verschiedene: Die Gartenlaube (1860) | |
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diesem Augenblicke wahrhaftig nicht. Er mußte der Dame laut in das Gesicht lachen. Darüber wurde die Dame wüthend. „Wer ist der freche Mensch?“ rief sie.
„Der Anführer der Bande,“ berichtete der Kreissecrelair.
„Der Lieutenant von Horst,“ sagte der Gefangene.
„Noch Einer!“ rief die Dame, und sie wurde noch wüthender.
„Mensch,“ bemerkte mit amtlichem Ernste der Kreissecrelair, „ich hatte Ihm die Prügel zugeschworen, wenn Er den Namen wieder in den Mund nehme, und meinen Schwur muß ich halten.“
Aber hinter der gnädigen Frau war noch Jemand in die Stube getreten. Fräulein Lucina hatte die erboste Mutter wohl nicht verlassen wollen. Schüchtern genug war sie ihr gefolgt. Entschieden, fast eifrig, trat sie jetzt vor. „Nicht doch, mein Herr,“ sagte sie zu dem Kreissecretair. „Mutter,“ fuhr sie zu der gnädigen Frau fort, „Dieser gleicht dem Portrait Deiner Jugendfreundin, das in Deinem Zimmer hängt.“
„Hier lügt Alles!“ rief die Mutter.
„Und seine Hiebe soll er haben,“ rief der Kreissecretair, der nun einmal ein überzeugter Anhänger des Prügelsystems zu sein schien.
Dem jungen Gefangenen aber trat bei der Drohung der Schweiß nicht wieder auf die Stirn; er warf einen Blick der Dankbarkeit, der Freude, des Entzückens – es war wohl noch mehr darin – auf das schöne, junge, in ihrem Eifer hocherröthete Mädchen. Sie sah den Blick. Ihr Gesicht glühte. Sie wollte beschämt zurücktreten. Der junge Mann flog auf sie zu. Er mußte doch wohl der rechte Gardelieutenant Fritz von Horst sein. Die Gensd'armen wollten ihm wehren. Die gnädige Frau wollte entsetzt zurückspringen, vielleicht gar in Ohnmacht fallen. Das junge Mädchen sah ihm in allem ihrem Erröthen mit einer stillen Freude entgegen. Jenen anderen Fritz von Horst hatte sie nicht umarmen wollen. Diesem hätte sie, trotz alledem und alledem, die Arme geöffnet, wenn nicht – plötzlich wieder die Thür sich geöffnet hätte.
Der Executor des Landrathsamtes, der die mit dem ersten Räuber eingelieferten beiden Frauen abgeführt hatte, stürzte leichenblaß herein. „Sie sind fort!“ rief er.
„Wer? Wer ist fort?“
„Die beiden Weiber der Räuber. Ich hatte einen Augenblick die Wachtstube verlassen und als ich zurückkehrte, waren sie nicht mehr da. Sie müssen mit Hexerei fortgekommen sein.“
„Dieser soll uns auch dafür aufkommen,“ versicherte der Kreissecretair.
Von Neuem öffnete sich die Thür. Ein kurzer, dicker Herr mit einem rothen, aufgeworfenen Gesichte trat in die Stube. Aber über der Röthe des Gesichtn lag es blau, und die Aufgeworfenheit sah sehr niedergeschlagen aus.
„Wo haben Sie meine zehntausend Thaler, Amtmann?“ rief ihm die gnädige Frau entgegen.
„Sie sind geraubt, Euer Gnaden,“ antwortete eine jammervolle Stimme.
„Und Sie haben sie nicht wiederbekommen?“
„Was die Räuber einmal haben, Euer Gnaden –“
„Dieser soll uns für Alles aufkommen!“ rief der Kreissecretair.
Da sah der Amtmann den Gefangenen an, und sein rothblaues Gesicht wäre beinahe weiß geworden. „Um Gotteswillen, das sind ja der Herr Lieutenant Fritz von Horst!“
„Um Gotteswillen!“ rief auch die gnädige Frau.
„Sind Sie Ihrer Sache gewiß?“ fragte noch der vorsichtige Kreissecretair.
„Ich bin ja mit dem Herrn Lieutenant gereist, und mit seinem Freunde, dem Herrn Premierlieutenant von Falkenberg.“
Das Gesicht des Kreissecretairs wurde sehr lang. Seinen Schwur konnte er jetzt nicht mehr halten.
