[go: up one dir, main page]
More Web Proxy on the site http://driver.im/
Textdaten
<<< >>>
Autor: August Schrader
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die schöne Kathi
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49-52, S. 643-694
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[643]
Die schöne Kathi.
Novelle von August Schrader.


1.
Die Apotheke.

In einer der lebhaftesten Straßen Semlins prangte an einem freundlichen zweistöckigen Hause ein blaues Schild, auf dem mit großen goldenen Buchstaben die Worte standen: „Drachenapotheke.“ Neben der großen Glasthür, die in das Innere des Hauses führte, stand auf einem weißen Piedestale von Holz die Illustration zu dem Texte im blauen Schilde, ein gelber Drache nämlich, der seinen Schweif um eine Säule wand und den Rachen weit aufriß.

Das Erdgeschoß dieses Hauses enthielt außer dem Verkaufslokale und den Wohnzimmern des Besitzers noch die Küche und die Speisekammern. Die Haustür ging nach dem Hofe hinaus und in dem Hofe befand sich das Laboratorium.

Der erste Stock ward von einem jungen Advokaten bewohnt. Die Fenster desselben schmückten saubere Gardinen, und ein Flor ausgewählter Blumen prangte hinter zierlichen Eisengeländern auf den reinlichen Brüstungen.

Der Besitzer dieser Niederlage von Heilmitteln war ein Mann von fünfzig Jahren, er nannte sich Istvan Czabo. Sein Haupthaar war bereits ergraut, die Stirn war hoch und glänzend, und in dem feinen weißen Gesichte zeigten sich Furchen. Aber die Lebendigkeit seiner Bewegungen, das Feuer der großen schwarzen Augen und die mäßige Corpulenz seiner hochgewachsenen Gestalt schienen einem kräftigen Manne von vierzig Jahren anzugehören.

Um die Zeit, wo wir Herrn Czabo kennen lernen, pflegte er einen angehenden Schnurrbart, dem er durch eine selbst erfundene Tinktur die schönste schwarze Farbe zu geben wußte. Der Apotheker hatte dadurch ein martialisches Ansehen erhalten, das dazu beitrug, seine fünfzig Jahre zu verspotten. Dies war jedoch nicht der Grund dieses kriegerischen Gesichtsschmuckes, wir werden ihn bald erfahren.

Herr Czabo war seit sieben Jahren Wittwer, seine Lebensgefährtin hatte die Cholera hinweggerafft, obgleich er in seiner Apotheke ein bewährtes und untrügliches Mittel gegen diese gräßliche Seuche bereitete. Netti, seine einzige Tochter, zählte bei dem Tode der Mutter elf Jahre, so daß in ihr eine Stütze für die Wirthschaft nicht zu finden war; der betrübte Wittwer war daher gezwungen gewesen, eine Haushälterin zu nehmen, der er die Sorge für die Oekonomie unumschränkt übertrug. Die Wahl dieser Person war eine glückliche gewesen, denn Katharina, eine kinderlose Wittwe, ersetzte vollkommen die waltende Hand der geschiedenen Gattin, und half durch Sparsamkeit den Wohlstand ihres Herrn erhöhen, den man jetzt zu den begütertsten Einwohnern der Stadt zählte.

Netti reifte indeß zu einer blühenden, schönen Jungfrau heran, auf die mehr als ein Dutzend junger Leute aus dem mittlern und höhern Bürgerstande der Stadt sehnsüchtige Blicke warfen. Netti hatte auch bald gewählt: der Advokat Ferenz, der den ersten Stock des Hauses bewohnte, war der Auserkohrene. Beide liebten sich mit dem ersten Feuer der Jugend, und der Vater billigte diese Liebe, da Ferenz, obgleich er nur erst kurze Zeit prakticirte, einer der tüchtigsten und gesuchtesten Advokaten der Stadt war. Sein jährliches Einkommen erlaubte ihm, ein gutes Haus zu führen.

Schon seit einem halben Jahre hätte Herr Czabo die Verlobung seiner Tochter mit dem jungen Advokaten festgesetzt; aber die unglückliche Revolution der Ungarn, die auch Semlin, die äußerste Grenzstadt, in steter Gährung erhielt, war dem sorglichen Vater ein Stein des Anstoßes gewesen, und die Liebenden mußten sich in Geduld fügen, das Ende der Volkserhebung abzuwarten.

Ferenz liebte aus voller Seele seine junge Braut, aber er billigte die Verzögerung seiner Verbindung, da er die Absichten einiger der Anführer für eigennützig und ihre Handlungsweise für nicht zweckdienlich hielt. Er war ein Freund der Freiheit, aber der ordnungsmäßigen, auf verständige Gesetze gegründeten. Von der Revolutionsparthei hoffte er wenig Gutes, und da er außerdem die Abneigung seines künftigen Schwiegervaters gegen den Umsturz des Bestehenden kannte, sprach auch er nicht selten seinen Unmuth über die Zerrüttung aus, welche über das unglückliche Vaterland gebracht worden war. Er hatte sich mit Herrn Czabo dahin geeinigt, daß die Verheirathung stattfinden sollte, sobald Ruhe und Ordnung zurückgekehrt seien.

Oesterreich hatte die Erhebung unterdrückt, in allen Städten flatterten die kaiserlichen Fahnen von den Thürmen, und die Führer der Insurrectionspartei wurden verfolgt, und, im Falle man ihrer habhaft ward, vor ein Kriegsgericht gestellt.

Mit der Uebergabe des Görgey’schen Corps fiel eine Anzahl junger ungarischer Edelleute in die Hände der Sieger, und viele, die als höhere Offiziere in dem Heere der Ungarn gekämpft, wurden als gemeine Soldaten in die Reihen der österreichischen Armee gestellt, um sie für ihre Tollkühnheit zu bestrafen und ihren Uebermuth zu zügeln.

[644] Aber nicht allein den Männern der Revolution galt diese Strenge, sondern auch den Frauen, die durch anfeuernde Worte und Geldsummen die Revolution befördert hatten. Zu diesen Frauen gehörte vorzüglich die junge Gräfin Thekla Andrasy, die als Herrin eines großen Vermögens die hervorragendste Rolle gespielt hatte. Man hatte einen Preis auf ihre Gefangennehmung gesetzt, da sie sich durch die Flucht dem Schicksale ihrer Gesinnungsgenossen entzogen hatte. Ihre beträchtlichen Güter waren confiscirt.

In dem Hause des Apothekers ward nur oberflächlich über alle diese Dinge gesprochen, man konnte sich selbst der Freude über die endliche Unterdrückung der Revolution nicht so recht hingeben, da ein Zufall eine Störung des Hauswesens herbeigeführt, dessen regelmässigen Gang dem Apotheker nicht minder am Herzen lag, als die Regelmäßigkeit der Staatsmaschine.

Die alte Katharina, seine Haushälterin, die schon längere Zeit an einem Augenübel litt, war plötzlich blind geworden und der Arzt, der einer Augenheilanstalt vorstand, hatte erklärt, daß die Sehkraft der treuen Dienerin noch zu retten sei, wenn sie unverweilt sich einer Kur in der Anstalt unterzöge, die freilich einige Monate dauern könne.

Katharina mußte also das Haus verlassen und ein Stübchen in der Anstalt beziehen, die auf einer freundlichen Wiese vor der Stadt lag.

Ein alter Fischer der Save, Namens Lajos, erschien an diesem Tage in der Apotheke. Da er seine Fische an Frau Katharina nicht abliefern konnte, wandte er sich an Herrn Czabo, der ihm das Unglück der Alten mittheilte.

„Ich bin in großer Verlegenheit," schloß er. „Meine Netti kann den Dienst in der Küche nicht allein versehen – woher nehme ich nur eine zuverlässige Magd?“

Der alte Fischer sah den Apotheker mitleidig an.

„Sie haben Recht, Herr Czabo,“ sagte er, „ihre Verlegenheit ist wirklich groß. Eine Magd brauchen Sie, und heute noch, wenn die Wirthschaft nicht leiden soll. Aber woher nehmen? Bei den jetzigen Zeiten muß man in der Wahl der Personen, die man in sein Haus nimmt, vorsichtig sein. Hm, Hm,“ brummte er, indem er sein bärtiges Kinn in die rauhe Hand legte, „könnte ich Ihnen nur helfen!“

„Lajos, Ihr seid ein redlicher Mann, ein wackerer Bürger – Ihr kommt mit Dienstleuten mehr in Berührung als ich – schafft mir eine gute, zuverlässige Magd, und ich gestatte Euch, daß Ihr vier Wochen in dem Theile der Save fischen könnt, der hinter meinem Garten fließt, und mein Eigenthum ist. Ihr habt Euch ja lange darnach gesehnt.“

Das Gesicht des alten Fischers verzog sich zu einem freundlichen Lächeln.

„Ach, Herr Czabo,“ rief er, „der Preis ist köstlich.“

„Nun, so sucht ihn zu verdienen.“

„Aber wie, wie? Halt, da fällt mir etwas ein! Ich muß zwar ein großes Opfer bringen, aber ich bringe es, Ihnen zu Liebe, und – weil ich vier Wochen in dem fischreichsten Theile unseres Flusses meine Netze auswerfen kann. Wahrhaftig, ich glaube, ich verliere nichts bei dem Tausche. Herr Czabo, geben Sie mir sechs Wochen die Erlaubniß, zu fischen, und ich geben Ihnen heute noch meine eigene Nichte, die Tochter meines leiblichen Bruders, in den Dienst.“

„Sechs Wochen?“ murmelte der Apotheker. „Ich wollte die Fischereigerechtigkeit verpachten.“

„Ob vierzehn Tage früher oder später – was thut’s einem so wohlhabenden Manne, wie Ihnen? Wenn Sie das schmucke zweiundzwanzigjährige Mädchen sehen, werden sie sich freuen.“

„Zweiundzwanzig Jahre?“ fragte der Apotheker, indem er über seine goldene Brille hinwegsah, die er im Hause zu tragen pflegte.

„Es fehlen sogar noch drei Wochen daran.“

„Schmuck?“

„Wie ein Stieglitz.“

„Gesund?“

„Wie ein Fisch im Wasser.“

„Reinlich?“

„Wie eine Seejungfer.“

„Versteht sie die Wirthschaft?“

„Sie hat zwei Jahre bei einem Kaufmanne in Pesth gedient. Man ließ sie dort ungern gehen, aber sie kam, weil meine Alte krank war, die jetzt, Gott sei Dank, wieder auf den Strümpfen ist.“

„Ein Beweis, daß das Mädchen ein gutes Herz besitzt,“ meinte der Apotheker.

„Gewiß,“ rief Lajos mit Feuer, „ich stehe für Kathi, wie für mich selbst. Sie ist treu und fleißig, man kann sich auf sie verlassen.“

„Also Kathi heißt Eure Nichte, Lajos?“

„Ja, Herr Czabo. Meiner Treu, keinem Andern als Ihnen vertraue ich das Mädchen an. Sie ist mir lieb, wie eine Tochter!“

„Wann kann ich das Mädchen sehen, Lajos?“

„Heute noch, wenn Sie wollen!“

„Gut, bringt sie mir diesen Nachmittag. Gefällt sie mir, mag sie gleich in meinem Hause bleiben.“

„Sie wird Ihnen gefallen, Herr Czabo.“

„Und den Lohn?“

„Darüber verhandeln Sie mit ihr selbst. Ich, meinerseits, habe nur eine Bedingung zu stellen.“

„Nennt sie, alter Lajos.“

„Daß ich meine Nichte von Zeit zu Zeit besuchen und sie mit überwachen kann. Es ist dies kein Mißtrauen, Herr Czabo; aber ich habe Kathi’s Mutter versprochen – ihr Vater, mein Bruder ist ja todt – ich habe also meiner Schwägerin versprochen, das Mädchen nicht außer Acht zu lassen. Sie werden mich ganz verstehen, Herr Czabo, wenn Sie das schmucke Ding gesehen haben. Ich wiederhole es: nur Ihnen, Herr Czabo, vertraue ich Kathi an.“

Der Apotheker bezahlte dem greisen Lajos den Preis für die Fische.

„Mit diesem Gerichte,“ meinte der Fischer, „kann Kathi heute noch ihre Kochkunst beweisen.“

„Apropos, sie versteht doch zu kochen?“

„Wenigstens so viel, als für meinen Tisch nöthig war. Nun sollte sie nicht so ganz nach Ihrem Geschmacke kochen, so ist ja Mamsell Netti da – meine Nichte ist ein gelehriges Mädchen. In einigen Wochen – –“

„Geht, Lajos, und bringt mir Eure Kathi!“

Der Fischer ging. Herr Czabo theilte seiner Tochter die Ankunft einer neuen Magd mit, und bemerkte dabei, daß Lajos ihm eine große Gefälligkeit erzeigt habe.

Herr Czabo saß mit seiner Tochter beim Nachmittagskaffee, als Niklas, der Zögling des Apothekers, eintrat.

Man denke sich eine ungewöhnlich lange Gestalt mit bleichem Gesichte, dessen Backenknochen weit hervorstehen, mit einer fast durchsichtigen großen Adlernase, mit großen lichtblauen Augen, hellblonden Haaren, mit breiten und ungewöhnlich langen Händen und eben solchen Füßen – man denke sich diese Gestalt in einen grauen Frack gekleidet, der zu eng und zu kurz ist, in Hosen von derselben Farbe und demselben Stoffe, dazu eine grüne wollene Schürze, so hat man ein Bild von dem Gehülfen des Apothekers.

„Niklas,“ rief der Apotheker, „Du siehst ja so bestürzt aus – was ist geschehen?“

Der lange zwanzigjährige Mann versuchte zu lächeln.

„Ich bin nicht bestürzt, Herr Czabo!“ sagte er mit einer tiefen Baßstimme, die zu seinem hageren Körper einen komischen Kontrast bildete.

„Bist Du krank?“

„Nein.“

„Was willst Du?“

„Der Fischer Lajos ist soeben angekommen.“

„Allein?“

„Nein. Ein junges Mädchen begleitet ihn. Er sagt, ich solle Ihnen melden, daß unsere neue Köchin da wäre.“

„Ah, der gute Alte hält Wort. Laß ihn mit seiner Nichte sogleich eintreten.“

Niklas öffnete die Thür. An der Schwelle stand der Fischer, neben ihm ein junges Mädchen.

„Darf ich eintreten?“ fragte Lajos, indem er seine Mütze zog.

Der Apotheker legte seine Cigarre auf den Tisch und nickte mit dem Kopfe.

„Komm, Kathi,“ sagte der Alte, „ich will Dich Deinem neuen Herrn vorstellen. Sei nur nicht so schüchtern, Du kommst zu guten Leuten.“

Lajos trat ein, indem er Kathi an der Hand mit sich fortzog.

„Hier ist meine Nichte,“ sagte er dann mit einer Selbstgefälligkeit, [645] die seine Freude und seinen Stolz verriethen. „Es bedurfte nicht viel Zuredens, um sie zur Annahme des Dienstes zu bewegen, denn sie sieht ein, daß bei diesen schlechten Zeiten mir eine Erleichterung erwächst, wenn eine Person weniger im Hause ist.“

Herr Czabo ergriff seine goldene Brille, wischte die Gläser derselben mit seinem weißen Taschentuche ab und setzte sie bedächtig auf seine Nase, als ob er ein Recept lesen wollte. Dann erhob er sich von dem Sopha und sah lächelnd die neue Köchin an.

Kathi war wirklich ein hübsches Mädchen, der alte Lajos hatte nicht zu viel gesagt. Der kurze rothe Friesrock mit schwarzem Bande besetzt, das hellgraue wollene Mieder mit kleinen runden Zinnknöpfchen bekleideten einen wohlgewachsenen, fast üppigen Körper. Die braune Mütze vermochte das starke, glänzendschwarze Haar nicht zu bedecken, man sah einen großen Theil der Flechten, die fast bis auf die Schulter herabfielen. Ein rothes Tuch von grober Wolle bedeckte Hals und Brust. Weiße Strümpfe mit blauen Zwickeln, wie sie die Landmädchen jener Gegend tragen, bekleideten ein zierlich geformtes Bein. Zwar stak der Fuß in ziemlich plumpen Schuhen, aber nach dem Beine zu urtheilen, mußte er klein und nett sein.

Das Gesicht der Köchin hatte eine bleiche, aber nicht krankhafte Farbe. Unter starken schwarzen Brauen, die regenbogenförmig die schöne Stirn begrenzten, strahlte ein großes dunkles Auge mit langen schwarzen Wimpern, die einen Schatten warfen, wenn sie sich senkten. Feingeschweifte blühende Lippen bildeten einen kleinen, niedlichen Mund. Der Ausdruck des lieblichen Gesichts verrieth in diesem Augenblicke eine ängstliche Schüchternheit, die ihm einen unbeschreiblichen Reiz verlieh. Das weiße Bündel, das Kathi in der mit grauen Zwirnhandschuhen bekleideten Hand trug, schien leicht zu zittern, während Herr Czabo mit einer wahren Kennermiene seine Prüfung fortsetzte.

Der Apotheker sah seine Tochter an, als ob er sagen wollte: das Mädchen gefällt mir.

Netti antwortete durch ein beistimmendes Lächeln. Der Apotheker schob seine Brille auf die Stirn zurück.

„Also Kathi ist Dein Name?“ fragte er.

Das Mädchen machte einen kurzen Knix, indem es flüsterte:

„Kathi Lajos.“

„Nun gut, Kathi, Du gefällst mir, und da meine Tochter Nichts dagegen hat, so nehme ich Dich in meinen Dienst. Die Empfehlung Deines Vetters bürgt mir dafür, daß ich eine brave, treue Person aufnehme.“

„Dessen können Sie sich versichert halten!“ fügte Lajos rasch hinzu. „Sollte sie sich in den ersten Tagen noch etwas linkisch benehmen und ihr die Arbeit nicht so recht von der Hand gehen, so halten Sie es ihrer Aengstlichkeit zu Gute, Herr Czabo, sobald sie nur einigermaßen gewöhnt ist, werden Sie an ihr die flinkste Arbeiterin haben. Fragen Sie in acht oder vierzehn Tagen bei Mamsell Netti wieder an, und Sie werden sehen, daß ich Recht habe. Die Schüchternheit ist Kathi’s einziger Fehler

„Abgemacht, Lajos!“ unterbrach ihn der Apotheker. „Bist Du mit vierzig Gulden jährlichen Lohns zufrieden, mein Kind?“

Eine leichte Röthe erschien auf den bleichen Wangen Kathi’s.

