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Seite:Die Gartenlaube (1860) 178.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sprang er in den Wagen. Der Kutscher knüpfte schnell die Zügel des Reitpferdes an das Geschirr der Wagenpferde und jagte im Galopp weiter.

„Woher kommst Du, Adolph?“ fragte die blasse Dame den Mann.

„Ich war Dir entgegen geritten, Emilie, wie ich es versprochen hatte, begreife aber nicht, wie ich Dich verfehlen konnte. Ich erfuhr, daß Du schon vorbeigefahren warst, und sprengte Dir nach. Da erlebe ich eine furchtbare Scene: hinter uns ist der Postwagen, er wird plötzlich angegriffen, ich erreichte ihn fast in dem nämlichen Augenblicke und schwankte, ob ich den Ueberfallenen beistehen soll. Aber ich war ohne Waffen und dachte an Dich, an Deine Angst. Du warst in der Nähe mit unserem Kinde und mit Angela. Ich hatte daher keine Wahl und mußte bei Euch sein.“

„Wir hatten unterdeß einen Beschützer gefunden,“ sagte die blasse Frau.

„Einen Beschützer?“

„Die Dunkelheit hat Dir nicht gestattet, ihn zu sehen. Unsere Bitten vermochten ihn, sich unser anzunehmen; dafür wirst auch Du ihm danken, Adolph.“

Der Reiter, der Mann der blassen Frau, sah sich in der Dunkelheit näher um. Die Gestalt des Lieutenants, eines Fremden im Wagen, konnte ihm dabei nicht mehr entgehen. „Mein Herr,“ sagte er verbindlich, „empfangen Sie auch meinen herzlichsten Dank.“

Die Situation des Lieutenants schien ihm wieder peinlicher geworden zu sein; unzweifelhaft dachte er wenigstens über etwas angelegentlich nach. Vielleicht suchte er sich in das Gedächtniß zurückzurufen, ob und wo er schon in Gesellschaft des neuen Reisegefährten gewesen sei. Dann konnte aber nur dessen Stimme Erinnerungen in ihm hervorgerufen haben, denn von der Gestalt des Angekommenen war in der Dunkelheit nichts zu unterscheiden. Vielleicht beschäftigte den muthigen Lieutenant aber auch etwas Anderes. „Die Reisenden des Postwagens wurden ausgeplündert?“ fragte er zerstreut, statt einer Antwort, Und doch dringend, den Andern.

„Ich sah es nicht,“ erwiderte dieser.

„Sie sahen es nicht?“

„Ich mußte begreiflicherweise einen Umweg machen, um von den Räubern nicht bemerkt zu werden.“

„Ah!“ – Aber es war in dem braven Lieutenant plötzlich ein Entschluß entstanden.

„Mein Herr,“ sagte er, „die Damen sind jetzt unter Ihrem Schutz, wollen Sie nicht Ihrem, Kutscher befehlen, daß er einen Augenblick halte? Nur einen Augenblick.“

„Zu welchem Zwecke, mein Herr?“

„Ich wünschte auszusteigen.“

„Und –?“

„Und mich nach meinen Reisegefährten im Postwagen umzusehen.“

„Um Gotteswillen!“ riefen die Damen, und er fühlte die schönen Schultern des Fräulein Angela wieder an den seinigen.

Der Mann der blassen Frau erklärte ihm aber entschieden: „Mein Herr, Sie würden dem Tode entgegengehen – es ist eine Gewissenssache für mich, Sie nicht fortzulassen.“

„Und für mich ist es eine Ehrensache, zu gehen.“

Dem großmüthigen Streite wurde ein schnelles Ende gemacht. Hinter dem Wagen wurde abermals ein Galopp, diesmal jedoch von mehreren Pferden, laut. Im Augenblick darauf waren drei Reiter am Wagen, und in eben demselben Moment fühlte der junge Gardelieutenant sich umfaßt, nicht zart von warmen, runden, weichen Armen, sondern sehr hart und fest, wie von starken, stählernen Reifen.

„Aber zum Teufel, Herr!“ rief der Lieutenant dem Manne der blassen Frau zu; denn dieser war es, der ihn plötzlich so umarmte. Und der Lieutenant hatte nicht minder kräftige Arme und wehrte sich kräftig damit, allein er konnte sich dennoch nicht losringen. Zu den starken stählernen Reifen kamen die runden, weichen Arme hinzu, und auch sie hatten Kraft. Der arme Lieutenant konnte sich nicht rühren, viel weniger zu seinen Pistolen gelangen, die er unter dem Mantel trug. „Teufel!“ knirschte er mit den Zähnen.

Er war gefangen, er erkannte sich gefangen, denn er war in der Gewalt der Räuber. Und er war so leichtsinnig und so schmählich hineingekommen, und sein Leichtsinn sollte noch mehr bestraft werden!

