verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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Und der Zeuge erzählte auf seinen Eid, Alles, was er und sein verstorbener Freund und Gefährte, der Graf Golzenbach, von jener Bergkuppe aus an der steilen Felsenwand gesehen, und wie er, der Zeuge, wohl den Zwiespalt gewahrt, der zwischen den Gatten sich erhoben, die Vorwürfe des Mannes, den Gram, den Schmerz, die Verzweiflung der Frau, dann vielleicht vergebliche Betheurungen auf der einen, vergebliche Bitten auf der anderen Seite, dabei auf beiden Seiten nur der Gedanke, nur das Gefühl des schweren, tiefen, unheilbaren Unglücks, und in dem Gedanken und Gefühle das Vergessen alles Anderen, selbst der Todesgefahr, die keinen Fußbreit von ihnen war, das Hineinstürzen in die Gefahr, der Fall der Frau, ihr Tod. – Das Alles hatte er, der Zeuge, mit seinen klaren, sicheren, durch keine Leidenschaft und durch kein Vorurtheil getrübten Augen gesehen. Und er erzählte auch, wie der Graf Golzenbach, eine weniger ruhige Natur, durch die Verfolgung und die Wunden doppelt aufgeregt, alle jene nämlichen Thatsachen ganz anders, in einem völlig entgegengesetzten Sinne aufgefaßt habe, habe auffassen müssen, und wie in Folge seiner zweiten Verwundung die Bilder seiner aufgeregten Phantasie mit jeder der wenigen Minuten bis zu seinem Tode sich mehr und mehr zur festen Gewißheit in seinem Innern gestaltet hatten und hatten gestalten müssen.
Das Zeugniß des Freiherrn von Wartenburg war überzeugend, es enthielt die Freisprechung des Angeklagten. Es war nur noch eine Förmlichkeit, wenn die Geschworenen ihr Nichtschuldig aussprachen, der Präsident die Entbindung des Angeklagten von der Anklage und seine Freiheit verkünden mußte. Es geschah.
Die andern Zeugen hatten gleichfalls um der Förmlichkeit willen kurz noch vernommen werden müssen. Es waren die Reisegefährten des Staatsanwalts von Rachenberg und seiner unglücklichen Frau. Sie sahen den Herrn von Wartenburg, der, wie sie, bis zur Beendigung der Verhandlung in dem Zeugenraume verbleiben mußte. Frau Milden sah ihn wieder. Bittere Thränen entströmten den Augen der edlen Frau, als sie den edlen Mann erkannte. Dann aber konnte kein Auge trocken bleiben, von dem einem Ende des Saales bis zum anderen.
„Herr von Wartenburg,“ mußte der Präsident des Gerichtshofes sich an den Mann wenden, der die edelste Pflicht der Ehre und des Gewissens erfüllt, hatte. „Sie sind wegen Hochverraths zu lebenslänglicher Festungsstrafe verurtheilt?“
„Ja, Herr Präsident.“
„Sie sind aus Ihrer Haft entwichen?“
„Es ist so!“
„Ich muß Sie verhaften und in Ihre Gefangenschaft zurückführen lassen.“
„Ich wußte es!“
Und er ließ sich ruhig verhaften und in seinen Kerker zurückführen.
Er war ein Hochverräther! Er war dennoch ein freier, ein edler Mann.
Und der Oberstaatsanwalt, der ihn dem Kerker überliefert hatte, mußte vernichtet und mit verhülltem Haupte den Sitzungssaal verlassen.
Wo weilt das Glück? Wenn es eine ausgemachte und unbestrittene Wahrheit ist, daß in allen Lebenslagen der Friede des Herzens die unerläßliche Grundbedingung des Glückes bildet, so müssen gerade die friedlich stillen Klostermauern als ein freundliches Asyl erscheinen, diesen Frieden zu bewahren oder denselben, wenn er in den Kämpfen und Stürmen des Lebens verloren wurde, wieder zu gewinnen. Von diesem Gesichtspunkte aus wurden und werden die klösterlichen Hallen auch vielfach betrachtet, was um so weniger auffallen kann, da von den Dissonanzen, die auch in der abgeschlossenen Zelle das harmonische Gemüthsleben stören, selten ein Nachklang zu den Ohren der Menge dringt, und die einsamen Thränen und Seufzer meistentheils ohne Zeugen spurlos verwehen. So hat sich über die schweigsamen Klostermauern ein halb idyllischer, halb romantischer Nimbus gebreitet, der freilich vor den hellen Streiflichtern der modernen Lebensanschauung immer mehr erbleichen muß.