„Ja, Herr!“ flüsterte sie, indem sie sich wiederum verneigte.

„So gieb mir Deine Hand, und versprich mir, eine treue und folgsame Dienerin zu sein.“

„Ich verspreche es, Herr!“ sagte Kathi, indem sie dem Apotheker die Hand reichte.

„Mein Himmel, wie Du zitterst!“ rief lächelnd Herr Czabo. „Man möchte glauben, Du fürchtetest Dich vor mir.“

„Kathi, Kathi,“ rief Lajos wie unwillig, „habe ich Dir nicht tausendmal gesagt, daß Herr Czabo ein guter Mann ist? Lege die verdammte Schüchternheit ab, oder –“

„Laßt’s gut sein, alter Lajos!“ unterbrach ihn Netti mitleidig. „Wenn uns Kathi näher kennt, wird diese Befangenheit schon schwinden.“

„Mir scheint,“ sagte der Apotheker, „Ihr habt das arme Kind zu streng gehalten“.

„Ja, Herr, in meinem Hause führe ich ein strenges Regiment, und Kathi habe ich stets als meine leibliche Tochter betrachtet, für deren körperliches und geistiges Wohl ich verantwortlich bin. Es ist ein gar ernstes Ding, ein junges Mädchen zu erziehen – Sie verstehen mich wohl, Herr Czabo!“

Draußen an der Hausthür erklang die Glocke.

„Niklas!“ rief der Apotheker.

Der lange Gehülfe hatte wie eine Bildsäule dagestanden und die neue Magd mit weit aufgerissenen Augen angestarrt. Bei dem Rufe des Apothekers schrak er zusammen.

„Herr Czabo!“ platzte er heraus.

„Hast Du nicht gehört?“

„Was?“

„Man zog die Glocke an der Thür.“

„Nein!“

„Geh’ und bediene den Käufer.“

Niklas machte einen Riesenschritt und verschwand. Kathi stand gesenkten Blicks und zitternd in der Mitte des Zimmers.

„Komm, liebes Kind,“ sagte Netti freundlich, „ich werde Dir Deine Kammer anweisen. Du gehörst von diesem Augenblicke an zu unserer Familie.“

Kathi schlug die großen Augen auf, und sah dankend die junge Dame an, die so freundlich zu ihr gesprochen. Dann reichte sie dem Fischer die Hand.

„Lebt wohl, Vetter Lajos,“ sagte sie leise. „Grüßt mir die Base, und sagt ihr, daß ich sie besuchen würde, sobald es mir meine Herrschaft erlaubt.“

„Soll geschehen, Kathi,“ antwortete der Alte. „Deine Sachen werde ich morgen in meinem Kahne mitbringen, wenn ich hier hinter dem Hause an meine Arbeit gehe. Aber laß Dir es noch einmal gesagt sein: machst Du meiner Empfehlung keine Ehre, so darfst Du nie wieder mein Haus betreten, ich ziehe meine Hand von Dir zurück. Damit Gott befohlen!“

Netti und Kathi entfernten sich.

„Bravo Lajos!“ sagte Herr Czabo, als sich die Thür hinter den beiden Mädchen geschlossen hatte. „Das gefällt mir. Ihr seid sonst ein guter Mensch, aber es ist Schade –“

„Was ist Schade?“ fragte verwundert der alte Fischer.

„Soll ich offen sprechen?“

„Ich bitte Sie darum, Herr Czabo.“

„Daß Ihr ein so wüthender Revolutionär seid. Es ist mir unbegreiflich, wie ein so rechtlicher, unbescholtener Mann sich zu solchen Gesinnungen verirren kann. Ihr habt Euch zwar nicht thätlich an der unglückseligen Revolution, die unser armes Land dem Verderben nahe gebracht, betheiligt; aber Euere Meinungen und Ansichten haben mir nicht gefallen – ich spreche natürlich nur von Euren politischen Meinungen.“

Der alte Fischer griff mit seiner breiten schwieligen Hand in den greisen Schnurrbart, der in zwei langen Zöpfen über den Mund herabhing. Er sah einen Augenblick sinnend vor sich hin, dann sagte er:

„Sie haben Recht, Herr Czabo! Ich schäme mich nicht zu bekennen, daß ich mich von einem falschen Scheine habe verblenden lassen. Jetzt bin ich eines Bessern belehrt, darum brechen wir ab – –“

„Nein, brechen wir nicht ab,“ rief eifrig der Apotheker; „sprechen wir recht ernst und recht viel über diesen wichtigen Punkt. Sind Euch die Augen aufgegangen, Freund? Habt Ihr das Treiben der Volksbeglücker nun gesehen? He, wohin sind wir gerathen? Seht Euch unser sonst so schönes und blühendes Land heute an – es ist eine Ruine. Ihr habt Euer gutes Auskommen gehabt, so lange Ruhe und Friede, so lange das Gesetz die oberste Gewalt war – heute müßt Ihr ein schmuckes Mädchen aus dem Hause geben, um Euch eine kleine Erleichterung zu verschaffen.“

„Herr Czabo!“ –

„O, ich verstehe Euch recht gut, Alter!“ fuhr der aufgeregte Apotheker fort. „Ihr wollt es nicht merken lassen, daß es schlecht zu Hause steht, daß Ihr die ganze Wirthschaft zu allen Teufeln wünscht, und daß Ihr Euch schämt, dieser Sache je das Wort geredet zu haben – ich sage das nicht, um Euch zu kränken, Alter, ich führe es nur an, um meiner Freude darüber Luft zu machen, daß Ihr endlich den schlagendsten Beweis von Eurer Verirrung in Händen habt. Die Volksbeglücker sind ausgerissen, und Ihr armen Menschen müßt die Zeche bezahlen. Sind Euch nun die Augen geöffnet?“

„Ja, Herr Czabo.“

„Gut, Ihr sollt acht Wochen hinter meinem Garten fischen, und Euere Kathi soll es gut bei mir haben, wenn sie sich gut beträgt. Irren ist menschlich, Freund Lajos, wenn man nur zu [646] rechter Zeit wieder in das rechte Gleis geräth. Ihr gehört also zu unserer, zu der guten Partei?“

„Lieber Herr,“ sagte Lajos, indem er wie verlegen seine Mütze zwischen den Fingern drückte, „ich bin ein schlichter Fischer, der von Ränken und Kniffen nichts versteht – man hat uns goldene Berge vorgespiegelt – ist es ein Wunder, wenn man sich hinreißen läßt? Noch gestern Abend habe ich mit meinem Nachbar darüber gesprochen – Sie kennen ja den alten Bodeck – er hat zwei Söhne in dem schrecklichen Kriege verloren –“

„Zwei Söhne!“ ries Herr Czabo, und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. „Gott verzeihe mir die Sünde, aber fast möchte ich sagen, dem verdrehten Alten geschieht ganz recht, warum hat er seine Jungen ziehen lassen!“

„Wie gesagt, lieber Herr, wir sind davon zurückgekommen, und es ist mir lieb, daß ich keine Söhne habe. Dafür aber werde ich mich Kathi’s annehmen, sie ist ein junges, unverdorbenes Blut – –“

„Apropos, Lajos, wie ist sie gesinnt?“

„Davon wollte ich eben sprechen. Sie kennt meine Ansichten, die ich schon seit längerer Zeit hege, und sie hat einen solchen Abscheu vor der Revolution, daß sie außer sich geräth, wenn man davon spricht. Sehen Sie, Herr Czabo, deshalb ist es mir doppelt lieb, daß sie in Ihrem Hause ist, denn hier wird sie in guten Grundsätzen erhalten und bestärkt. Nicht wahr, in Ihrer Nähe ist es unmöglich, daß sie das verderbliche Gift der –“

„Unmöglich, Lajos, unmöglich! unter meinem Dache leben Aristokraten vom reinsten Wasser! Nun, ich denke, meine Gesinnungen sind so ziemlich bekannt!“ fügte Herr Czabo hinzu, indem er sich stolz in die Brust warf. „In der Zeit, wo der Pöbel regierte, habe ich deshalb viel ertragen müssen – man hat mich verspottet, fast gemißhandelt, aber ich bin mir selbst treu geblieben. Na, nun geht, guter Lajos, und nehmt die Versicherung, daß Ihr an mir einen wirklichen Freund in der Noth habt.“

Der alte Fischer nahm einen herzlichen Abschied und entfernte sich.

Herr Czabo ging in seine Apotheke.



II.
Der poetische Advokat.

Acht Tage nach der Aufnahme Kathi’s treffen wir den Advokaten Ferenz in seinem Zimmer. Der junge Mann ging sinnend auf und ab. Plötzlich griff er in die Seitentasche seines Rocks und holte ein zierlich gesticktes Taschenbuch, ein Geschenk seiner Netti, hervor. Rasch zog er den Stift, der die Blätter zusammenhielt, aus den feinen goldenen Oesen, öffnete, und las mit halblauter Stimme, aber in großer Begeisterung, folgende Verse:

„Und in den Straßen wogte das Gedränge
Des wuthentbrannten Volkes, das empört
In unabsehbar fürchterlicher Menge,
Den Tigern gleich, die Durst nach Blut verzehrt,
Das Stadthaus droh’nden Blicks umschlossen hielt –
Und Schrecken, überall, wohin man sah –
Der Ausbruch eines Bürgerkriegs war da!
Noch fehlte nur ein Führer, der mit Kraft
Den rechten Geist im rohen Volke schafft –
Da stand urplötzlich eine hohe Frau – –

„Herrlich, vortrefflich!“ unterbrach sich der Leser. „O, wenn ich in dieser Begeisterung vollenden könnte, wenn sie nur heute nicht durch Nebenumstände unterbrochen würde! Es ist wahrlich nicht leicht, die Gräfin Thekla Andrasy zu besingen, den Charakter dieser Jungfrau zu malen, die den Muth eines Heerführers zeigt, ohne die eigenthümliche Grazie ihres Geschlechts zu verletzen. Aber eben diese Schwierigkeit verdoppelt meine Kräfte und ich besinge sie. Soviel steht fest, daß mein Gedicht unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein kühnes Unternehmen ist. Wenn man entdeckte, daß ich, ein einfacher Advokat in Semlin, es wagte, den Ruhm einer Verbannten zu besingen, was würde man von mir denken? Und vor Allen mein künftiger Schwiegervater? Er ist zwar ein respektabler Apotheker, ein herzensguter Mann – aber ein Feind des Fortschritts und der geistigen Unabhängigkeit.

Ich muß indeß seine Schwachheit ehren, denn bald“ fügte er mit einem zärtlichen Blicke auf das Taschenbuch hinzu, „bald werde ich sein Schwiegersohn. Ach, Netti, Du wirst meine poetische Begeisterung würdigen und mein Werk verstehen; Du wirst stolz darauf sein, daß ich für eine so unglückliche Jungfrau meine Stimme erhebe, denn Alle scheinen sie verlassen zu haben, selbst ihr Oheim, der wirksam für sie sprechen könnte, wenn er wollte. Ihre Freunde sind theils geflüchtet, theils gefangen, und das zarte Mädchen irrt im eigenen Vaterlande flüchtig durch die Steppen. Wohlan denn, mögen Alle sie verlassen und verdammen, ich allein will es wagen, sie zu besingen. Thekla soll die Heldin meiner Verse sein! Ich kenne sie nur nach einem unvollkommenen Gemälde, das ich in der Gallerie einer ihrer Schlösser gesehen, aber noch ist mir, als ob ihr sanfter und doch so stolzer Blick auf mir ruhete, noch schwebt mir die anmuthgeschmückte Stirn vor den Blicken. Wenn der Maler das Urbild nicht erreichen konnte, soll es der Dichter. Ich will das Gemälde vollenden, beseelen!“

Der junge Mann nahm den Stift wieder zur Hand, setzte sich vor seinen Arbeitstisch, stützte den Kopf in die linke Hand, sann einige Augenblicke nach und begann zu schreiben:

„Da stand urplötzlich eine hohe Frau,
Wie einst Johanna d'Arc, im Volksgewühl,
Die Menge ward begeistert –“

Ein Klopfen an der Thür unterbrach den Dichter. Rasch verbarg er das Buch in seiner Tasche und forderte mit lauter Stimme zum Eintreten auf.

Herr Czabo erschien.

Der Apotheker trug, wie gewöhnlich, einen schwarzen Frack, eine gelbe Weste und ein weißes Halstuch. Die goldene Brille lag vor der hohen, gläuzenden Stirn.

„Guten Tag, lieber Sohn,“ sagte freundlich der Apotheker; „störe ich?“

„O nein, Herr Czabo“, antwortete Ferenz, indem er aufstand und dem Ankommenden entgegentrat. „Der Vater meiner Netti stört niemals, selbst bei den dringendsten Geschäften –“

„Ah, Geschäfte gehen Allem vor,“ antwortete der Alte im Tone des Vorwurfs, „selbst der Braut und dem Schwiegervater.“

„Sie kennen ja die allgemeine Stockung der Geschäfte,“ meinte lächelnd der Advokat. „Wenn ich mich nicht mit Privatarbeiten beschäftigte, würde ich jetzt Langeweile haben.“

„Die Langeweile ist ein fürchterlicher Wurm, der tödtet!“ rief der Apotheker. „Ich habe eine Arbeit für Sie, Ferenz.“

„Einen Prozeß?“

„O nein; ich hatte nur einen Prozeß in meinem Leben, den Sie mir so glorreich gewinnen halfen – aber trotzdem ich ihn gewonnen, möchte ich um die Welt keinen zweiten wieder erleben! Ich hasse die Prozesse wie die Langeweile.“

„Nun, was ist es denn?“

„Der lange Niklas hat seit acht Tagen eine solche Unordnung in meine Bücher gebracht, daß sie einer gründlichen Durchsicht bedürfen, wenn die Confusion nicht total werden soll. Wollen Sie sich nach Tische diesem Geschäfte unterziehen?“

„Gern, bester Vater! Wie kommt es nur, daß der sonst so pünktliche junge Mann –“

„Sie werden lächeln, Ferenz, aber ich glaube mich nicht zu täuschen.“

„Ich glaube, die Kathi hat dem armen Menschen den Kopf verdreht. Er ist ein guter Junge, weiß seine Medicamente zu präpariren – aber wahrlich, seit acht Tagen, ich habe ihn beobachtet, ist er wie umgewechselt. Sonst konnte ich mich auf ihn verlassen, jetzt nicht mehr.“

„In einer Apotheke - das ist bedenklich!“ sagte Ferenz, indem er stehen blieb.

„Ich kann von Glück sagen, daß ich ihn diesen Morgen zufällig beobachtete.“

„Was ist geschehen?“

„Anstatt vier Gran Brechpulver in ein Packet zu thun, verpackte er acht Gran. Ich zittere, wenn ich an die Wirkung denke. Der Mensch vergreift sich in den Zahlen und in den Büchsen. Gebe nur der Himmel, daß er nicht schon früher ähnliche Dummheiten begangen hat. Der Ruf meiner Apotheke steht auf dem Spiele.“

[659] „Ich werde Ihre Bücher überwachen, Vater, überwachen Sie den Niklas.“

Der Apotheker reichte dem Advokaten die Hand.

„Ihnen, Ferenz, vertraue ich Alles an, meine Bücher, meine einzige Tochter. Der Frieden steht in naher Aussicht, und mit ihm Ihre Verheirathung.“

„Ich werde Ihr Zutrauen zu rechtfertigen wissen,“ sagte gerührt der junge Mann. „Ich fühle, daß ich Kenntnisse und Kraft besitze, eine gute Karriere zu machen, und wem steht ein glänzenderer Weg offen, als einem Rechtsgelehrten?“

Herr Czabo blieb von Neuem stehen, und sah seinen künftigen Schwiegersohn mit großen Augen an.

„Wie,“ rief er erstaunt, „wollen Sie vielleicht einen ähnlichen Weg einschlagen, wie jener Mann, der nichts geringeres beabsichtigte, als durch eine Revolution sich zum Könige von Ungarn zu machen? Ferenz, nehmen Sie sich sein Schicksal zur Warnung, jetzt irrt er als Vertriebener durch die Länder – o mein Gott, was für Unglück hat dieser Mensch angerichtet! Gott sei Dank, daß der Herr Generalfeldzeugmeister Herr im Lande geblieben ist und die Rebellen verjagt hat. Ich hoffe, er wird sie noch alle erwischen, damit jeder Kern zur Empörung ausgerottet wird. Wenn er nur so glücklich wäre, die Gräfin Andrasy, dieses übermüthige Weibsbild, dahin zu bringen, wohin sie gehört.“

„Die Nürnberger henken keinen, sie hätten ihn denn zuvor!“ sagte lächelnd der Advokat.

„Allerdings, das weiß ich auch!“ rief eifrig Herr Czabo. „Sie entschlüpft ihm aus der Hand, wie ein Aal, aber nur Geduld, wenn sie es jemals wagen sollte, nach Semlin zu kommen, so sollen ihre Abenteuer bald zu Ende sein. Selbst Niklas ist in jeder Beziehung stets meiner Meinung, und um der Ordnung zu dienen, sind wir zu Allem fähig. Jetzt vorzüglich muß ich doppelten Eifer beweisen – –“

„Jetzt, warum jetzt?“ fragte der Advokat.

„Weil ich heute bei der neuerrichteten Schutzwache unserer Stadt zum Commandanten erwählt bin.“

„Ah, ich gratulire, mein bester Herr Czabo!“

„Danke,“ antwortete stolz der Apotheker. „Morgen ist die erste Parade, bei der ich im vollen Glanze erscheinen werde – ich habe heute noch so viel zu besorgen, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.“

„Ihre Bücher werde ich nach Tische berichtigen, machen Sie sich deshalb keine Sorge – was das Hauswesen anbetrifft, so wird Netti und Kathi – –“

„Apropos, Kathi - nun ja, sie ist ein hübsches Mädchen, eine flinke Arbeiterin, aber eine schlechte Köchin. Ich werde indeß Nachsicht mit ihr haben. Aus dem Mädchen läßt sich noch etwas machen. Bis auf das Kochen entspricht sie den Empfehlungen ihres Vetters Lajos. Da fällt mir etwas ein!“

„Nun?“ fragte gespannt der Advokat, der eine wichtige Neuigkeit erwartete.

