sie habe weder die Absicht gehabt, den Knecht zu betrügen, noch sei sie unvermögend gewesen, ihn zu bezahlen. Der beste Beweis sei, daß sie Geld gehabt habe, die Sachen sofort einzulösen. Sie habe sich nur nicht auf einmal von dem Gelde entblößen wollen. Hätte sie die Absicht zu betrügen gehabt, so würde sie die Sachen verkauft, anstatt versetzt haben.

Das Zürcherische Strafgesetzbuch faßt zwar (im § 239) den Begriff des Betruges sehr weit auf: „Jede zum Nachtheil der Rechte eines Anderen absichtlich unternommene Täuschung, sie mag durch Erzeugung eines Irrthums oder durch unerlaubte Vorenthaltung oder Unterdrückung der Wahrheit geschehen, ist Betrug.“

Gleichwohl glaubte man hier, da weder eine absichtliche Täuschung anzunehmen sei, noch eine Rechtsverletzung vorliege – Knecht selbst hatte sich befriedigt erklärt – ein Nichtschuldig der Geschworenen erwarten zu dürfen.




3. Betrug gegen den Dr. A.[1]

Die Leuthold, als sie zu Gelde gekommen war, wollte alle ihre Liebhabereien befriedigen, und sie hatte deren mancherlei. Unter anderen suchte sie junge Männer an sich zu ziehen, und besonders hatte sie es auf junge Aerzte abgesehen. Sie fingirte zu dem Zwecke allerlei Krankheiten, am liebsten solche, die kein Arzt kannte und erkennen konnte. Sie ließ sich so nach und nach, in wenig Monaten, von fünfzehn Aerzten aus Zürich und Umgegend behandeln. Alle zogen sich alsbald von ihr zurück, nachdem sie den eigentlichen Zweck des wollüstigen Weibes erkannt hatten.

Nur Einer hatte bei ihr ausgehalten, und sie suchte ihn dauernd an sich zu fesseln. Dazu wählte sie ein eigenthümliches Mittel, das freilich der Staatsanwalt als Betrug ansah.

Sie nahm von der Straße ein ihr völlig fremdes Mädchen, gab es gegen den jungen Arzt für ihre reiche Tochter aus und verlobte es mit ihm, Alles unter allerlei, zum Theil romantischen Zuthaten. Unter Anklage wegen dieses Betruges standen: sie, die Leuthold, das junge Mädchen, Namens Anna Messerschmidt, und die Eheleute Kambli mit der Wittwe Suter, die in Zuführung, Ausputzung etc. des jungen Mädchens, und also zu dem verübten Betruge geholfen haben sollten.

Der Betrogene war der Doctor der Medicin A. Das Publikum urtheilte schon vor der Verhandlung anders, ja strenger über ihn, als über die Angeklagten. Er habe um des schlechten Weibes und der leichtfertigen Person willen eine brave Braut sitzen lassen, hieß es; er habe mit dem Weibe wohlgelebt; er habe sich theure Geschenke von ihr machen lasten, und es werde in der öffentlichen Verhandlung noch manches Andere zum Vorschein kommen. Ein solcher Mensch wolle sich als einen Betrogenen darstellen?

Der sogenannte Betrogene selbst mochte gleichfalls wohl fühlen, daß von Betrug gegen ihn nicht viel die Rede sein könne, daß er eigentlich nur gefoppt und zum Narren gehalten sei. Als er als Zeuge vernommen werden sollte, war er nicht da. Dagegen ging ein ärztliches Zeugniß ein, daß er an einem Augenübel leide, durch welches er verhindert werde, das Zimmer zu verlassen.

In dem ganzen Schwurgerichtssaale herrschte augenblicklich eine große Entrüstung. Die sämmtlichen Vertheidiger der fünf Angeklagten erhoben sich einmüthig zu unverhohlener Bezeichnung einer solchen Simulation und zu dem Antrage, unter allen Umständen den Mann in die Schwurgerichtssitzung zu schaffen. Man habe ihn gestern oder vorgestern noch frisch umhergehen sehen; dagegen habe es schon vor mehreren Tagen geheißen, daß er am

  1. Warum ich mich nicht dazu entschließen mochte, den Namen des Mannen mitzutheilen, obwohl Blätter und Broschüren über den Proceß ihn offen nennen, wird das Folgende hinlänglich ergeben.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_247.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)