Daß die gewaltigsten und furchtbarsten inneren Kämpfe auch diesen Räumen nicht fremd sind, dafür hat es nie an eindringlichen Beweisen und hervorragenden Beispielen gefehlt, von dem Tage, an welchem Savonarola unerschrocken den Scheiterhaufen bestieg, bis zu der verhängnißvollen Stunde, in welcher der gelehrte Benedictiner von Mölk in den blauen Fluthen der Donau ein freiwilliges Grab fand – jener Mann, der die erhabenen Gestalten der größten Dichter aller Zeiten in sein einfaches Studirzimmer bannte, der einen unserer bedeutendsten Dramatiker für die Bühne heranbildete, und dessen dramaturgische Schriften unseren Theaterdichtern nicht genug empfohlen werden können, wenn die deutsche Bühne von dem kläglichen Zustande, in den sie gegenwärtig versunken ist, sich nochmal emporraffen soll.
Aber auch viele jener gewichtigen Katastrophen, welche einem ganzen Welttheil für Jahrhunderte ihr Gepräge aufgedrückt, sind von bescheidenen Klosterräumen ausgegangen, und wie durch einzelne Mönchsorden in früheren Tagen die classischen Studien gefördert und zur Grundlage auch der germanischen Bildung gemacht wurden, steht in jedem Schulbuche zu lesen.
Außerordentliche Institute haben aber nur in außerordentlichen Zeiten ihre Berechtigung; unter veränderten Verhältnissen verlieren sie ihre Bestimmung und Bedeutung. Die Wissenschaft ist über die klösterliche Pflege und Zucht längst hinausgewachsen, die Bildung dringt unaufhaltsam in immer weitere Kreise, und in allen civilisirten Ländern wird der Unterricht als eine der wichtigsten Aufgaben betrachtet, deren Lösung dem Staate selbst obliegt.
Derjenige Orden, der gegenwärtig in Baiern und Oesterreich, zumal in Tyrol, noch am weitesten verbreitet ist und besonders auf dem Lande auch noch eine ziemlich umfangreiche Wirksamkeit ausübt, ist der der Franciskaner. Ein Orden, dessen Grundelement strenge Bußübungen bilden, kann natürlich nicht dazu berufen sein, eine hervorragende Stelle in der politischen oder literarischen Welt zu spielen. Die ehrwürdigen Patres mit den braunen Kutten haben sich daher auch nie von dem ehrgeizigen Streben verleiten lassen, in die Geschicke der Völker maßgebend und umgestaltend einzugreifen. Ihre Sphäre blieb fast ausschließlich der schlichte Kreis des Bürgers und Landmannes. Hier fanden sie auch die offene Bereitwilligkeit, für geistlichen Trost und Zuspruch leibliche Nahrung zu bieten, auf die sie trotz der gebotenen Ascese doch jederzeit vorsorglich Bedacht nahmen, und die sie sich nach der strengen Satzung ihres Stifters durch Betteln oder Terminiren, wie der landesübliche und euphemistische Ausdruck für dieses Geschäft lautet, erwerben müssen.
Der milde und freigebige Sinn gegen die Franciskanerklöster besteht bei dem tyrolischen Volke fast noch in ungeschwächter Kraft und Ausdauer. In den kleineren Orten und namentlich in den abgelegenen Einödhöfen wird der Zeitpunkt, wo die Klosterherren zur Collecte erscheinen, sogar immer als eine höchst willkommene Erscheinung begrüßt. Die Kinder freuen sich schon lange auf die bunten Heiligenbildchen, die sie bei dieser Gelegenheit erhalten, wofür sie dann dem hochwürdigen Herrn Pater dankbar und ehrfurchtsvoll die Hand küssen müssen. Die Bäuerin hat so manchen kleinen Familienkummer auf dem Herzen, für den der fromme und erfahrene Pater Rath schaffen soll. Ist in Haus oder Stall etwas nicht recht geheuer, so muß derselbe mit einer scharfen Benediction den dämonischen Unholden so hart auf den Leib rücken, bis sie, von deren Macht bezwungen, entsetzt von dannen fahren. Der Bauer, zu dem in seiner einsamen Abgeschiedenheit nur selten ein leiser Nachklang der lauten Welthändel dringt, läßt sich von dem Mönche berichten, wie draußen in den weiten Reichen die Völker auf einander schlagen; und nach und nach schleicht sich das ganze Hausgesinde herbei, um von der redseligen Weisheit des politisirenden und polemisirenden Peripatetikers auch ein Körnlein abzufangen. Der Bauer hat einen Krug vom Besten aus dem Keller geholt, um die sich allmählich trocken redende Zunge des Erzählers durch eine schmackhafte Anfeuchtung noch geläufiger zu machen, und dieser donnert nun in heiligem Eifer gegen die Versunkenheit der Welt und die Verderbniß des Zeitalters los, daß seine Standrede nahezu die Expectorationen des Kapuziners in „Wallensteins Lager“ erreicht, nur mit dem Unterschiede im Erfolge, daß ihm ein dankbareres
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_407.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2021)