„Dieser Lajos hat sich vollständig geändert, daß ich mich über den alten Mann recht innig gefreut habe.“

„Was Sie sagen?“

„Gewiß! Deshalb habe ich ihm auch erlaubt, daß er hinter meinem Garten fischen kann. So oft er einen Hecht oder einen schlanken Aal erwischt, bringt er ihn mir. Ach, ich wußte es, daß alle diese Leute ihre Verirrung einsehen würden. Doch nun zu Tische, mein Freund – vorher aber will ich in der Küche noch einmal nachsehen, ob Kathi keine Dummheiten begangen hat.“

Die beiden Männer stiegen die Treppe hinab, und traten in das Wohnzimmer, wo Netti beschäftigt war, den Tisch zu decken.

Die Tochter des Apothekers war ein schönes, blühendes Mädchen von einundzwanzig Jahren. Ihre Gestalt war schlank, nicht üppig, aber edel geformt. Ihr dunkelbraunes Haar hing in zwei langen Flechten über den Rücken herab, während es über der weißen Stirn sich in einem schlichten Scheitel theilte. Das große blaue Auge, von dunkeln Brauen bedeckt, strahlte freundliche, milde Blicke und verrieth einen nicht gewöhnlichen Grad von Intelligenz. Ihre Wangen, die bei jeder Bewegung der frischen Lippen niedliche Grübchen zeigten, waren von einer feinen Röthe gefärbt, die zu dem weißen Teint des zarten ovalen Gesichts einen lieblichen Kontrast bildeten. Ein einfaches, dunkelblaues Kleid umschloß die schlanke Taille der Braut des jungen Advokaten.

„Netti,“ sagte Ferenz zärtlich, indem er ihre Hand ergriff und sie an seine Lippen zog, „es kostet heute Mühe, Sie zu sehen.“

„Sie haben Recht, lieber Ferenz,“ antwortete sie mit ihrer weichen, wohlklingenden Stimme, „mein guter Vater hat heute so viel Geschäfte, daß ich ihm ein wenig helfen muß.“

„Netti,“ rief Herr Czabo im Tone des Vorwurfs, „Du läßt Kathi allein in der Küche, die von der edeln Kochkunst so wenig versteht - Du hast ihr doch gesagt, daß der Braten – –“

[660] Netti trat zu dem Vater und ergriff seine Hand, als ob sie seinen aufkeimenden Unwillen rasch besänftigen wollte.

„Gewiß, lieber Vater,“ sagte sie bittend, „Kathi ist noch unerfahren und an unsere Küche noch nicht gewöhnt – haben Sie ein wenig Nachsicht mit ihr – bitte, mein guter Vater! Es ist nicht ihre Schuld, sie ist nicht einen Augenblick aus der Küche gekommen.“

„Wie,“ rief aufbrausend der Apotheker, „ist etwas mit dem Braten vorgefallen?“

„Wenn ich nicht darauf geachtet hätte – er wollte anbrennen.“

„O, mein Gott, wie ist doch ein armer Wittwer zu beklagen! Den Braten läßt man anbrennen, bei dem ich meine Ernennung zum Commandanten der Schutzwache feiern wollte! Nein, das ist unverzeihlich! Ich werde auf der Stelle – –“

„Vater,“ sagte Netti schluchzend, indem sie ihn bei der Hand zurückhielt. „Vater, wollen Sie mir etwas versprechen?“

Obgleich Czabo ein grimmiges Gesicht machte, so war es nun doch nicht so um’s Herz, wie es den Anschein hatte, er erkünstelte den Zorn, um eine schickliche Gelegenheit zu finden, der schmucken Köchin einen Besuch in der Küche abzustatten.

„Was soll ich versprechen?“ fragte er heftig.

„Daß Sie der armen Kathi nicht zürnen.“

„Nicht zürnen? Soll ich denn Alles so ruhig hingehen lassen?“

„Sie ist so ängstlich, daß sie kaum noch weiß, was sie thut.“

„Aengstlich, weshalb?“

„Vor Ihrem Unwillen.“

Der Apotheker sah seine Tochter einen Augenblick an. Er schien sich zu beruhigen.

„Gut,“ sagte er, „ich will sie diesmal mit der Strafpredigt verschonen, aber damit sie achtsamer und diensteifriger werde, muß ich ihr einen gelinden Verweis zukommen lassen.“

„Es wird nicht wieder geschehen.“

„Das hoffe ich! Du scheinst die Kathi gern zu haben?“ fragte er lächelnd.

„Sie ist wirklich ein gutes Mädchen, die unserer Wirthschaft noch eine tüchtige Stütze werden kann. Einem solchen Gemüthe muß man mit Milde begegnen.“

„Nun gut, ich werde Deinem Rath folgen; Kathi soll sehen, daß sie einen milden Herrn hat. Und Du sagtst, daß sie meinen Zorn fürchtet?“

„Ja.“

„So will ich sie beruhigen, damit sie nicht noch größeres Unheil in der Küche anrichtet. Decke den Tisch, Netti, und unterhalte unsern Ferenz, bis ich zurückkomme. Ihr habt doch wohl längst darauf gewartet, einige Augenblicke allein zu sein.“

Herr Czabo schob die Brille von der Stirn auf die Nase herab, und verließ lächelnd das Zimmer. Er schlug den Weg nach seiner Küche ein.

Als Netti sich nach ihrem Bräutigam umsah, saß er nachdenkend in einer Ecke des Sopha’s; er schien von der Unterhaltung zwischen Vater und Tochter nichts gehört zu haben.

Sie trat zu ihm, und legte sanft ihre kleine Alabasterhand auf seine Stirn.

„Woran denken Sie, Ferenz?“

Der Advokat erwachte aus seinem Sinnen.

„Verzeihung, Netti, ich dachte an Sie, an unser Glück!“

„Oder vielmehr an das, was Sie so oft beschäftigt, an Ihre Verse – habe ich Recht?“ fragte sie mit einem reizenden Lächeln.

„Netti!“ rief Ferenz, indem er ihre Hand küßte.

„Es soll kein Vorwurf sein, lieber Ferenz,“ fuhr sie mit einer reizenden Anmuth fort, „ich denke nicht daran, mich zu beklagen. Sie besitzen Geist und Talent, und Ihre schönen Verse haben mich oft erfreut – vernachlässigen Sie die edle Dichtkunst nicht, doch denken Sie dabei auch an Ihre Netti.“

Ferenz zog das reizende Mädchen sanft zu sich hernieder.

„Immer, immer, meine geliebte Braut!“ rief er aus, indem er seinen Arm um ihre biegsame Taille schlang und einen Kuß auf ihre reine weiße Stirn drückte.

„Ferenz,“ flüsterte sie erröthend, „ich werde stolz und glücklich sein, Ihre Frau zu heißen!“

„Und ich werde der seligste der Menschen sein, wenn ich mich Ihren Gatten nennen darf!“

Nun begann ein Liebesgeplauder, über dem den glücklichen jungen Leuten eine halbe Stunde verfloß, ohne daß sie es merkten. Der calculirende Herr Czabo hatte darauf gerechnet, er wußte, daß er in der Küche vor Ueberraschung gesichert war. Nachdem er noch einmal flüchtig durch die Glasthür gesehen, um sich zu überzeugen, daß Niklas in der Apotheke war, schlich er zu der Küche, die dem Wohnzimmer gegenüber lag und ein Fenster nach der Straße hinaus hatte.



III.
Aschenbrödel.

Der Apotheker schien etwas mehr zu beabsichtigen, als die neue Köchin wegen des angebrannten Bratens beruhigen zu wollen. Leise öffnete er die Thür, aus der ihm ein Dunst entgegenkam, der das erste Zeugniß von Kathi’s Versehen ablegte. Herr Czabo rümpfte die Nase, aber er schwieg.

Kathi stand am Herde und fachte mit einem Blasebalge das Feuer an, daß es laut knisterte. In den Töpfen, die auf dem Herde standen, rauschte und zischte es, als ob Wasser mit siedendem Oele gemengt sei. Die fleißige Köchin merkte den Eintritt ihres Herrn nicht sogleich. Herr Czabo blieb ruhig in der halbgeöffneten Thür stehen, und beobachtete das junge Mädchen mit einem unverkennbaren Wohlgefallen.

„Kathi,“ sagte er nach einer Minute, „wie steht es mit dem Mittagessen?“

Kathi erschrak; aber als sie Herrn Czabo sah, hing sie ruhig den Blasebalg an einen Nagel in der weißen Wand.

„Es kann angerichtet werden!“ antwortete sie in einem Tone, der umsonst den leichten Schrecken zu verbergen suchte.

Herr Czabo sah durch seine Brille auf die hübsche Köchin, als ob er ein Recept lesen wollte. Dabei holte er eine kleine silberne Dose aus der Tasche, und sog eine Prise ein, um die Augen klarer zu machen. Herr Czabo war kein leidenschaftlicher Schnupfer, aber er hielt den Taback für die Augen gut.

Die Köchin trug heute ein schwarzes Kamisol, das nachlässig den schönen Oberkörper einschloß. Ein rothes baumwollenes Tuch schlang sich um den Hals und bedeckte nur theilweise die Schulter, die wie Schnee aus dem schwarzen Mieder leuchtete. Das feine Gesicht, ein wenig von Ruß geschwärzt, war heute von der Hitze des Herdes geröthet. Das rebellische Rabenhaar hatte die weiße Mütze verschoben, es hing wirr über den Nacken und über die Stirn herab. Die kurzen Aermel des Mieders lagen so fest um den runden Arm, daß sie bei jeder Bewegung zu zerspringen drohten. Weiße Strümpfe und schwarze Schuhe bekleideten zwei Füßchen, die an Zierlichkeit und Elasticität denen einer Tänzerin zu vergleichen waren. Die Köchin bot in dieser Verfassung ein so reizendes Bild, daß man sich über Herrn Czabo nicht wundern konnte, wenn er in dem Beschauen desselben seinen angebrannten Braten vergaß. Kathi war eine zweite Aschenbrödel, die unter dem russigen Küchengewande eine seltene Schönheit verbarg. Der Umstand, daß sie sich ihrer Schönheit nicht einmal bewußt zu sein schien, erhöhte den Reiz derselben.

Herr Czabo war in eine Verfassung gerathen, daß es ihm schwer ward, das angefangene Gespräch fortzusetzen. Er trommelte mit den Fingern auf seiner Dose, als ob er Fassung und Gedanken heraustrommeln wollte. Er war der Herr vom Hause, folglich mußte er zuerst das Wort ergreifen.

„Kathi,“ begann er in einem Tone, der von dem eines Herrn himmelweit verschieden war, „weißt Du auch, daß heute ein wichtiger Tag für mich ist?

Die Köchin schob einen Topf vom Feuer zurück, dessen sprudelnder Inhalt den Rand zu übersteigen drohete. Das dadurch verursachte Geräusch hatte sie verhindert, die freundlichen Worte des Alten zu verstehen. Sie wandte ihr glühendes Gesicht von dem Herde ab, und fragte im Dialekte der Landleute jener Gegend:

„Was befehlen Sie, Herr?“

Herr Czabo trommelte stärker auf seiner Dose. Es war ein Glück, daß er denselben Gedanken noch einmal aussprechen konnte, denn es wäre ihm in diesem Augenblicke unmöglich gewesen, einen neuen zu finden. Fast lallend wiederholte er seine Frage.

„Nein, Herr Czabo!“ antwortete Kathi, indem sie sich mit der weißen Küchenschürze die schweißbedeckte Stirn trocknete.

[661] „Es hat sich eine Schutzwache in unserer Stadt gebildet, um den flüchtigen Rebellen entgegenzutreten, die jetzt häufig Semlin passiren, die nahe türkische Grenze zu erreichen. Mich hat man zum Commandanten derselben ernannt.“

Kathi’s Händen entsank der Zipfel der Schürze; sie sah schweigend den Commandanten an.

„Wundert Dich das?“ fragte lächelnd Herr Czabo.

„Nein!“

„Und doch scheint es so?“

„Ich freue mich, daß der junge Kaiser in Semlin so treue Unterthanen hat.“

„Wahrhaftig? So sind wir von gleicher politischer Farbe. Gefällt es Dir in meinem Hause?“ fragte der Apotheker, indem er die Dose öffnete und mit zwei Fingern ein wenig von dem duftenden Taback daraus hervornahm.

„Gewiß, Herr Czabo! Sie sind sehr freundlich, und Ihre Tochter ist die Güte selbst. Was kann eine arme Dienstmagd von ihrer Herrschaft mehr verlangen?“

Das ganze Gesicht des Apothekers lächelte; als ob er auf der Stelle einen schlagenden Beweis von seiner Freundlichkeit geben wollte, hielt er der Köchin die offene Dose hin, und fragte:

„Ein Prischen?“

„Danke, Herr Czabo, ich schnupfe nicht!“

Diese Worte sagte Kathi mit zitternder Stimme, als ob sie die besondere Aufmerksamkeit des Herrn Commandanten der Schutzwache erschreckt hätte. Dieser sah dem jungen Mädchen scharf, aber freundlich in das Auge. Kathi wich betroffen einen Schritt zurück, dann bückte sie sich, um ein Stück Holz unter dem Herde hervorzuholen. Das Halstuch verschob sich bei dieser Bewegung, und Herr Czabo sah einen wie aus Elfenbein geformten Nacken. Die Köchin beschäftigte sich mit dem Feuer.

„Wie befangen sie ist!“ dachte der Apotheker. „Vetter Lajos hatte Recht, ein solches bescheidenes Veilchen muß man sorgfältig wahren, damit es die Sonne nicht zu zeitig welkt. Eine arme Dienstmagd, sagtest Du?“ fragte er nach einer kleinen Pause. „Ich meine, Du besitzest genug, um nicht für arm zu gelten,“ fügte er muthiger hinzu.

Kathi wandte sich wieder zu ihrem Herrn, dann sagte sie mit bewegter Stimme:

„Ich bin so arm, lieber Herr, daß ich es kaum zu sagen vermag!“

Der Commandant ward von Mitleiden ergriffen, sein Lächeln verschwand und sein Blick ward ernst.

Das junge Mädchen erschrak von Neuem.

„Fürchtest Du Dich vor mir, Kathi?“

„Der Braten, Herr!“ sagte sie rasch, indem sie sich wieder zu dem Herde wandte und die Deckel der Töpfe öffnete, um nach den Speisen zu sehen.

„Sie fürchtet meinen Zorn wegen des angebrannten Bratens,“ dachte Herr Czabo lächelnd, „es ist Zeit, daß ich das arme Kind beruhige. Kathi!“ rief er laut.

„Herr Czabo?“ antwortete sie, ohne sich umzusehen.

„Sieh’ mich an, ich meine es gut mit Dir!“

Bei diesen Worten ergriff er den Arm des jungen Mädchens, so daß sie ihn ansehen mußte. Des Apothekers Gesicht schwamm in einem Meere von Freundlichkeit.

„Kathi, sei offen, ängstigt Dich etwas?“

„Nein, nein!“ flüsterte sie.

„Und doch glaube ich es zu errathen.“

„Sie, Herr Czabo?“

„Dein Vetter Lajos ist ein alter Bekannter –“

„Lajos, war er bei Ihnen?“

„Ich meine nur, er kann es mir sagen -“

„Das glaube ich nicht,“ antwortete Kathi mit einem schmerzlichen Lächeln, wobei sich die beiden Reihen ihrer wunderbar schönen Zähne zwischen den rothen Lippen zeigten.

„Und wenn er es mir schon halb und halb gesagt hätte?“

Aus Kathi’s Augen blitzte ein seltsamer Strahl, und ihr Kopf hob sich hoch empor.

„Lajos?“ rief sie wie verletzt. „Unmöglich!“

Der Commandant der Schutzwehr wunderte sich einen Augenblick über den Ton, in welchem diese Worte gesprochen wurden.

„Es steckt etwas dahinter,“ dachte er; „vielleicht hat der lange Niklas Glück gehabt, ich muß es um jeden Preis zu erforschen suchen. Bestätigt sich mein Argwohn, so jage ich den Unverschämten aus dem Hause.“

Mit Mühe legte er sein Gesicht wieder in die Falten der Freundlichkeit.

„Ei, mein Kinde sagte er mit einem feinen Lächeln, „fürchtest Du, daß Dein Geheimniß verrathen werde?“

„Herr, ich habe keine Geheimnisse!“ antwortete Kathi unschuldig.

„Du liebst, nicht wahr?“

Kathi schlug die Augen auf ihre weiße Küchenschürze; ihre kleinen berußten Hände spielten verlegen mit dem Zipfel derselben.

„Unglücklich?“ fuhr Herr Czabo fort.

Die Köchin antwortete nicht, aber ihr Gesicht blieb ruhig.

In Herrn Czabo regte sich ein Gefühl, das der Eifersucht nicht unähnlich war.

„Nun, habe ich Recht?“ fragte er kleinlaut.

„Sie haben Recht, Herr Czabo!“ flüsterte Kathi, indem sie zu ihren kleinen Füßen hinabsah.

„Und wer ist denn dieser glückliche Mann?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„So muß ich ihn wohl errathen?“

„Das ist eine Unmöglichkeit!“ antwortete sie mit einem reizenden Lächeln der Verlegenheit.

Herr Czabo lauschte einen Augenblick nach der Küchenthür; als er bemerkte, daß die Hausflur völlig ruhig war, fragte er:

„Ist er jung?“

„Nicht so alt als ich!“ flüsterte Kathi.

Der Commandant stutzte; er dachte an Niklas, der kaum neunzehn Jahre alt war, und Lajos hatte ihm gesagt, daß seine Nichte zweiundzwanzig zähle. Er glaubte auf der Spur zu sein.

„Ist er reich?“ fragte er, denn er hatte die Absicht, die Armuth und Abhängigkeit seines Gehülfen zu schildern.

„Sehr reich!“ antwortete die Köchin.

Der Apotheker stutzte zum zweiten Male. Niklas konnte es also nicht sein. Er beschloß, seinen Plan zu ändern.

„Lebt er in Semlin, Kathi?“ fragte er, und der Verdacht stieg in ihm auf die Köchin sei deshalb in seine Dienste getreten, um den Geliebten in der Nähe zu haben.

„Nein, Herr!“

„Ah, ich errathe - er ist Soldat!“

„Ein Soldat von hohem Range,“ antwortete Kathi.

„Das dachte ich mir,“ rief Herr Czabo.

„Was?“ fragte sie verwundert.