„Hat er Geld bei sich?“ fragte einer der Reiter, die neben dem Wagen herritten.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete der Mann der blassen Dame.

„Man muß ihn durchsuchen!“

„Er hat nichts,“ versicherte spöttisch Fräulein Angela, von welcher der Lieutenant jetzt vollkommen überzeugt war, daß sie nicht seine Braut, Fräulein Lucina von Eisenring, sei.

„Es ist auch gleichgültig,“ erwiderte der Mann, „wir haben für heute genug.“

„Ihr habt den Fang gemacht?“ fragte das Fräulein.

„Vollständig. Die ganzen zehntausend Thaler!“

Der Räuber, denn daß er das war, darüber konnte man ebenfalls nicht mehr im Zweifel sein, schlug pochend auf seine Taschen. „Was ich einmal will,“ fuhr er dann fort, „das muß ich durchsetzen.“

„Und Glück hast Du dazu,“ lachte das Fräulein.

Die Frau des Räubers seufzte. War sie seine Frau? Der Räuber lachte mit dem schönen Fräulein, trotz dem Seufzer der Frau.

„Und was fangen wir mit ihm an?“ fragte darauf das Fräulein. Sie meinte unstreitig den armen Lieutenant.

„Ich schlage vor –“ erwiderte der Räuber.

„Keine Gewalt!“ rief die blasse Frau, und sie sagte es nicht spöttisch sondern flehentlich bittend aus dem Grunde ihres Herzens heraus.

„Zum Teufel!“ entschied ihr Mann, „bindet ihn und werft ihn zum Wagen hinaus! Konrad, halt!“ befahl er dann dem Kutscher.

Der Wagen hielt, die Reiter saßen ab. Aber wiederum wurde der Galopp von Pferden hörbar.

„Konrad, fort!“ befahl der Räuber im Wagen dem Kutscher.

Er befahl es vergebens. Die drei Reiter neben dem Wagen konnten sich wohl wieder rasch auf ihre Pferde schwingen und in rasender Eile nach verschiedenen Richtungen in den Wald hineinsprengen.

Aber der Wagen konnte nicht mehr vorwärts, denn hinter ihm her und ihm entgegen kam der Galopp der Pferde herangesprengt, und nach den Seiten hin war in dem dichten Walde für das Fuhrwerk kein Weg.

„Springt hinaus, in den Wald!“ rief der Räuber den Frauen zu. Dabei warf er ein Packet mit fort zwischen die Bäume. Er selbst wollte dann zuerst hinausspringen; aber jetzt fühlte er sich gehalten, hart und fest, wie von starken, stählernen Reifen, und die starken Arme des Lieutenants hatten auch noch Kraft, den schönen, runden Nacken des spöttischen Fräulein Angela mit zu umfassen, während er zu der blassen Frau sagte: „Madame –“ gnädige Frau sagte der Gardelieuteuant von gutem Adel nicht wieder – „Madame, retten Sie sich.“

Aber die Frau blieb still sitzen; ein Seufzer drängte sich, freilich schwer genug, wieder aus ihrer Brust hervor.

„Teufel!“ knirschte jetzt der Räuber. Mit einer letzten Kraftanstrengung suchte er sich loszureißen. Vergebens. Der Wagen war von Reitern umringt; ein Theil von ihnen trug Fackeln. Die Fackeln beleuchteten ein interessantes Schauspiel. Um den Wagen herum hielt ein Trupp von zehn bis zwölf Gensdarmen, an ihrer Spitze ein riesiger Wachtmeister. Die Mündungen ihrer gespannten Pistolen waren auf den Wagen gerichtet. Unter der weißen Plane des Wagens saßen zwei schöne junge Frauen und zwei schöne junge Männer. Die eine der Frauen war sehr blaß; sie hatte das schmerzvolle, weinende Gesicht über einen Säugling gebeugt, der in ihren Armen ruhete. Die andere hatte sich dicht in ihren rothen Shawl gehüllt; mit großen, schwarzen Augen blickte sie wie verwundert auf die Gensdarmen. Der eine der jungen Männer saß mit dem schönen, muthigen Gesichte stolz aufgerichtet da. Fritz von Horst konnte stolz sein, denn er hatte den Muth bewiesen, den sein Gesicht aussprach.

Aber der andere junge Mann, der neben ihm saß, hatte ein nicht minder stolzes Aussehen, und auch sein Gesicht war nicht minder schön. Voraus hatte er vor seinem Nachbar einen leisen Spott, mit dem er diesen anblickte. Der Lieutenant hatte dafür eine Ueberraschung. Er wußte auf einmal, wo er mit dem Mann schon in Gesellschaft gewesen war. „Der alte Geistliche!“ hätte er beinahe ausgerufen. „Aber wie hat der Mensch so schnell Maske und Kleidung abwerfen können?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_178.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)