Die gnädige Frau aber bekam ihre natürliche Farbe wieder und rief: „Ja, Lucina, Du hast Recht, dieser trägt die edlen Züge meiner theuren Amalie. Kommen Sie an mein Herz, ganzes Ebenbild meiner Jugendfreundin! Ach, und jener hat die fünfzehntausend Thaler!“ Sie umarmte den jungen Mann lange, dann führte sie ihn zu ihrer Tochter. „Umarme auch Du ihn, Lucina.“ Aber das Fräulein wich zurück. „Wie, Lucina?“ fragte die Mutter.
„Ach, Mutter, wenn der Andere der Räuber war, so hat dieser Herr die Rolle gespielt, die jener uns vorspiegelte.“
„Gewiß,“ versicherte eifrig der Lieutenant.
„Und dann hat er auch –“ Das Fräulein zögerte von Neuem erröthend. Aber ein Zorn, wie klein er sein mochte, gewann plötzlich die Oberhand in ihr. „Dann hat er auch von jener leichtfertigen Person sich anlocken lassen, und sie war – ja, sie war sehr schön.“ Der kleine Zorn preßte sogar Thränen aus den schönen Augen.
Der leichtsinnige Lieutenant aber schwamm in Entzücken, er bog ein Knie vor der jungen Dame, ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen. „Es wird nie, nie wieder geschehen!“
„Nie?“, fragte sie, und sie ließ ihm die Hand.
Noch einmal wurde die Thür geöffnet, und der Landrath, Herr von Eisenring, stand auf der Schwelle des landräthlichen Bureau’s. „Ist es erlaubt, einzutreten? Ich sah Alles hierher gehen.“
„Und Du hast die Birnen verlassen können, Adalbert?“ fragte die gnädige Frau.
„Sie sind schon im Keller.“
Mit lebhaftem Antheil verfolgte Frau von R…g das sich steigernde Pointiren und das wiederholte Parolibiegen eines jungen Officiers, die schwindenden Schätze des Rittmeisters, des Einen Glück, des Andern Unglück! – die Kühnheit des Pointeurs, der plötzlich den ganzen Gewinn auf die eine Karte setzte, die ihm zehnfach Glück gebracht, machte sie verstummen; doch der schnelle Verlust seines rasch erworbenen Reichthums entlockte ihr einen leisen Schrei des Mitleids. Man sah sich um und erkannte die schöne Beobachterin. Die ihr am nächsten Stehenden wichen ehrerbietig zurück, unwillkürlich wurde sie gezwungen vorzutreten und in der folgenden Secunde stand sie Herrn von Blücher am Tische gegenüber.
„Ich suchte meinen Mann!“ sagte sie mit jenem bezaubernden Lächeln um sich blickend, das den eifrigsten Spieler mit der eingetretenen Störung aussöhnte.
„Und erschienen für mich als Glücksgöttin!“ sprach der Rittmeister verbindlich, indem er auf seinen wiedergewonnenen Reichthum deutete. Er fuhr nach kurzer Verbeugung gegen sie im Spiele fort. Sie schien wirklich ihm als Schutzengel gegenüber zu stehen, denn das Glück wandte allen Setzenden den Rücken und blieb ihm treu. Die den Spieltisch umgebende Menge lichtete sich, nachdem nicht Wenige stark verloren hatten.
„Pointiren Sie doch einmal!“ rief plötzlich Herr von D** der eifrig zuschauenden Frau zu.
„Hätte ich Geld bei mir, im Augenblick!“ entgegnete sie mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit und blitzenden Augen.
Herr von Blücher schob ihr Gold zu, rief aber zu gleicher Zeit warnend: „Fordern Sie nicht das Geschick heraus, das Sie mit allen Gaben des Glücks überschüttet! Hier kann es Ihnen unmöglich auch hold sein!“
„Wir wollen sehen!“ rief die schöne Frau übermüthig und legte das erhaltene Gold auf eine Karte.
„Wie? so muthig?“ sprach der Rittmeister staunend und zögernd.
„Bitte, legen Sie Ihre Karten aus!“ entgegnete sie in fieberhafter Hast.
Er that es. Sie verlor.
„Borgen Sie mir mehr, Herr von Blücher.“
„Gern! Doch –“
„Bitte, jenes Gold!“
Der Rittmeister erfüllte den mit Ungeduld ausgesprochenen Wunsch der Dame und reichte ihr 400 Louisd’or.
Frau von R…g setzte 200 Louisd’or auf eine andere Karte. Sie verlor, setzte von Neuem 100, verlor abermals, borgte
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_195.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2021)