„Er diente im Heere der Rebellen, wo die Waghälse leicht Obristen, selbst Generale wurden! Ah, mit dem hohen Range ist es aus, mein Kind. Die Herren Obristen und Generale laufen ohne Regimenter durch das Land, wenn sie nicht erhängt oder erschossen sind. Also daher kommt Deine Traurigkeit? Mein Kind, mit einem Rebellen mußt Du es nicht halten, alle diese Leute haben keinen guten Charakter. Ein anderes Städtchen, ein anderes Mädchen! Man kennt das. Wer weiß, mit welcher Person Dein Angebeteter jetzt liebäugelt, wenn er mit heiler Haut davon gekommen ist.“

„Sie irren, Herr Czabo, er ist kein Rebell, er ist im Gegentheil –“

„Nun, so sage es endlich, wer er ist,“ rief der ungeduldige Apotheker.

Kathi zögerte einen Augenblick, dann flüsterte sie ganz leise:

„Der junge General von S....!“

Der Commandant glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Starr sah er die Köchin an.

„Wer? Wer?“ fragte er endlich gedehnt.

Die schöne Kathi verhüllte ihr Gesicht mit der Schürze, als ob sie sich schämte, die Verwegenheit ihrer Neigung bekannt zu haben.

„Der General!“ fragte Herr Czabo noch einmal.

Sie nickte mit dem Kopfe.

„Mädchen, bist Du toll?“

„Ach ja, das habe ich mir schon oft gesagt!“ flüsterte sie.

„Kathi, Du lieferst den Beweis, daß Du ein loyales Mädchen bist – das ist mir lieb. Du sollst in meinem Hause bleiben, so lange es Dir gefällt.“

„Ich danke, Herr Czabo.“

„Hier, nimm,“ fügte er hinzu, indem er eine Börse aus seiner [662] Tasche zog – es ist Dein halbjähriger Lohn im Voraus – kaufe Dir Kleider oder was Du sonst gebrauchst, ich habe es gern, wenn meine Domestiken nett gekleidet gehen.“

Ohne zu zögern, nahm Kathi die Börse an; sie machte einen Knix, und verbarg sie in der Tasche ihrer Schürze. Diese Bereitwilligkeit machte den verliebten Apotheker so kühn, daß er die Wange der Köchin streichelte. Fast wäre er in laute Bewunderung ausgebrochen über die Zartheit der weichen Haut.

„Kathi," murmelte er zärtlich, „wenn ich meine Sorge für Dicht etwas mehr ausdehne, als ich es sonst für meine Mägde gethan, so bedenke, daß ich Wittwer bin und Niemandem Rechenschaft von meinen Handlungen schulde. Hörst Du, Kathi? Vergiß nicht, daß ich Wittwer bin!“

„Herr Czabo!“ rief in diesem Augenblicke eine tiefe Baßstimme.

Die Köchin sprang erschreckt zu dem Herde. Der Gerufene wandte sich nach der Küchenthür. Da stand der lange Niklas mit aufgerissenem Munde auf der Schwelle.

„Was giebt’s?“ fragte der Hausherr in einem strengen Tone. „Warum ziehst Du nicht die Glocke, wenn ich in der Apotheke nöthig bin?“

„Herr Czabo, hören Sie denn Nichts?“ fragte der Gehülfe, dessen Blicke unablässig auf Kathi ruhten.

Alle lauschten. Ein Marsch von Trommeln ließ sich in der Entfernung vernehmen.

„Sehen Sie nur die Straße hinunter!“ sagte Niklas. Der Apotheker trat zu dem

Der Apotheker trat zu dem Fenster. Ein Wald von Bajonnetten blitzte in der Sonne. Der Marsch kam immer näher, und bald hörte man den festen, taktmäßigen Schritt der Soldaten. Ein Regiment österreichischer Infanterie marschirte an dem Hause des Apothekers vorüher.

„Kaiserliche Soldaten!“ rief Herr Czabo, indem er das Fenster öffnete.

In diesem Augenblicke begann die Regimentsmusik einen rauschenden Marsch. Die Töne drangen hell durch das geöffnete Fenster in die Küche. Herr Czabo war so entzückt von dem kriegerischen Schauspiele, daß er die schöne Köchin darüber vergaß.

„Gott sei Dank,“ rief er aus, „daß wir endlich wieder Soldaten in unsern Mauern haben, nun kann man sich doch ruhig zu Bette legen und ruhig wieder aufstehen! Es lebe der Kaiser!“

Kathi theilte die Begeisterung ihres Herrn nicht; der Anblick der Soldaten schien einen tiefen Eindruck auf sie ausgeübt zu haben. Unbeweglich stand sie an der Seite des Fensters und sah mit schmerzlichen Blicken die sonngebräunten und bestäubten Krieger vorüberziehen. Die Musik verhallte und der letzte Mann des Regiments verschwand. Man hörte nur noch das Geräusch der nachziehenden Volksmenge.

„Zu Tische!“ sagte Herr Czabo. „Kathi, trage die Speisen auf.“

Eine Viertelstunde später saßen Herr Czabo, Netti und Ferenz in dem freundlichen Wohnzimmer bei Tische. Niklas speiste in dem kleinen Kabinette neben der Apotheke.

Kathi saß in der Küche auf einer Bank und hielt sinnend den Kopf in der Hand. Die Speisen, die ihr Netti reichlich zugetheilt, blieben unberührt.



IV.
Die Einquartirung.

Es war drei Uhr Nachmittags.

Ferenz ordnete in seinem Zimmer die Rechnungsbücher und Herr Czabo befand sich in dem Verkaufslocale, weil um diese Zeit Niklas, der Gehülfe, die Geschäfte in dem Laboratorium zu besorgen pflegte. Netti saß in dem Wohnzimmer und arbeitete an einer Stickerei. Von Zeit zu Zeit sah sie durch das Fenster nach der Straße hinaus, in der Soldaten mit Zetteln in der Hand auf- und abgingen. Die müden Krieger suchten sich die ihnen angewiesenen Quartiere.

Um diese Zeit schlich Niklas aus dem Laboratorium über die Hausflur nach der Küche. Er steckte seinen Kopf durch die halbgeöffnete Thür. Die Küche war still und leer, aber der Eingangsthür gegenüber stand eine andere offen, die zu der Kammer der Magd führte, und in dieser Kammer stand Kathi vor einem Spiegel; sie war beschäftigt, ein buntes Tuch turbanartig uzm ihren Kopf zu schlingen. Dabei hob sie natürlich die vollen runden Arme empor, die von einem weißen Hemde zur Hälfte bedeckt waren, und Niklas sah die runde elastische Taille der schönen Kathi in ihrer ganzen Vollendung. Der arme Mensch stieß bei diesem Anblicke unwillkürlich einen tiefen Seufzer aus.

Kathi fuhr erschreckt vom Spiegel zurück, ließ die Arme sinken und sah nach der Thür. Der lange Niklas trat in die Küche, um sich so vortheilhaft als möglich zu zeigen, hatte er unter seinem grauen Arbeitsfracke weiße Wäsche angelegt und ein schwarzes seidenes Tuch um den hagern Hals geschlungen. Verlegen lächelnd stammelte er einige unverständliche Worte, die, wie es schien, einen Gruß bedeuten sollten.

Die Köchin hatte die zarten Gefühle des langen Apothekers seit einiger Zeit schon mit Schrecken bemerkt, denn Niklas hatte sie bei jeder Gelegenheit kundgegeben. Sie bedauerte ihn, deshalb sah sie ihn freundlich an und fragte in einem sanften, fast bewegten Tone:

„Was meinen Sie, lieber Herr Niklas?“

Die freundlichen Worte hatten dem schüchternen Muth eingeflößt.

„Was ich meine?“ fragte er laut. Und dabei verschlang er das reizende Gesicht Kathi’s, die nach Tische ihre einfache Toilette gemacht hatte, mit den Blicken.

„Nun ja.“

„Soll ich es Ihnen offen bekennen, liebe Kathi?“

„Wenn Sie anders gekommen sind, mit mir zu reden, so ist dies das beste Mittel, rasch zum Ziele zu gelangen.“

Als ob die Verzweiflung seinen Muth noch erhöhte, holte er tief Athem, und murmelte in der tiefsten Tiefe seines Basses:

„Ich meine, daß ich nicht mehr weiß, was ich meine, noch was ich thue. Ich unterscheide die Büchsen in der Apotheke nicht, lege verkehrte Gewichte in die Wage und gebe doppelte Dosen statt einfacher. Darüber macht mir Herr Czabo die bittersten Vorwürfe, und ich kann doch Nichts dafür. Vorhin stieß ich Senf in dem Laboratorium, da habe ich mit der schweren Keule beinahe meine eigene Hand zerschlagen. So kann das nicht mehr gehen, Jungfer Kathi, ich muß Abschied von Ihnen nehmen.“

Niklas ließ den Kopf sinken und trocknete mit der grünen Schürze seine Stirn, als ob ihm dieses Geständniß blutsauer geworden wäre.

„Mein Gott, Herr Niklas,“ sagte Kathi verwundert, „Sie wollen das Haus des Herrn Czabo verlassen, der es stets so gut mit Ihnen meint, und dessen einziger Gehülfe Sie sind?“

„Glauben Sie denn, daß ein Apotheker kein Herz im Leibe hat?“ schluchzte Niklas in wahren Bärentönen. „Im Gegentheil, dieses Organ des menschlichen Körpers ist bei ihm sehr gefühlvoll – bei Herrn Czabo nicht minder als bei mir. Herr Czabo ist funfzig Jahre alt – er hat schon eine Frau gehabt – er hat eine große Tochter – aber er ist Apotheker!“

Niklas konnte keine Worte mehr finden; er ergriff abermals seine Schürze und trocknete sich die schweißtriefende Stirn.

„Was ist Ihnen?“ fragte Kathi theilnehmend. „Sind Sie krank?“

„Nein, ich stampfte vorhin Senf in dem Laboratorium, und dieses beißende Gewürz ist mir in die Nase gefahren – das ist Alles – nun ist die Wirkung vorüber.“

„Das freut mich, lieber Herr Niklas,“ sagte Kathi, indem sie das Porzellan in dem Küchenschranke zu ordnen begann.

„Darf ich fortfahren, Jungfer Kathi?“ fragte der Apothekergehülfe nach einer Pause.

„Wenn Sie mir noch etwas zu sagen haben, so legen Sie sich keinen Zwang an.“

„Herr Czabo hat Ihnen die Backen gestreichelt, Kathi!“

„Wie?“

„O, ich habe es wohl gesehen. Kathi, trauen Sie dem alten Fuchs nicht. Die alte Katharina, seine vorige Haushälterin, hat er auch heirathen wollen – die arme Person ist darüber blind geworden.“

Kathis stellte sich, als ob sie diese Verleumdung nicht gehört hätte, sie fuhr ruhig in ihrer Arbeit fort.

„Ich muß wissen, woran ich bin,“ sagte Niklas leise, „und soll ich alle Minen springen lassen.“

[671] Nachdem er sich durch den Anblick der schmucken Magd von Neuem ermuthigt, begann er wieder:

„Jungfer Kathi?“

„Ich höre, Herr Niklas.“

„Der Korporal sucht Rekruten.“

„Welcher Korporal?“ fragte Kathi rasch, und wie es schien, erschreckt.

„Das Mittel wirkt!“ dachte triumphirend der lange Jüngling. „Nun ja, der Korporal,“ fuhr er laut fort. „Herr Korporal, sagte ich zu ihm, ich muß Ihnen gestehen, daß ich mich nicht mehr kenne – Herr Korporal, wollen Sie mich?“

Das junge Mädchen sah Niklas neugierig an. Dieser erwartete mit großer Spannung eine Antwort – aber Kathi schwieg. Eine Pause von einigen Secunden trat ein.

„Herr Korporal,“ rief Niklas wie aus Verzweiflung losbrechend, „ich will Soldat werden!“

Kathi schwieg immer noch.

„Herr Korporal,“ fuhr Niklas fast weinend fort, und als ob er den Korporal wirklich vor sich hätte, „ich will mich morden, das heißt, ich will mit in die Schlacht ziehen, denn das ist eben so gut wie ein Selbstmord! Herr Korporal, schicken Sie mich hin, wo die dicksten Kanonenkugeln fliegen, ich will sterben, ich habe mein Leben satt!“

„Sie wollen Soldat werden?“ fragte die hartherzige Kathi endlich. „Ich glaube, Sie thun Unrecht daran, denn Sie werden Ihren guten Herrn kränken.“

Das Gesicht des langen Niklas erheiterte sich plötzlich.

„Was Herr Czabo darüber denkt, ist mir sehr gleichgültig - aber Sie, Kathi?“

„Ich?“

„Liegt Ihnen daran, liebe Kathi, daß ich am Leben bleibe?“ fragte er zitternd.

„Sie sind ja ein guter Mensch, Herr Niklas – “

„Kathi, Sie halten mich zurück?“ rief er jauchzend.

„Das nun eben nicht – indeß –“

Sie stockte, und setzte ruhig einen Teller bei Seite, den sie in der Hand hielt.

Niklas ließ seine langen Arme sinken,

„Sie hält mich nicht zurück!“ flüsterte er wie zerschmettert vor sich hin. „Das hätte ich nicht gedacht! Leben Sie wohl, Jungfer Kathi, der Korporal hat mir sein Wort gegeben – ich bin angeworben.“

Nach diesen Worten ging er mit langen Schritten aus der Küche. Gleich darauf hörte Kathi seine Stimme auf der Hausflur rufe:.

„Kommen Sie, Herr Korporal, hier ist die Tochter vom Hause, wenden Sie sich an diese!“

„Der arme Mensch dauert mich,“ dachte Kathi; „er scheint wirklich seiner Sinne nicht ganz mächtig zu sein. Da spricht er immer noch mit dem eingebildeten Korporal.“

Aber Kathi irrte sich, denn Niklas hatte wirklich einen Korporal auf der Hausflur angetroffen, und betrat in diesem Augenblicke das Zimmer, wo Netti mit ihrer Stickerei beschäftigt war.

Der Soldat war ein junger, schön gewachsener Mann mit einem vollen braunen Barte und feurigen dunkeln Augen.

„Heil und Ehre den Schönen!“ sagte er mit einer wohlklingenden, männlichen Stimme, indem er Netti militärisch grüßte.

„Eine gefährliche Einquartirung,“ dachte Niklas, indem er den schönen Soldaten vom Kopfe bis zu den Füßen betrachtete. „Die fehlte mir noch!“

Netti hatte ihren Platz verlassen.

„Verzeihung, mein Herr,“ sagte sie, „darf ich wissen, wen ich die Ehre habe -?“

„Janos Esthi, mein schönes Kind, kaiserlicher Korporal im zwanzigsten Infanterieregiment. Es lebe der Kaiser! Es leben die Schönen! Es lebe der Krieg!“

Mit einem Anstande, der den Korporalen in der Regel nicht eigen zu sein pflegt, ergriff Janos Esthi die weiche Hand Netti’s, und drückte ehrfurchtsvoll einen Kuß darauf, ohne daß es das junge Mädchen verhindern konnte. Nicht ein Korporal, ein Offizier höhern Ranges schien sich in dem Zimmer zu befinden.

„Wenn dieser Korporal so wenig Umstände mit Fräulein Netti macht, was wird er erst mit der Köchin thun, wenn er sie sieht?“ dachte der zitternde Niklas. „Der Kerl ist im Stande und küßt ohne Weiteres ihren reizenden Mund. Herr Korporal,“ rief er zornig.

Der junge Mann wandte sich zu ihm.

„Ah, mein Rekrut!“ rief er mit Laune. „Ich sehe, mein junger Freund, Sie haben einen unbedingten Beruf für das Heldenhandwerk. Liebesgram – es ist klar!“ fügte er mit einem Seitenblicke auf Netti hinzu. „O, der kleine Gott mit der Binde vor den Augen ist der glücklichste Werber in allen Armeen der Welt!“

„Herr Korporal, was sagen Sie da?“ fragte Niklas, der nicht wollte, daß Netti seinen Plan erfahren sollte.

[672] „Ich sage, daß Sie eine edle, kriegerische Physiognomie haben, daß Sie für den Ruhm geschaffen sind. Wahrhaftig, ich glaube in Ihnen den Kriegsgott zu erblicken, wie er für das Regiment angeworben wird. Nur Eins ist mir unerklärlich!“ fügte der Korporal hinzu.

„Und was?“ fragte Niklas.

„Daß ein so liebenswürdiger junger Mann Unglück in der Liebe haben kann. Bei Gott, man ist hier sehr difficil! Um den Schönen zu gefallen,“ fuhr Janos Esthi mit Galanterie fort, „bedarf es nur einer Uniform, und vorzüglich der meines Regiments. Wenn man einmal darin steckt, hat man ununterbrochen Glück bei dem schönen Geschlechte.“

„Ah, Herr Korporal, so haben Sie doch die Güte und stecken Sie mich hinein!“ sagte Niklas eifrig, der den Worten des Soldaten gespannt zugehört hatte.

„In die Uniform? Gut, verabredet und festgestellt! Ich habe Ihr Wort, alles Uebrige ist unnütz. Freuen Sie sich, junger Held, denn in dem Regimente der Ehemänner wären Sie vielleicht ein schlechter Soldat geworden – aber in dem meinigen werden Sie ein verführerischer Grenadier werden!“

„Ich wäre doch lieber in das andere Regiment eingetreten!“ flüsterte Niklas vor sich hin, dann stieß er einen tiefen Seufzer aus.

Netti hatte in einer Fenstervertiefung gestanden und ruhig dem Gespräche der beiden Männer zugehört.

„Niklas,“ sagte sie, „gehen Sie in die Apotheke und bitten Sie meinen Vater, daß er komme.“

Der lange Mann entfernte sich. Gleich darauf trat Herr Czabo ein.

„Was wünschen Sie?“ fragte er grüßend den Korporal.

„Mein Herr,“ war die artige Antwort, „hier ist mein Einquartirungsbillet. Es lebe Oesterreich!“

Der Apotheker verneigte sich, dann reichte er dem Soldaten die Hand.

„Bei diesem erhabenen Namen seien Sie mir willkommen,“ sagte er feierlich. „Ja, es lebe Oesterreich! Sie sind hier bei einem seiner treuesten Unterthanen und einem Soldaten wie Sie – ich habe die Ehre, Commandant der hiesigen Schutzwehr zu sein.“

„Ein doppelter Grund, uns näher kennen zu lernen. Wir werden für einige Zeit hier in Garnison bleiben. Ihr Name, mein Herr?“

„Istvan Czabo, Apotheker.“

„Ein herrliches Geschäft!“ rief der Korporal. „Nun, Herr Istvan Czabo, ist mein Quartier in Ordnung?“

„Gewiß; Sie sollen bei mir vollkommen zufrieden sein.“

„Ich zweifle nicht einen Augenblick daran,“ sagte der Soldat mit einer nachlässigen Verbeugung.

Gleich bei dem Eintritte wird das Riechorgan durch einen angenehmen Duft gekitzelt – außerdem trifft man angenehme Gegenstände, die das Auge erfreuen.

„Ein galanter Soldat!“ dachte Herr Czabo.

„Fräulein Tochter!“ fragte der Sohn des Mars mit einer Protectormiene, die zugleich auch den Kenner verrieth.

„Ja, mein Herr.“

Der Korporal wandte sich mit großer Unbefangenheit zu Netti.

„Fräulein Czabo ist der Inbegriff aller Vorzüge des schönen Geschlechts,“ sagte er sehr galant. „Ich mache Ihnen mein Compliment.“

Die Ungezwungenheit des Gastes schien dem Apotheker nicht zu behagen, denn wie Niklas, so dachte auch er mit Schrecken an den Eindruck, den die reizende Kathi ausüben würde, außerdem war der schöne Korporal ein gefährlicher Rival. Er trat rasch zu seiner Tochter und sagte in einem unwilligen Tone:

„Herr Korporal, meine einzige Tochter Netti!“

„Bei Gott, ein schöner Name; aber schöner noch ist das Gesicht!“

„Verzeihung, mein Herr,“ unterbrach ihn Herr Czabo, „ich muß Ihnen bemerken, daß mein Tochter Braut ist, und vielleicht in einigen Tagen schon ihre Verlobung feiert – mit einem wackern jungen Manne. Sind Sie noch im Orte, so lade ich Sie hiermit dazu ein.“

„Ich nehme die Einladung an!“ rief heiter der junge Mann.

„Kathi, Kathi!“ rief Netti an der halb geöffneten Thür.

„Gleich, Fräulein Netti, gleich!“ hörte man draußen die Stimme der Köchin rufen.

Herr Czabo war bestürzt.

„Was soll Kathi?“ fragte er eifrig.

„Unserm Gaste das Zimmer anweisen,“ antwortete Netti.

Der alte Apotheker begriff seine Unvorsichtigkeit. Hier galt es, gute Miene zum bösen Spiele machen, wenn er seine Liebe zu der schönen Köchin nicht verrathen wollte.

„Mein Kind,“ fragte er unruhig, „welches Zimmer hast Du gewählt?“

„Unser Gartenpavillon ist bequem eingerichtet -“

„Vortrefflich!“ rief Herr Czabo. „Daran hätte ich wahrlich nicht gedacht! Ich selbst habe ja den ganzen Sommer darin gewohnt und geschlafen. Ich trage den Schlüssel in der Tasche – kommen Sie, mein Herr, ich selbst werde Ihnen das Quartier anweisen. Kathi kann in der Küche bleiben und das Abendessen vorbereiten.“

Aber Kathi trat schon in das Zimmer. Die Köchin sah reizend aus. Der Korporal wandte sich und sah die Magd, die mit niedergeschlagenen Blicken neben der Thür stand. Als ob ein jäher Blitz alle seine Glieder gelähmt, stand er wie Lot’s Salzsäule in der Mitte des Zimmers.

„Das dachte ich mir!“ flüsterte Herr Czabo vor sich hin, indem er den Schlüssel zu dem Pavillon in seinen Taschen suchte. „Der Kerl ist wie geblendet von der schönen Kathi!“

Jetzt sah Kathi auf. Bestürzt starrte sie den Soldaten an. Als ob sie sich der forschenden Blicke des Korporals schämte, senkte sie rasch die Blicke wieder zu Boden.

„Geh’ in Deine Küche,“ befahl Herr Czabo. „Ich selbst werde den Herrn führen. Du hast viel zu thun, mein Kind; vergiß nicht, daß wir diesen Abend einen Gast zu versorgen haben.“

Kathi und Netti verließen das Zimmer. Der Korporal starrte ihnen nach.

„Nun, mein Herr?“ sagte der Apotheker. „Was ist Ihnen? Sie sind ja plötzlich wie umgewandelt.“

„Das bin ich!“ antwortete ernst der junge Mann.

„Und darf man den Grund wissen?“

„Jenes Mädchen – ich meine Ihre Köchin – erinnerte mich lebhaft an eine Person, die meinem Herzen über Alles geht. Die Aehnlichkeit ist so täuschend -“

„Ist Ihre Geliebte eine Köchin?“ fragte Herr Czabo, der seine Ruhe wieder gewann.

„Nein, sie ist ein einfaches Bürgermädchen in Wien. Der Krieg hat uns getrennt, und da ich seit einem Jahre keine Nachricht von ihr habe –“

„Nun,“ tröstete Herr Czabo, „so beruhigen Sie sich, der Krieg ist ja bald zu Ende, Sie werden Ihr Liebchen nun wiedersehen. Aber bleiben Sie ihr hübsch treu, mein Herr Soldat, dann sind die Wonnen des Wiedersehens um so süßer.“

Der Korporal drückte mit einem schwermüthigen Lächeln dem Apotheker die Hand, als ob er sagen wollte: fürchten Sie Nichts, ich bin Ihrem Hause nicht gefährlich!

Beide Männer verließen das Haus und betraten den Garten. Herr Czabo erschloß das Gartenhaus, und ein freundliches Stübchen, ausgestattet mit allen Bequemlichkeiten, empfing den müden Krieger.

„Sind Sie zufrieden?“ fragte Herr Czabo.

„Vollkommen, mein Herr.“

„Nun, so sorgen Sie, daß auch ich mit Ihnen zufrieden sein kann. Ich liebe Ruhe und Ordnung in meinem Hause.“

Herr Czabo reichte seinem Gaste die Hand, verließ den Pavillon, ging gedankenvoll durch den Garten und verschwand in dem Hause. Der Korporal saß nachdenkend in dem großen Lehnstuhle seines Stübchens.


V.
Der alte Fischer.

Eine Stunde später erschien Niklas bei dem Korporal. Es war dunkel, und dennoch hatte der Gast kein Licht angezündet, er saß immer noch sinnend in seinem Sessel.

„Herr Korporal!“ murmelte der Gehülfe.

„Was giebt’s?“

[673] „Mein Herr läßt anfragen, wo Sie zur Nacht speisen wollen – ob hier in Ihrem Quartiere oder bei Herrn Czabo am Tische. Er meint, da Sie müde von dem Marsche sind, wäre es für Sie bequemer, wenn man Ihnen das Essen brächte.“

Der Soldat überlegte einen Augenblick.

„Herr Czabo hat Recht,“ antwortete er rasch. „Ich bin wirklich so müde, daß man mir eine Gefälligkeit erzeigt, wenn man mich in meinem Zimmer läßt.“

„Gut, speisen Sie in Ihrem Zimmer.“

Niklas ging nach dem Wohnhause zurück. Janos Esthi zündete eine Kerze an, die er aus dem Tische fand.

„Kein anderer als die Köchin wird mir das Nachtessen bringen,“ dachte er. „Auf diese Weise erhalte ich eine Gelegenheit, unbemerkt mit ihr zu sprechen. Mein Herz drängt mich, zu ihr zu eilen, aber mein Verstand sagt mir, daß die Arme einen Plan verfolgt, indem sie als Köchin dem Apotheker dient, und ich will durch Unbesonnenheit diesen Plan nicht zerstören.“

Er warf sich wieder in den Stuhl und lauschte mit klopfendem Herzen auf jedes Geräusch. Endlich ließen sich Schritte vernehmen, die Thür ward geöffnet, und Niklas trat wieder ein. Der lange Mann trug in einem Korbe die Speisen.

„Hier in ein vortreffliches Abendessen, Herr Korporal. Diese Flasche Wein sendet Ihnen Herr Czabo, damit Sie auf das Wohl aller guten Unterthanen und auf die völlige Wiederherstellung des Friedens trinken sollen. Wünsche guten Appetit!“

Der lange Gehülfe hatte eine Serviette auf dem Tische ausgebreitet und die Speisen darauf gestellt.

„Sind Sie der Koch, Freund?“ fragte der Soldat, der sich in seiner Erwartung getäuscht sah.

„Nein, mein Herr.“

„Oder der Bediente im Hause?“

„Element, ich bin Apothekergehülfe! Aber ich habe keine Lust mehr zu der Pillendreherei , und darum will ich Soldat werden. Ich sehe es Ihnen an, Herr Korporal –“

„Was?“

„Sie wundern sich, daß ich den Küchenjungen spiele?“

„Nun ja, ich leugne es nicht, ein so großer, starker Mann, wie Sie –“

„Könnte etwas Besseres thun. Nicht wahr, wozu ist eine Köchin im Hause? Herr Korporal,“ flüsterte Niklas so leise, als es ihm seine Baßstimme erlaubte, „merken Sie denn Nichts?“

„Was soll ich denn merken?“ fragte gespannt der Soldat.

Niklas horchte einen Augenblick an der Thür, dann kam er zurück und flüsterte:

„Haben Sie unsere schöne Kathi gesehen?“

„Die Köchin?“

„Ja. Das ist ein prächtiges Mädchen! Eigentlich hätte Kathi Ihnen das Abendessen bringen müssen.“

„Und das von Rechts wegen,“ meinte der Korporal. „Und warum bringt sie es nicht?“

„Weil Herr Czabo in die Küche gekommen ist und zu dem Mädchen gesagt hat: Du gehst mir nicht in das Gartenhaus, Kathi, die Bedienung des Soldaten übernimmt Niklas; wenn ich sehe, daß Du ein Wort mit dem Soldaten sprichst, so ziehst Du Dir mein größtes Mißfallen zu, und ich lasse Deinem Vetter Lajos sagen, daß Du ein ungehorsames, leichtsinniges Mädchen bist. Kathi versprach ihm, gehorsam zu sein, denn sie hat vor dem Vetter Lajos eine entsetzliche Furcht – fast eben so viel, wie Herr Czabo vor Ihnen hat.“

„Wer ist der Vetter Lajos?“

„Ein alter grober Fischer der Save, der seine Nichte so zu sagen verkauft hat. Na, das geht Sie und mich nichts an, aber, Herr Korporal, ich betrachte mich schon als Ihren Kameraden, und darum muß ich Ihnen sagen, daß Herr Czabo Sie bei der hübschen Köchin schlecht gemacht hat, obgleich er Sie erst seit einigen Stunden kennt. Sie müssen nämlich wissen,“ fuhr er von Groll gestachelt fort, „daß der alte Graukopf bis über die Ohren in die hübsche Kathi verliebt ist, und daß er sie wie ein Drache bewacht. Unser Haus heißt mit Recht die Drachenapotheke. Damit Kathi den hübschen Soldaten nun nicht vorzieht, hat er Sie bei ihr schlecht gemacht.“

„So, was hat er gesagt?“

„Ich sah ihn in die Küche gehen, nachdem er Sie in den Pavillon gebracht hatte. Halt, denke ich, da geht wieder etwas vor. Mit zwei Schritten war ich an dem Fenster, das von der Hausflur in die Küche geht. Dieses Fenster ist ziemlich hoch unter der Decke, aber ich konnte doch hindurchsehen. Da stand Herr Czabo, kniff der Kathi in die Backen und sagte: der Soldat ist ein leichtsinniger, gefährlicher Mensch, er hat in Wien eine Geliebte, wie er mir gesagt, und dennoch machte er in meiner Gegenwart Netti auf eine unverschämte Weise die Cour, so daß ich ihn in die gebührenden Schranken zurückweisen mußte; nimm Dich in Acht, mein Kind, der Korporal ist ein böser Mensch. Damit Du durchaus nicht mit ihm in Berührung kommst, habe ich ihm das Gartenhaus angewiesen, und morgen werde ich ihn in ein Gasthaus einquartieren.“

„Das sagte Herr Czabo?“

„Ach, er sagte noch viel mehr. Aergern Sie ihn ein wenig, Herr Korporal, und machen Sie der schönen Kathi den Hof. Nun wissen Sie, warum man Sie nicht in dem Wohnhause dulden will. Guten Appetit, Herr Korporal!“

Höhnisch lächelnd schlüpfte Niklas aus dem Pavillon.

„Dem alten Pillendreher habe ich eine hübsche Suppe eingebrockt,“ dachte er unterwegs. „Er soll sich grün und gelb ärgern über die Einquartierung. Kathi wird den stattlichen Korporal lieber sehen, als den alten Graukopf, und der beleidigte Korporal wird sich schon zu rächen wissen.“

Janos Esthi befand sich in einer Gemühtsstimmung, daß er mit seinem Nachtessen bald zu Ende war - er hatte wenig Appetit. Nachdenkend verließ er das Häuschen und begann durch die Wege des Gartens zu gehen, die der Herbst bereits mit gelbem Laube bedeckt hatte. Plötzlich hörte der Spaziergänger das Rauschen eines Flusses. Er durchschritt eine kleine Baumgruppe, und eine ziemlich breite Wasserfläche blinkte ihm im Mondenscheine entgegen. Das Ufer war flach, ohne Gesträuch und mit Rasen bewachsen. Sinnend blieb der junge Mann stehen und gab sein glühendes Gesicht dem frischen Abendwinde preis, der von der Save herüberwehete. Nach und nach senkte sich ein dichter Nebel auf die Wasserfläche und das Gesträuch des jenseitigen Ufers zeigte sich in phantastischen Gestalten, bis es endlich völlig verschwand.

In der Stadt schlug es neun Uhr.

Janos Esthi wollte einen Versuch wagen, sich heimlich dem Hause zu nähern, denn er nahm an, daß Kathi, wenn er sich in ihrer Person nicht getäuscht hatte, ebenfalls nicht müßig in ihrer Küche bleiben würde. Schon stand er im Begriffe, den Rückweg anzutreten, als sich Ruderschläge und das Rauschen eines Kahns, der von dem gegenüberliegenden Ufer zu kommen schien, anfangs leise und dann immer stärker vernehmen ließen. Janos zog sich in die Baumgruppe zurück, die ungefähr zehn Schritte hinter ihm lag. Noch waren nicht fünf Minuten verflossen, als ein Kahn sich der Stelle des Ufers näherte, die der Korporal so eben verlassen hatte.

Ein Mann stieg aus. Vorsichtig befestigte er das Fahrzeug, und nachdem er sich noch einmal überzeugt, daß der Strom es nicht losreißen konnte, schlug er den Weg nach der Baumgruppe ein. Erschreckt blieb er stehen, als er die weiße Uniform erblickte.

„Wohin?“ fragte der Soldat.

„Zu Herrn Czabo, mit dem ich Geschäfte habe,“ war die Antwort.

Der Mann wollte seinen Weg fortsetzen.

„Halt!“ rief Janos.

„Was wollen Sie?“ fragte fest der Mann.

„Ich bin ein kaiserlicher Soldat!“

„Das sehe ich.“

„Doch wer sind Sie, der Sie in der Dunkelheit auf diesem ungewöhnlichen Wege zu meinem Wirthe wollen?“

„Ich bin der Fischer Lajos, dessen Nichte in der Apotheke als Köchin dient. Dies ist mein gewöhnlicher Weg, wenn ich sie nach vollbrachtem Tagewerke besuchen will, der Besitzer hat ihn mir gestattet.“

„Lajos, sagen Sie?“ fragte der junge Mann, der durch Niklas bereits auf den Vetter der Köchin aufmerksam gemacht worden war, wie wir wissen.

„Lajos ist mein Name. Ich habe keinen Grund, ihn zu verschweigen.“

„Wenn ich nicht irre, standen Sie vor drei Jahren noch im Dienste der Gräfin Thekla Andrasy.“

Dem Fischer schien vor Schrecken die Sprache vergangen zu sein.

[674] „Und wenn das wäre?“ fragte er nach einer Pause.

„Dann würde ich Dir, mein alter, treuer Lajos, als einem Freunde die Hand reichen. Kennst Du meine Stimme nicht mehr?“

„Mein Gott,“ stammelte der Fischer, „bei dem Namen der Gräfin steigt eine Erinnerung in mir empor – doch nein, ich kann es nicht glauben, es ist nicht möglich! Ein Graf Esthi – –“

„Steckt in der Uniform eines österreichischen Korporals; es ist die volle Wahrheit. Du weißt, ich diente als Oberst im Görgey’schen Corps – –“

„Ich weiß – ich weiß,“ sagte der Fischer.

„Wir mußten die Waffen strecken. Dann wurden wir als gemeine Soldaten den österreichischen Regimentern einverleibt. Seit drei Tagen hat man mich zum Korporal avancirt, weil mein Eifer im Dienste Belohnung erhalten sollte. Doch, wir verplaudern die Zeit, und denken nicht an das Wichtigste. Folge mir in das Gartenhaus, man könnte uns hier belauschen.“

Nach einigen Minuten befanden sich die Männer in dem Zimmer. Der Korporal zündete das Licht wieder an.

„Ja, bei Gott,“ rief Lajos, als er das Gesicht des Soldaten sehen konnte, „Sie sind es, Herr Graf! Ach, ich muß weinen, daß wir uns unter so traurigen Umständen wiedersehen!“

Der Greis trocknete sich die nassen Augen. Der junge Graf schloß ihn gerührt an seine Brust.

„Lajos, ich weiß bereits Alles – ich habe sie erkannt! O, meine Thekla – sie dient als Köchin bei dem Apotheker! Eine Gräfin Andrasy ist Magd! Das ist ein furchtbares Schicksal!“

„Und doch blieb ihr weiter nichts übrig,“ sagte der Fischer. „Unter welcher Maske sollte sie sich anders hier aufhalten? So lange die Russen die Grenze besetzt halten, war an eine Ueberschreitung derselben nicht zu denken. Was sollten wir nun beginnen?“

„Welchen Plan verfolgt Thekla?“ fragte eifrig der Graf. „Kann ich mitwirken?“

„Hören Sie mich an, Herr Graf, und entscheiden Sie, ob ich recht gehandelt habe.“

Lajos lauschte durch die Thür, und als er sich überzeugt, daß der Garten still war, setzte er sich dem Grafen gegenüber an den Tisch.

„Sie wissen, daß ich vor drei Jahren den Dienst der Gräfin verließ,“ begann er, „um das kleine Erbe hier anzutreten, das mir mein Bruder, der ohne Weib und Kind gestorben war, hinterlassen hatte. Mein Sohn ward mein Nachfolger, und blieb bei der Gräfin. Die unglückliche Revolution brach aus, aber ich betheiligte mich nicht daran, weil ich sonst ein krankes Weib hülflos hätte zurücklassen müssen. Nach der Wendung der Dinge sitze ich eines Abends – es mögen nun drei Wochen sein - vor der Thür meines Häuschens und bessere Netze aus. Da sehe ich plötzlich durch die Dämmerung zwei Gestalten heranschleichen. Es war ein Bauer und eine Bäuerin. Vater, ruft der Bauer, Ignaz, rufe ich - mein Sohn lag in meinen Armen, den ich in irgend einem Gefechte gefallen wähnte. und nun denken Sie sich meinen Schrecken, als ich in der Bäuerin unsere junge Gräfin erkenne. Mit Lebensgefahr hatte sie sich mit ihrem Diener durch die russischen Truppen nach Semlin geflüchtet, um die Grenze zu erreichen. Daß sie mein Häuschen aufsuchten und meine Hülfe in Anspruch nahmen, war wohl sehr natürlich. Ich wußte, wie streng die Grenze bewacht wird und deshalb rieth ich der Gräfin, sie möge sich so lange bei mir verborgen halten, bis ich die Flucht über die Grenze vorbereitet haben würde. Ich forschte nun, und fand keinen andern Weg, als den zu Wasser. Die Save fließt eine Viertelstunde unterhalb Semlin in die Donau, und das jenseitige Ufer der Donau gehört zu dem türkischen Gebiete. Wie gesagt, dies war der einzige sichere Weg; aber mein Fischerkahn war zu klein, ich kann wohl mit ihm die Save, aber nicht die Donau befahren, die gerade an jener Stelle sehr reißend ist.“

„Bewacht man denn die Landwege so streng?“ fragte der Graf.

„Wohin man sieht, wimmelt es von Soldaten, kein Haase kann entschlüpfen, und täglich rücken neue Regimenter an die Grenze. Ach, wäre unsere liebe Gräfin nur acht Tage früher gekommen, ich hätte sie leicht retten können. In meinem Häuschen durfte sie nicht bleiben, denn täglich kommen Grenzpatrouillen vorbei, wir haben oft eine wahre Todesangst ausgestanden. Um keinen Argwohn zu erregen, gab ich die junge Gräfin für meine Nichte aus. Nun galt es, eine größern Kahn anzuschaffen. Das war nicht leicht, und erforderte Zeit. Die Gefahr ward immer dringender, als man auf die Habhaftwerdung der Gräfin einen Preis setzte. Plötzlich höre ich, daß sich in der Stadt das Gerücht verbreitet, Thekla Andrasy habe den Weg nach Semlin eingeschlagen. Es ließ sich denken, daß man nun die schärfsten Nachforschungen anstellen würde, zumal, da sich eine Schutzwehr von Bürgern bildete, welche alle Flüchtlinge in der Stadt und Umgegend ergreifen wollte. Mich kennt man, da ich früher oft unvorsichtige Aeußerungen gemacht habe, in meinem Hause war die Gräfin also eben nicht sicher. Aber wohin sollte ich sie nun so lange bringen, bis ich einen passenden Kahn gefunden hatte. Da fügt es der glückliche Zufall, daß der Apotheker eine Magd brauchte. Halt, dachte ich, Herr Czabo ist ein so bekannter Feind der Revolution, daß man bei ihm gewiß keine verdächtige Person suchen wird, und wenn man jeden Winkel der Stadt durchstöbert. Dazu kam noch, daß man ihn zum Commandanten der Schutzwehr ernannte. Ein sichereres Plätzchen für die arme Flüchtige ließ sich nicht finden. Ich gab sie also dem Apotheker unter dem Namen Kathi ist den Dienst. Diesen Nachmittag habe ich unter der Hand einen Kahn erhandelt, der mir passend erscheint; aber mir fehlt noch etwas Geld, um ihn zu bezahlen.“

„O mein Gott, ich bin in diesem Augenblicke so arm, daß ich nicht über einen Gulden verfügen kann!“ sagte schmerzlich der Graf.

„Beunruhigen Sie sich deshalb nicht, Herr Czabo wird mir die dreißig Gulden, deren ich noch bedarf, geben, wenn Kathi kein Geld besitzt. Sie sehen mich auf dem Wege, dieses Geschäft zu ordnen. Morgen früh wird der Kahn mein Eigenthum, und morgen Abend hole ich die Gräfin ab, um sie über die Donau zu setzen.“

„Und ich begleite meine Braut,“ rief der Graf.

„Mein Kahn bietet Platz genug. Dieses Gartenhaus ist Ihr Quartier?“

„Ja. Glücklicher Weise hat es mir die Eifersucht des alten Apothekers angewiesen.“

„Ich dachte es mir!“ sagte lächelnd der Fischer. Also halten Sie sich morgen Abend bereit - alle Umstände vereinigen sich, um uns zu einem glücklichen Ziele zu führen. Weiß unsere Gräfin, daß Sie hier sind?“

„Ich glaube, daß sie mich erkannt hat.“

„Haben Sie einen Auftrag – ich gehe zu ihr.“

„Tausend Grüße, Lajos. Und dann flüstere ihr zu, daß ich mit ihr entfliehe!“

Beide Männer traten wieder ist den Garten. Während der Korporal seinen Spaziergang wieder antrat, ging Lajos nach dem Hause des Apothekers. Die Thür war verschlossen. Der Fischer klopfte.

„Wer ist da?“ brummte Niklas im Innern.

„Oeffnen Sie, Herr Niklas!“

„Ich kann nicht, Herr Czabo ist ausgegangen und hat den Schlüssel mit sich genommen. Für diesen Abend sind Sie eingesperrt, Herr Korporal!“

„Er hält mich für den Soldaten,“ dachte Lajos lächelnd.

Der alte Fischer überlegte, was nun zu thun sei. Da flüsterte Niklas durch das Schlüsselloch:

„Herr Korporal!“

„Was giebt’s! flüsterte Lajos zurück.

„Oeffnen kann ich nicht, aber ich will Ihnen einen guten Rath geben.“

„Nun?“

„Nebenan ist Kathi’s Kammerfenster, klopfen Sie an, und die hübsche Köchin wird nicht lange auf sich warten lassen.“

„Ich danke, Herr Niklas!“

„Aber verraten Sie mich nicht.“

„Auf mein Ehrenwort!“

„Herr Czabo hat der Kathi diesen Nachmittag vierzig Gulden geschenkt," wisperte er durch das Schlüsselloch.

„Gut, ich werde diese Anweisung benützen.“

„Ein Soldat braucht immer Geld – der reiche Apotheker kann morgen mehr schenken.“

„Sie haben Recht, Herr Niklas.“

„Gute Geschäfte!“

[687] Das Geräusch von Schritten deutete an, daß Niklas sich entfernte. Lajos wußte nicht, daß der Gehülfe eine Rache an seinem Herrn und nun auch an Kathi üben wollte, die ihm in der Dämmerung, wo er einen neuen Angriff versucht, entschieden jede Hoffnung abgeschnitten hatte; er hätte sich sonst die Absicht dieser Mittheilung erklären können. Niklas hatte aber das entgegengesetzte Ziel erreicht – er förderte durch seine Bosheit die Interessen der armen Kathi. Lajos klopfte also an das bezeichnete Fenster. Es öffnete sich, und Kathi ward sichtbar.

„Ich bin es!“ flüsterte der Fischer.

Kathi erkannte ihn.

„Retten Sie mich aus diesem Hause,“ schluchzte sie, „meine Lage ist unerträglich!“

„Still! Sind Sie sicher, daß man Sie von der Küche aus nicht belauscht?“

„Sie haben Recht, hier ist man stets unter Aufsicht.“

Die Gräfin verschwand. Nach einigen Augenblicken kam sie zurück.

„Ich habe die Thür der Küche und die meiner Kammer verschlossen!“ flüsterte sie. „Was bringen Sie mir, Lajos?“

„Sie wissen also – –“

„Daß Janos hier ist? Ach ja, ich habe ihn sogleich erkannt!“

„So sprechen wir nicht weiter davon. Neigen Sie sich aus dem Fenster, daß ich noch leiser flüstern kann.“

Kathi that es. Lajos berührte fast ihre Wange.

„Morgen Abend um neun Uhr halten Sie sich zur Abfahrt bereit.“

„Ist der Kahn da?“

„Ja.“

„Gott sei gelobt!“

„Mir fehlen noch dreißig Gulden an dem Kaufgelde - meine kleine Kasse ist erschöpft – “

„Hier ist das Geld!“ flüsterte Kathi eifrig.

Sie holte die Börse des Apothekers aus ihrer Tasche und drückte sie Lajos in die Hand.

„Ich ziehe mich nun zurück, um keinen Verdacht zu erregen. Janos läßt tausendmal grüßen und die größte Vorsicht anempfehlen.“

„Kann ich ihn nicht auf eine Minute sprechen? Warum ist er nicht gekommen?“

„Aus Vorsicht! Beruhigen Sie sich, er besteigt morgen Abend mit Ihnen den Kahn!“

„Heilige Jungfrau – Lajos, ist das wahr?“

„Auf Wiedersehen morgen Abend neun Uhr! So lange bleiben Sie die Köchin, so lange dulden Sie!“

Der Fischer traf den Korporal bei der Baumgruppe.

„Haben Sie Ihren Zweck erreicht?“ rief der Graf dem Ankommenden entgegen.

„Vollkommen! Hier ist das Geld.“

Lajos erzählte seine Unterredungen mit Niklas und der Gräfin.

„Die arme Dame hat die Börse angenommen, weil sie nicht eine Kupfermünze besitzt,“ schloß er.

„Gräßlich! Gräßlich!“ murmelte der Graf.

„Und ich möchte vortrefflich rufen!“ fügte der Fischer hinzu, „denn hätte der filzige Apotheker die Schwachheit nicht gehabt, seine Börse zu verschenken, ich würde das zu der Flucht unumgänglich nöthige Fahrzeug nicht herbeischaffen können. Ohne Herrn Czabo wäre die Flucht unmöglich gewesen. Kann ich morgen früh zehn Uhr nicht zahlen, so zahlt ein Anderer, und der Kahn ist verkauft. Jetzt gehe ich ohne Sorge zu Bett – unsere liebe Gräfin wird morgen gerettet sein. Und Sie, Herr Graf, kennen meine Nichte nicht, was auch geschehen möge, Thekla bleibt bis morgen Abend die Köchin Kathi.“

Der Fischer bestieg sein Boot, und fuhr an das jenseitige Ufer der Save, wo sein Häuschen still und einsam unter zwei großen Buchen stand.

Janos Esthi kehrte in sein Quartier zurück. Er schlief nicht so ruhig, als der Fischer, denn Niklas’ Bemerkung, der Apotheker wolle ihn morgen ist einem Wirthshause unterbringen, machte ihm Sorgen. Ward dieses Vorhaben ausgeführt, woran sich nach der Scene im Wohnzimmer nicht zweifeln ließ, so bot die Flucht für den Korporal Schwierigkeiten. Der Gedanke, Lajos wird helfen, tröstete ihn ein wenig.



VI.
Der Wittwer.

Zehn Uhr war vorüber, und die Wächter sangen ihr Nachtlied in den Straßen Semlins, die zu gleicher Zeit von den ersten Patrouillen der Schutzwehr durchzogen wurden. Da läutete die Glocke der Apotheke. Niklas öffnete die Thür. Herr Czabo, in der vollen Uniform des Commandanten, trat ein. Er kam von dem Rathhause, wo die Offiziere der Schutzwehr eine Versammlung abgehalten hatten.

[688] „Wo ist Netti,“ fragte er leise.

„Fräulein Netti ist zu Bett gegangen, weil Sie gesagt haben, daß Sie um Mitternacht erst zurückkehren würden.“

„So dachte ich; unsere Berathung ist früher beendet.“

Herr Czabo trat in das Schreibstübchen neben der Apotheke, und erkundigte sich, wie er stets pflegte, nach dem, was in seiner Abwesenheit an Medicamenten geholt war.

„Ist sonst Nichts vorgefallen?“

„Was meinen Sie, Herr Czabo?“ fragte Niklas.

„Nun, wir haben Einquartierung – es wäre doch möglich, daß – –“

„Daß der Korporal, der mir ein flotter Bursche zu sein scheint, sein Gartenhaus verlassen hätte?“ fuhr Niklas fort, um das Gespräch auf den Punkt zu bringen, wohin er es haben wollte.

Der Commandant sah seinen langen Gehülfen mit großen Augen an.

„Der Soldat kann die Gartenthür nicht erbrechen – ich trage den Schlüssel bei mir. Hat er an die Thür geklopft?“

Niklas grinste, als ob er nicht mit der Sprache heraus wollte.

„Nun?“ fragte ungeduldig der Apotheker. „Hat er an die Thür geklopft?“

„Nein, an die Thür nicht, aber an das Fenster, das sich nicht weit von dieser Thür befindet.“

„An das Küchenfenster?“

Der lange Mensch nickte mit dem Kopfe.

Herr Czabo griff wie krampfhaft nach dem Degen an seiner Seite.

„Niklas,“ sagte er leise, „ich muß wissen, was in meinem Hause vorgeht, zumal jetzt, wo die ganze Stadt ihr Augenmerk auf mich gerichtet hat. Du begreifst, daß meine Ehre – –“

„So dachte auch ich, Herr Czabo, und deshalb legte ich mich auf die Lauer, als ich das Klopfen erst an der Thür und dann am Fenster hörte. Ich schwieg, weil ich in der Nacht keine Aufsehen erregen wollte.“

Herr Czabo schloß leise die Glasthür der Schreibstube, dann fragte er leise:

„Was hast Du gehört und gesehen?“

„Gesehen habe ich Nichts, aber gehört desto mehr.“

„Erzähle, meine Ehre erfordert, daß ich Alles weiß.“

„Ja, Ihre Ehre erfordert es, und darum will ich sprechen!“ sagte Niklas, der sich entrüstet stellte. „Einige Minuten nach dem Klopfen schlich ich also an die Küche. Es war dunkel, und die Kathi, die sich wahrscheinlich sicher vor mir glaubte, hatte die Thür ihrer Kammer offen gelassen. Sie lag im Fenster, der Korporal stand draußen. Der Kerl muß eine gute Nase haben, denn er hatte richtig das Kammerfenster ausgewittert.“

„Aber Kathi, Kathi?“

„Nun, Kathi hatte das Fenster geöffnet, und unterhielt sich sehr vertraulich mit dem hübschen Korporal.“

„Der Mensch muß morgen früh aus dem Hause!“ murmelte der Commandant. „Ich bringe ihn in das goldne Roß, das im entgegengesetzten Stadtviertel liegt, und wenn ich täglich einen Gulden bezahlen soll. So etwas darf ich in meinem Hause nicht dulden. Was hörtest Du?“

„Der Korporal klagte über Hunger.“

„Element!“

„Kathi bedauerte ihn, und sprach von Ihrem Geize.“

„Niklas, das ist nicht möglich! Entweder hast Du falsch gehört oder – –“

„Nein, Herr Czabo, ich habe ganz recht gehört!“ versicherte der Gehülfe, als er sah, daß das Gesicht seines Herrn bald bleich, bald roth ward. „Und ich habe mich, wie Sie, über diese Niederträchtigkeit geärgert. O, Sie kennen die Soldaten nicht – mit den Köchinnen sind sie geschwind auf vertrautem Fuße. Unser Korporal mochte wohl merken, daß die Köchin ihm nichts abschlagen konnte, er sprach von Durst, und daß seine Kameraden in dem Wirthshause säßen. – Werden Sie nicht gehen? fragte Kathi. Ich habe kein Geld! – Das ist ja eine ganze Börse! rief der Korporal. – Gehen Sie in das Wirthshaus, und trinken sie auf meine Gesundheit. – Das soll geschehen! – Nun hörte ich etwas, wie einen Kuß – dann ward das Fenster geschlossen. Ich schlich in meine Apotheke zurück. Die Geschichte ist vor kaum einer Viertelstunde passirt.“

Herr Czabo hatte die Arme verschränkt, und starrte einige Augenblicke düster vor sich hin. Dann sah er Niklas an, der einige Recepte bei Seite legte.

„Mensch, ich glaube, Du belügst mich! Du willst Kathi bei mir verleumden!“

„Ich schwöre Ihnen zu, Herr Czabo, daß der Korporal an dem Küchenfenster gewesen ist.“

„Gehe zu Bett!“

„Ja, Herr Czabo.“

„Und sagst keiner Seele, was Du gehört hast.“

„Nein, Herr Czabo!“

Der Apotheker verließ die Schreibstube. Niklas rieb sich vergnügt die Hände, löschte die Lichter aus, und ging in seine Kammer, die sich neben der Schreibstube befand.

Herr Czabo mußte an der Küchenthür vorüber, um in sein Zimmer zu gelangen. Eine wunderbare Gewalt hemmte seine Schritte, und zog seine Blicke nach dem Raume, den die schöne Kathi beherrschte. Er war nicht umsonst so früh nach Hause gekommen, die Kathi hatte ihn beim Weggehen nicht in der Uniform gesehen, sie sollte ihn jetzt in seiner Pracht und Herrlichkeit bewundern. Und während er es so gut mit der armen Magd meinte, verschenkte sie sein Geld heimlich an einen Korporal, den sie kaum kannte.

„Schade, daß sie ein so hübsches Mädchen ist!“ dachte Herr Czabo mit einer schmerzlichen Herzensbeklemmung, und dabei sah er im Geiste ihr reizendes Gesicht, ihre großen, treuherzigen Augen, ihren blühenden Mund, ihren schlanken hals, ihre schneeweiße Schulter, ihre runden Arme und ihre kleinen Füße. „Das wird eine schöne Nacht werden,“ fuhr er in seiner Meditation fort – „ich sehe voraus, daß ich kein Auge schließe! Und diese schlaflose Nacht habe ich am Ende dem elenden Niklas zu danken, der entweder aus Eifersucht gelogen, oder in der Verblendung falsch gehört oder gesehen hat. Ein Mensch, der acht Gran Brechpulver auf eine Dosis giebt, kann auch in seiner Phantasie einen Korporal an dem Küchenfenster sehen. Nein, für so schlecht halte ich die hübsche Kathi nicht. Der wackere Lajos hat mich versichert – –“

Ein Geräusch erschreckte den sinnenden Apotheker, daß er heftig zusammenfuhr. Herr Czabo zitterte, als ob er auf einer schlechten That ertappt würde.

Gleich darauf schimmerte Licht durch die angelegte Küchenthür, und man hörte, wie Kathi den großen Küchenschrank verschloß.

„Sie ist noch wach,“ dachte Herr Czabo. „Alles schläft, ich kann ungestört mit ihr sprechen, und der Sache auf den Grund kommen. Seltsam, ich zittere in meinem eigenen Hause, vor meiner eigenen Köchin!“

Der Commandant setzte seinen Federhut gerade, der ihm eine wenig in den Nacken gesunken war, zog die Schärpe zurecht und räusperte sich.

„Kathi, bist Du noch in der Küche?“ rief er, und gab seiner Stimme so viel Festigkeit, als ihm möglich war.

„Ja, Herr Czabo!“ antwortete die helle, wohlklingende Stimme der Köchin.

Der Commandant öffnete die Thür und trat auf die Schwelle.

Kathi stand in der Mitte der Küche; sie war noch völlig angekleidet und hielt in der rechten Hand die Küchenlampe. Der Schein derselben erhellte ihr reizendes Gesicht, so daß der Commandant die Thränen sehen konnte, die in ihren langen, schwarzen Wimpern perlten. Kathi sah den stattlichen Commandanten der Schutzwehr verwundert an. Bei dem Anblicke der Thränen vergaß der alte Herr die Absicht, die ihn eigentlich zu der Küche geführt.

„Du hast geweint, Mädchen,“ sagte er theilnehmend – „was ist geschehen?“

Die Köchin erschrak, und fuhr mit der kleinen Hand über die Augen.

„Es ist wohl möglich!“ antwortete sie mit einem schmerzlichen Lächeln, wobei sich die Grübchen in ihren Wangen und die Perlenzähne zwischen den Purpurlippen zeigten. „Als ich vorhin so allein in der Kammer saß, dachte ich an meinen verstorbenen Vater.“

„Allein in der Kammer?“ fragte Herr Czabo betonend. Und zu gleicher Zeit zog er leise die Thür hinter sich an.

„Ja, Herr Czabo,“ antwortete sie unbefangen, „wer sollte wohl bei mir gewesen sein?“

„Kathi, sieh mir in das Auge – bist Du wirklich allein gewesen?“

[689] „Lieber Herr, setzen Sie Mißtrauen in mich?“ fragte sie mit demselben Lächeln. „Ich habe in Ihrer Abwesenheit nicht eine Minute die Küche verlassen.“

Diese Worte wurden in einem so wunderbaren Tone gesprochen, daß dem Apotheker der Muth fehlte, seine kränkende Untersuchung fortzusetzen. Er konnte kaum den aufrichtigen Blick des Mädchens ertragen, das er auf die Aussage des langen Niklas hin verdächtigte. Wie gern hätte er die Unterredung abgebrochen, aber die Furcht vor der schlaflofen Nacht, die jedenfalls kommen würde, wenn er ohne Gewißheit zu Bette ginge, stachelte ihn an, von der Köchin einen triftigern Beweis ihrer Unschuld zu erlangen, als diesen Blick.

„Kathi, ich will Dich nicht kränken,“ begann er verlegen nach einer Pause. „Du weißt, daß ich es herzlich gut mit Dir meine. Ich bin Wittwer, und habe mir vorgenommen, Dein Glück zu machen.“

„Was soll das heißen, Herr Czabo?“

„Zunächst vernimm, daß ich in vierzehn Tagen meine Netti verheirathe. Ich will dem Glücke der beiden jungen Leute nicht länger im Wege stehen.“

„Dann wäre ich allein bei Ihnen im Hause?“

„Ganz recht, und darum begreifst Du, daß kein Makel, selbst nicht der leiseste Verdacht auf Dir haften darf. Du wirst dann immer bei mir bleiben - hast Du Lust dazu?“

Kathi preßte die rechte Hand auf ihr Herz, als ob sie einen stechenden Schmerz unterdrücken wollte. Nach einem Seufzer sagte sie:

„Lieber Herr, Sie müssen am Besten wissen, was Ihnen gut ist.“

„Und Du, Kathi?“

Sie senkte die Augen zu Boden, und flüsterte:

„Sprechen Sie mit meinem Vetter Lajos!“

Der Commandant hätte das reizende Mädchen fast umarmt.

„Der verdammte Korporal!“ dachte er, indem er sich in die Lippen biß, und die beschämte Kathi betrachtete.

Plötzlich zuckte er zusammen, ihm war eine List beigefallen, mit deren Hülfe er sofort klar sehen konnte. Er schwor sich selbst, Niklas aus dem Hause zu jagen, wenn er das reizende Mädchen verleumdet hätte. Ein Liebhaber von zwanzig Jahren würde über Kathi’s Reizen ihre Fehler vergessen haben - der Apotheker aber, trotzdem er verliebt war, ging mit der Ruhe zu Werke, die das vorgerückte Alter mit sich führt. Die Worte des Gehülfen saßen wie ein brennender Pfeil in seinem Herzen, und um sich ganz des Glückes der Liebe zu erfreuen – Herr Czabo war kein Freund von Halbheiten – mußte dieser Pfeil herangezogen werden.

„Kathi,“ sagte er, „Du sollst von diesem Augenblicke an die Wirthschaft unumschränkt leiten.“

„Aber, lieber Herr, ich bin ja noch so unerfahren – –“

„Ich bin mit dem zufrieden, was Du thun wirst.“

„Wenn mir Mamsell fehlt –“

„Mir wird sie nicht fehlen. Um Dir also einen Beweis meines Vertrauens und meiner Achtung zu geben, überliefere ich Dir das wöchentliche Wirthschaftsgeld.“'

„Aber, Herr Czabo.“

„Ich dulde keinen Widerspruch. Bevor ich handele, habe ich reiflich überlegt. Gieb mir einmal Deine Börse.“

„Meine Börse?“ fragte sie überrascht.

„Nun ja, ich selbst werde das Geld hineinstecken, dessen Du für die nächste Woche bedarfst. „Gieb, Kathi – ich habe es einmal beschlossen – –“

Er vermochte nicht weiter zu reden, die ängstliche Befangenheit Kathi’s fiel ihm wie eine ungeheure Last auf das Herz, er glaubte die ersten Zeichen ihrer Schuld entdeckt zu haben. „Wenn Niklas dennoch die Wahrheit gesagt hätte!“ dachte er bestürzt, und dabei sah er das junge Mädchen wider seinen Willen mit durchbohrenden Blicken an.

Kathi war wirklich einen Augenblick bestürzt; sie hielt den Apotheker, den sie als einen erbitterten Feind der Revolution kannte, für einen listigen Menschen, für einen Spion, der Ahnung von ihrem wahren Stande hatte, und sie in das Verderben zu stürzen suchte. Warum fragte er nach der Börse, deren Inhalt zum Ankaufe des Bootes verwendet war, das die Flucht der proscribirten Gräfin ermöglichen sollte? Sie sah, wie die Lippen des Commandanten der Schutzwehr zitterten, sie sah die veränderten Blicke, die sie kurz zuvor noch so freundlich angesehen hatten. Die Zärtlichkeiten des Apothekers waren also eine List gewesen, um sie zu fangen. Das arme Mädchen hielt sich für verloren. Sie wähnte, das erste Begegnen des Grafen, wobei sie ein wenig außer Fassung gerathen, habe den ersten Anlaß zu dem Verdachte gegeben.

„Kathi,“ wiederholte Herr Czabo, „wo ist die Börse?“

„Die Börse?“ flüsterte sie.

„Warum siehst Du mich nicht an? Warum schlägst Du die Augen nieder? Kathi,“ rief der Apotheker, der von der Schönheit des bestürzten Mädchens wie geblendet war, und einen aufrichtigen Schmerz über ihre Schuld empfand –„Kathi, habe ich es um Dich verdient, daß Du mich hintergehst? Ich bin Wittwer, ich meine es gut mit Dir, und Du – Du –“

Der verliebte Wittwer konnte nicht weiter reden, denn Kathi, die leise zitterte und bald roth, bald bleich geworden, war in dieser Verfassung so schön, daß sie in den Augen des Herrn Czabo einem gefallenen Engel glich, um den das Herz trauert.

Es konnte dem scharfen Blicke der Gräfin nicht entgehen, daß der Schmerz des Apothekers kein erkünstelter war. Aber wo hinaus wollte der gute Mann mit seinen Forschungen? Der Drang der Umstände gebot ihr, sich darüber Gewißheit zu verschaffest.

„Nun, und ich?“ fragte sie, den Commandanten mit großen Augen anblickend.

Herr Czabo fühlte sich zum Verzeihen so geneigt, daß er wie bittend ausrief:

„Mädchen, hast Du mir Nichts zu bekennen?“

„Mein Gott, lieber Herr, ich habe so nichts begangen.“

„Und das sagst Du mir mit dieser treuherzigen Miene?“

„Herr Czabo!“ flüsterte sie in einer Anwandlung von Entrüstung.

„Wo hast Du die Börse? Das will ich wissen! Das hast Du mir zu bekennen! Du schweigst. Nun wohlan, so will ich es Dir sagen, Du Schlange!“

Kathi zuckte zusammen. Dann aber faßte sie sich wieder, und sah den Apotheker fest an.

„Wer war an diesem Fenster?“ fragte der Apotheker.

Das schöne Mädchen zitterte, es glaubte, der Commandant der Schutzwehr sei auf der rechten Spur.

„Wer hat mit Dir gezischelt und geflüstert?“ fuhr der Commandant anfgeregt fort. „Wem hast Du das Geld, die ganze Börse gegeben? Und zu welchem Zwecke? O, der Zweck ist noch das Abscheulichste!“

„Er weiß Alles!“ dachte die Gräfin.

„Mädchen, erwacht Dein Gewissen nicht? O, ich sehe, Du bist eine verstockte Sünderin, denn Du beharrst hartnäckig in Deinem sträflichen Schweigen. Ich dachte, Dein Vetter Lajos führte mir die Unschuld selbst in das Haus, und nun muß ich erfahren, daß ich eine Heuchlerin unter meinem Dache beherberge. Kaum hat der verwünschte Korporal meine Schwelle überschritten – ach, Du erröthest - ich spreche von dem Korporal, und Du blickst zu Boden – Kathi, Du hättest an Deine und meine Ehre denken sollen!“

„Ihre Ehre, Herr Czabo, habe ich sie gekränkt?“

Der Alte gerieth in Zorn.

„Ein Geschenk, das ich Dir aus wohlmeinendem Herzen mache, giebst Du einem Korporal? O, von dem Gelde, das er auf Dein Wohl vertrinken soll, spreche ich nicht; aber von der Börse, die meine arme Netti gestrickt hat.“

„Der Korporal soll an meinem Fenster gewesen sein?“ fragte Kathi, die nun begriff, daß die Eifersucht aus dem Apotheker sprach. „Lieber Herr, wer Ihnen das gesagt hat, ist ein boshafter Lügner. Ich kenne den Korporal nicht, und habe ihn, außer in Ihrem Zimmer, nicht gesehen!“

Herr Czabo stutzte.

„Mädchen,“ stammelte er, „warum zeigst Du mir die Börse nicht?“

„Weil ich sie nicht mehr habe.“

„Und wer hat sie?“

„Mein Vetter Lajos. Er und kein Anderer war am Fenster!“ Nach diesen Worten wandte sich Kathi beleidigt ab.

„Das ist wahrscheinlich,“ dachte der Apotheker. „Lajos hat in der Save gefischt, ist durch den Garten gekommen, und hat, da die Thür verschlossen war, an das Fenster geklopft. Ich darf Nichts sagen, da ich ihm erlaubt habe, seine Nichte zu besuchen.“

[690] „Die Börse,“ fuhr Kathi mit gepreßter Stimme fort, „habe ich ihm gegeben, damit er sie meiner armen Mutter schicke.“

Sie schwieg und stieß einen tiefen Seufzer aus. Diese Unwahrheit war nur gewaltsam über ihre Lippen gekommen; aber sie glaubte sie nicht verschmähen zu dürfen, um ihre Sicherheit in den letzten Stunden nicht zu gefährden.

Kathi verhüllte mit der Schürze ihr Gesicht und schien still zu weinen.

Herr Czabo war wie vernichtet. Er konnte nicht einmal seinen Zorn an Niklas auslassen, denn der lange Mensch hatte nicht gelogen, er hatte sich nur getäuscht. Da stand nun die schöne Kathi weinend vor ihm, er hatte sie schwer beleidigt. Was würde er darum gegeben haben, wenn er seine Worte hätte zurücknehmen können.

„Kathi,“ sagte er, „weine nicht, ich glaube Dir. Wenn ich in meiner Entrüstung ein wenig zu weit ging, so geschah es, weil ich Dir wirklich gut bin, weil ich alle meine schönen Pläne zertrümmert glaubte, die ich in Betreff Deiner Person entworfen habe. Gieb mir Deine Hand, Kathi!“

Während sie mit der rechten Hand immer noch die Schürze vor die Augen hielt, reichte sie ihm die linke.

„Bist Du wieder gut, mein Kind?“

Sie nichte mit dem Kopfe. Herr Czabo streichelte die kleine, weiche Hand.

„Höre, Kathi,“ flüsterte er ganz leise, „Du hast bei dieser traurigen Gelegenheit die Gefühle kennen gelernt, die ich für Dich hege. Ich weiß selbst nicht, woher sie gekommen sind, aber ich habe sie einmal. Antworte mir, Mädchen, kannst Du Dich entschließen, für immer bei mir zu bleiben, willst Du“ – er sah sich erst nach der Küchenthür um, dann neigte er sich an ihr Ohr und flüsterte ganz leise – „willst Du meine Frau werden?“

Kathi schien hinter ihrer Schürze heftiger zu weinen. Dem Commandanten wollte fast das Herz zerspringen. Er brachte seinen Kopf dem ihrigen noch näher, dabei fiel der Federhut zu Boden. Der gute Mann bemerkte es kaum, denn seine Lippen hatten den Sammt der Wange Kathi’s berührt und ein Schauer durchrieselte seinen ganzen Körper.

„Mädchen,“ lallte er berauscht, „o so antworte mir doch: willst Du meine Frau werden?“

Er fühlte, daß Kathi seine Hand leise drückte. Er zog die Hand der Köchin an seine Lippen.

„Mädchen, Du mußt meine Frau werden!“ stammelte er. „Entscheide Dich, ich kann ohne Antwort nicht von Dir gehen! Ja oder nein?“

„Sprechen Sie mit meinem Vetter,“ flüsterte sie.

„Kathi, zeige mir Dein Gesicht!“

Er wollte die Hand mit der Schürze zurückziehen; sie aber sprang mit einem Satze in die Kammer und schloß die Thür hinter sich.

Herr Czabo rieb sich vergnügt die Hände.

„Ich soll mit ihrem Vetter sprechen!“ flüsterte er entzückt vor sich hin. „Das ist eine Einwilligung in bester Form. Ja, liebe Kathi, das wird morgen geschehen!“

Er ergriff seinen Federhut, verließ, auf den Zehen schleichend, die Küche und ging in sein Zimmer. Der glückliche Wittwer hatte gefürchtet, daß er vor Unruhe nicht würde nicht einschlafen können – jetzt verscheuchte das Glück den Schlaf. Gegen Morgen übermannte ihn der Schlummer. Er sah im Traume Kathi; sie trug ein seidenes Kleid und einen kostbaren Federhut, und er selbst hätte darauf wetten mögen, daß sie nie eine Köchin gewesen sei.

„Der arme Mann!“ dachte Kathi in ihrer Kammer. „Gott verzeihe mir, daß ich eine solche Rolle mit ihm spiele, daß ich ihn so arg täuschen muß. Aber meine Freiheit, vielleicht mein Leben steht auf dem Spiele – ich kann nicht anders, wenn ich mich nicht verrathen will!“



VII.
Entdeckungen.

Der nächste Morgen brach an. Herr Czabo war die Liebe und Güte selbst. Er vermied es, Kathi zu sehen, denn er fürchtete sie in Verlegenheit zu setzen. Mit Ungeduld erwartete er den Fischer – aber Lajos kam nicht. Mehr als einmal ging er in den Garten hinaus, aber es zeigte sich kein Kahn auf der ruhig strömenden Save. Auch der Korporal war nicht zu sehen, er hatte sich in die Stadt zum Appel begeben.

„Ich hatte den armen Mann mit Unrecht im Verdachte,“ flüsterte der Apotheker, als er an dem Pavillon vorüberging; „ich will ihn dafür entschädigen, er soll nicht in das schwarze Roß. Jetzt kann ich sicher sein, daß er mir nicht schadet!

Der gute Wittwer hätte die ganze Welt so glücklich sehen mögen, als er selbst war. An der Einwilligung des Vetters Lajos zweifelte er nicht einen Augenblick, und Kathi’s Einwilligung hatte er ja – er konnte die schöne Köchin schon als seine Frau betrachten.

Der Vormittag verfloß wie gewöhnlich. Nach Tische machte Herr Czabo sein Mittagsschläfchen. Diese Zeit benutzte der lange Niklas, um bei Kathi zu sondiren, wie es mit dem Korporal stehe. Er schlich in die Küche, um seinen Kaffee zu holen. Als Einleitung zu der Unterhaltung erzählte er die Neuigkeit, daß man der Gräfin Andrasy, der gefährlichen Revolutionärin, auf der Spur sei. Man wisse bereits, daß sie sich nach Semlin gewendet habe, um von hier aus über die Grenze zu flüchten.

Kathi hörte schweigend zu, ohne sich in ihrer Arbeit stören zu lassen. Niklas entfernte sich wieder. Die Geringschätzung der Köchin erbitterte ihn.

„Ich werde Soldat,“ dachte er; „aber ehe ich gehe, spiele ich der Jungfer noch einen Streich!“

In einer fieberhaften Aufregung, und kämpfend mit der Angst vor Verrath, stieg Kathi um drei Uhr die Treppe hinan, um nach der Hausordnung dem Advokaten Ferenz den Kaffee auf das Zimmer zu bringen, den sie auf einem Präsentirteller in den zitternden Händen trug. Leise trat sie ein, weil sie wußte, daß der junge Mann um diese Zeit arbeitete. Ruhig blieb sie stehen, als sie hörte, daß der Advokat in dem Nebenzimmer, dessen Thür weit geöffnet war, auf- und abging und mit lauter Stimme las:

Da stand urplötzlich eine hohe Frau,
Wie einst Johanna d'Arc, im Volksgewühl,
Die Menge ward begeistert, denn so schön
War selbst die gottgesandte Jungfrau nicht!

„Ein Dichter,“ dachte Kathi, und verhielt sich ganz still, denn es war das erste Mal seit langer Zeit, daß sie wieder Verse hörte, sie, die selbst als Dichterin bekannt war.

Der Advokat fuhr begeistert fort, da er sich allein wähnte:

Du bist die Gottgesandte, hohe Tochter
des würdigen Andrasy, denn dich schmückt
Das Attribut der höchsten Majestät.
Im Kampfe groß, und nach dem Siege mild
Bist Du es, die die Thränen Armer stillt;
Du trägst mit Würde der Verbannung Schmerz,
Vertrauend blickt dein Auge himmelwärts –
Vom Glorienlicht der Hoffnung mild umzogen,
Stehst eine Heldin du in Sturmeswogen!

Die arme Gräfin zitterte, als sie vernahm, daß diese Verse an sie gerichtet waren. Ein heller Thränenstrom entstürzte ihren schönen Augen. Begeisterter, als ob er diese Thränen gesehen, fuhr der schwärmerische Advokat fort:

Und herrlich hat die Gottheit dich geweiht,
Mit Stolz verbindest du Bescheidenheit.
Der Frauen höchste Schöne strahlt darin,
Mein Ideal, du, meine Königin!

Mit großer Selbstzufriedenheit, sein Taschentuch in der Hand, trat der Advokat plötzlich in die Thür. Er sah Kathi, deren Gesicht von Thränen erglänzte.

„Mein Gott,“ fragte er erschreckt, „was ist geschehen? Sie weinen, Kathi, Sie befinden sich in einer Aufregung.“

Die Gräfin konnte nicht ausweichen.

„Ach, Herr Advokat, diese Verse!“ schluchzte sie.

„Hast Du mich belauscht?“

„Ohne daß ich es wollte. O, wie schön, wie groß ist es, eine verbannte, eine verfolgte Frau zu besingen!“

Ferenz starrte die Köchin an. Diese Worte waren nicht in dem gewöhnlichen Dialecte der Landleute gesprochen. Und welche Empfindung verriethen sie!

Die Gräfin Thekla Andrasy, von ihrem Gefühle hingerissen, hatte ihre Maske vergessen. Doch schon im nächsten Augenblicke erinnerte sie sich daran. Bestürzt trat sie zu dem Tische und setzte das Kaffeeservice nieder. Ihre kleinen Hände zitterten, ihr Gang war schwankend. Sie wollte sich entfernen; doch ehe sie noch die [691] Thür erreicht halte, ließ sich ein Trommelwirbel in der Straße vernehmen. Thekla mußte sich an dem nahestehenden Stuhle halten, um nicht zu Boden zu sinken.

„Diese Angst, diese Verwirrung!“ rief Ferenz. „Wer bist Du, wer sind Sie?“ fügte er rasch hinzu, indem er das Gesicht der Gräfin, deren Schönheit selbst der bäuerische Kopfschmuck nicht beeinträchtigen konnte, anstarrte.

„Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Ein augenblicklicher Schwindel – er ist vorüber!“

Thekla lauschte ängstlich auf das Trommeln in der Straße, das noch fortdauerte.

„Großer Gott, Sie zittern vor diesem Signale!“ rief Ferenz. „Und diese Züge, die ich schon im Bilde gesehen. – Nein, nein, Sie sind nicht, was Sie scheinen – Sie sind die Gräfin Thekla Andrasy!“

Die Gräfin erhob sich wieder, ehe der Advokat ihr Beistand leisten konnte. Angst und Besorgniß schienen plötzlich verschwunden zu sein, denn aus ihren Augen strahlte das Feuer des Muthes, der große Geist, der Gefahren trotzt - die Schwäche der Frau war besiegt.

„Ja, ich bin es!“ sagte sie stolz. „Ihre Hand, mein Herr, dem Dichter darf ich mich vertrauen, – ich bin die flüchtige Thekla, auf deren Erlangung man einen Preis gesetzt.“

„O, mein Gott,“ rief der schwärmerische Ferenz, „dies ist der schönste Lohn, der je einen Dichter krönen konnte! Bauen Sie fest darauf, daß ich mit meinem Leben bereit bin, Sie den Verfolgungen zu entziehen.“

Der Advokat ergriff die Hand der Gräfin und küßte sie.

„Wissen Sie, was der Trommelwirbel bedeutet?“

„Er ruft die Schutzwehr zum Appel, deren Commandant Herr Czabo ist. Sie haben für diesen Augenblick nichts zu fürchten.“

„Und was habe ich von dem Dichter zu hoffen?“

„Daß er mehr thun, als Verse schreiben, daß er Sie retten wird!“

Auf der Hausflur ließ sich Herrn Czabo’s Stimme vernehmen, der Niklas, Netti und Kathi rief.

„Mein Schwiegervater!“ flüsterte Ferenz. „Tragen Sie Sorge, daß er Ihren wahren Stand nicht entdeckt, er ist zwar gut, aber schwach. Um sich als Commandanten zu zeigen, könnte er leicht eine Unbesonnenheit begehen, die Sie in das Verderben stürzt.“

„Kathi, Netti, Niklas!“ rief lauter der Apotheker. „Meinen Degen, meine Schärpe, meinen Federhut!“

„Mein Herr,“ sagte Thekla, „daß Sie an meinem Schicksale Theil nehmen, ist mir ein schöner Trost, der mich an meiner Rettung nicht verzweifeln läßt. So darf ich im Augenblicke der Gefahr fest auf Ihre Hülfe zählen?“

„So wahr ich hoffe, daß es eine ewige Gerechtigkeit giebt! Noch diesen Abend werden Sie von mir hören. Beugen Sie sich nur heute noch in das Joch der Köchin.“

„Ich eile, um keinen Verdacht zu erwecken.“

Als Thekla die Hausflur betrat, war sie ganz wieder Köchin, Niklas und Netti waren beschäftigt, Herrn Czabo Säbel und Schärpe anzulegen.

„Kathi,“ sagte der Commandant, indem er den großen Federhut auf das Haupt setzte, „ich verlasse auf eine, vielleicht auch auf zwei Stunden das Haus, weil meine Mannschaft auf dem Sammelplatze zusammentritt. Es ist etwas Wichtiges im Werke. Wahre die Küche und besorge das Abendessen. Sobald es völlig dunkel geworden, schließe die Fensterladen und bleibe ruhig in Deiner Kammer. Meine Handschuhe!“

Netti eilte in das Wohnzimmer.

[692] „Meine Dose!“

Niklas ging mit einem Riesenschritte in die Apotheke.

Die Absicht Herrn Czabo’s war erreicht, er befand sich mit Kathi allein.

„Adieu," sagte er freundlich, und indem er ihr die Wange streichelte; „öffne heute das Fenster nicht wieder, die Abendluft ist sehr kalt. Wenn Vetter Lajos kommt, mag er auf mich warten – ich habe mit ihm zu sprechen. Hörst Du, ich habe mit ihm zu sprechen."

„Ich werde Alles pünktlich besorgen, Herr!“ sagte Kathi. Dann entschlüpfte sie in die Küche, um ihre Bewegung zu verbergen.

„Ein reizendes, liebes Mädchen!“ flüsterte der Apotheker vor sich hin. „Sie muß sich prächtig ausnehmen, wenn sie erst seidene Kleider und einen Hut trägt. Ich will –“

„Hier ist die Dose!“ brüllte Niklas, indem er seinen langen Arm ausstreckte, und dem Prinzipal das Verlangte entgegenhielt.

„Hier sind Ihre Handschuhe, lieber Vater!" sagte Netti, die in diesem Augenblicke erschien.

Der Commandant warf noch einen Blick nach der Küche, dann schritt er majestätisch der Hausthür zu.

„Herr Czabo!“ rief Niklas im tiefsten Basse.

„Was giebt es noch?“

„Warten Sie noch einen Augenblick!“

„Warum?“

„Sie haben ja den Säbel auf der rechten Seite!“

„Verwünscht!“ murmelte Herr Czabo.

Mit Hülfe des langen Niklas ward das Versehen ausgeglichen, und der Commandant schritt stolz durch die belebten Straßen.

Niklas stand in der Thür und sah ihm nach.

„Ich wollte, ich hätte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht!“ murmelte er. „Anstatt daß die Leute ihn grüßen, würden sie über ihn lachen!“

Aergerlich ging er in seine Apotheke.



VIII.
Die Flucht.

Die Dämmerung war angebrochen. Thekla war so erschüttert von den Ereignissen dieses verhängnisvollen Tages, daß sie sich einige Augenblicke der Ruhe überlassen mußte; sie setzte sich aus das Bett in ihrer Kammer neben der Küche und ließ das glühende Köpfchen in das weiße Kissen herabsinken.

„Janos, Graf Esthi, dient als Korporal!“ flüsterte sie. „Hätten ihn meine Augen nicht gesehen, ich würde es für ein Spiel meiner aufgeregten Phantasie halten! Welch’ ein Schicksal! Der gräfliche Bräutigam ist ein Korporal, und die gräfliche Braut ist die Köchin eines Apothekers in Semlin. Wahrhaftig, man könnte darüber lachen, wenn die Sache nicht zu ernst wäre, denn es handelt sich um Freiheit, vielleicht auch – um das Leben!“

Thekla hielt beide Hände vor das Gesicht, sie wollte den Thränenstrom ersticken, der aus ihren Augen rann. Ein Knistern, als ob Jemand leise durch die Küche schlich, ließ sich vernehme. Thekla fuhr empor, rasch ihre Thränen trocknend. Dann ergriff sie das Licht und trat unter lautem Herzklopfen in die Küche hinaus. Der Schein des Lichtes fiel auf die weiße Uniform des Korporals.

„Thekla!“ rief mit unterdrückter Stimme der junge Mann.

„Janos!“ schluchzte das Mädchen.

Beide stürzten sich einander in die Arme und feierten durch einen innigen Kuß, in den sich das Salz der Thränen mischte, das schmerzliche, verhängnißvolle Wiedersehen.

Der Graf gewann seine Fassung zuerst wieder, er wußte ja, welche Gefahr seiner geliebten Thekla drohete.

„Still!“ flüsterte er. „Nimm dies Papier, es wird Dir Alles sagen.“

Er drückte dem zitternden Mädchen ein Briefchen in die Hand, dann verließ er eben so leise und vorsichtig das Haus, wie er es betreten hatte.

Die junge Gräfin zog sich in die Kammer zurück. Nachdem sie sich noch einmal überzeugt, daß der Laden des Fensters verschlossen sei, öffnete sie das Papier und las:

„Jede Stunde mehrt die Gefahr. Man weiß, daß Du und mehrere unserer Leidensgefährten sich in der Stadt verborgen halten. Ich habe mit Lajos den Plan zur Flucht berathen, die diesen Abend noch ausgeführt werden muß. Am Ufer der Save, dort, wo im Garten des Apothekers die kleine Baumgruppe steht, liegt ein Kahn zu unserer Aufnahme bereit. Wir fahren in der Finsterniß die Save hinab, um die Donau und das jenseitige Ufer zu gewinnen. Empfängt uns das rettende Ufer nicht, so mag der Strom unser Brautbett werden. Sei vorsichtig und meines Winks gewärtig.“

Noch einmal durchflog sie die Zeilen, welche die Hand des geliebten Mannes geschrieben, dann drückte sie das Blatt an ihre Lippen und flüsterte, den Blick gen Himmel gerichtet:

„Entweder die Freiheit mit Dir, Janos, oder an Deiner Seite den Tod in den Wellen“.

Als ob mit diesem heroischen Entschlusse das Gemüth der unglücklichen Gräfin völlig beruhigt sei, unterzog sie sich ohne Zögern der Hausarbeit, welche die Zeit des Tages mit sich brachte. Sie ging zunächst auf die Straße und schloß die Laden des Erdgeschosses, die von Außen an den Fenstern angebracht waren. Ein ungewöhnlich reges Treiben herrscht in der sonst um diese Zeit so stillen Gasse. Soldaten und Bürger gingen hin und wieder. Vor den Thüren standen Gruppen von Männern und Frauen, die sich lebhaft, ungeachtet des kühlen Herbstabends, unterhielten. Thekla kümmerte es nicht, die Nähe des Geliebten hatte ihr Herz mit Muth und Vertrauen erfüllt, sie ging ruhig in das Haus zurück. In dem Wohnzimmer traf sie Netti

„Kathi,“ sagte das junge Mädchen, „hast Du für unsern Gast das Abendessen besorgt?“

„Nein.“ antwortete die Magd, „ich dachte, es sei noch zu früh.“

„So besorge es; der Vater sagte mir, es sei möglich, daß das Regiment sich versammeln müsse, da diesen Abend oder diese Nacht eine allgemeine Haussuchung vorgenommen werden solle, man vermuthe die Anwesenheit wichtiger politischer Flüchtlinge.“

„Soll geschehen!“ antwortete Kathi und verließ das Zimmer.

Thekla’s Herz begann wieder zu klopfen, so nahe hatte sie die Gefahr nicht geglaubt. Unschlüssig, ob sie in das Gartenhaus gehen und diese Nachricht dem Grafen mittheilen sollte oder nicht, stand sie einen Augenblick auf der Hausflur. Da trat der Advokat Ferenz eilig von der Straße ein.

„Man scheint Sie verrathen zu haben,“ flüsterte er eifrig; „ich komme vom Marktplatze, wo sich das Gerücht verbreitet hat, daß Sie sich in diesem Stadttheile verborgen halten. Um keinen zu beleidigen, sollen sämmtliche Häuser durchsucht werden. Alle Ausgänge der Stadt sind bereits besetzt. Wechseln Sie schnell die Kleidung, da man auf die Frauen ein besonderes Augenmerk richten wird. Meine Garderobe steht zu Ihrer Verfügung. Eilen Sie auf mein Zimmer, ich werde Netti unterhalten. Verlieren Sie keine Zeit, man theilt schon die Patrouillen ab.“

Der Advokat gab der bestürzten Gräfin den Schlüssel zu seinem Zimmer.

„Und dann?“ fragte sie kaum hörbar.

„Bleiben Sie oben, bis ich zu Ihnen komme.“

Ferenz ging in das Zimmer zu Netti. Mit dem Vorsatze, sobald sie die Kleider gewechselt, in das Gartenhaus zu eilen, flog Thekla die Treppen hinan, und betrat das Zimmer des jungen Advokaten. Da ihr die Einrichtung desselben bekannt war, zündete sie ein Licht an, das auf einem Seitentischchen stand. Nach einer Minute hatte sie auch den Schrank, der die Kleider aufbewahrte, geöffnet. Dann verschloß sie die Thür.

Während dieser Zeit erschien der Korporal auf der Hausflur. Vorsichtig schlich er zur Küche. Ein Lämpchen brannte auf dem Herde – die Köchin war nicht zu erblicken. Der junge Mann sah in die Kammer – auch diese war leer.

„Mein Gott,“ flüsterte er, „was bedeutet das? Wir dürfen nicht länger zögern – wo mag sie sein? Kathi,“ rief er leise, „Kathi!“

Alles blieb still.

Janos trat auf die Hausflur zurück und lauschte – Nichts regte sich. Plötzlich hörte er sprechen in dem Wohnzimmer. Ohne sich zu besinnen, klopfte er an die Thür, öffnete und trat ein. Er traf nur den Advokaten und seine Braut an.

„Auch hier nicht!“ dachte er, und seine Besorgniß vermehrte sich.

Ferenz erschrak, als er den mit einem Säbel bewaffneten Korporal erblickte, denn er hatte die Einquartirung des Herrn Czabo noch nicht gesehen.

[693] „Was wollen Sie?“ fragte er, seine Fassung zusammennehmend.

Janos hatte bald einen Vorwand gefunden.

„Verzeihung,“ antwortete er im Tone des Soldaten, „wenn ich störe. Ich suche überall die Köchin und kann sie nirgends finden.“

„Was wollen Sie von unserer Köchin?“ fragte rasch der Advokat, und sein Gesicht verrieth den Eindruck, den die Worte des Soldaten hervorgebracht.

Dem Korporal entging die Bewegung des Fragenden nicht, er sah ihn einen Augenblick prüfend an. Indem er seine Befürchtung unterdrückte, sagte er mit einem erzwungenen Lächeln:

„An wen soll sich anders ein Soldat, der bei einem Bürger im Quartier liegt, wenden, als an die Köchin, wenn er Hunger hat?“

„Ah, Sie liegen hier im Quartier - das wußte ich nicht!“ rief Ferenz, aufathmend.

„Schon vor einiger Zeit,“ sagte Netti, „habe ich ihr Auftrag ertheilt, unserm Gaste das Abendessen zu bereiten, ich begreife nicht, warum es nicht schon geschehen ist?“

„Verzeihung, Netti, ich habe vergessen, daß ich die Magd zu einem meiner Collegen geschickt, um mir ein Actenstück holen zu lassen, das ich diesen Abend zu meiner Arbeit gebrauche.“

„In diesem Falle werde ich selbst die Vorbereitung treffen!“ sagte das junge Mädchen, und verließ das Zimmer.

„Sie sind Korporal in kaiserlichen Diensten?“ fragte Ferenz, der durch ein gleichgültiges Gespräch den Soldaten auszuforschen suchen wollte.

„Wie Sie sehen!“ antwortete der Graf, der wie auf Kohlen stand.

„Ein schöner, aber ein gefährlicher Beruf!“

„Ich leugne es nicht, aber die Gefahr macht ihn zu dem, was er ist. Nur im Kriege lebt der Soldat, im Frieden ist er eine todte Puppe. Jetzt habe ich Ihnen gesagt, was ich bat, darf ich nun auch wissen –?“

„Wer ich bin? Ich bin Advokat und heiße Ferenz.“

Der Soldat schien von dieser Antwort überrascht zu sein, er sah mit großen Augen den Advokaten an.

„Ferenz ist Ihr Name?“ fragte er endlich.

„Ja! Wundert Sie das?“

„Stehen Sie mit Pesth in Correspondenz?“

„Ja.“

„Und, wer ist Ihr Correspondent, wenn ich fragen darf?“

„Der Graf Janos Esthi, dessen Gut, das ich verwaltet habe, eine Stunde von Semlin entfernt liegt.“

„Und Sie verwalten es aus dem Grunde nicht mehr,“ fuhr sardonisch lächelnd der Korporal fort, „weil man es confiscirt hat, um den jungen Grafen für die Dienste zu strafen, die er der Revolution geleistet hat?“

„Ganz recht.“

„Ihr letzter Brief, den Sie ihm nach Komorn sandten, enthielt eine Beileidsbezeigung für den Grafen und die Anforderung, sich nach Semlin zu wenden, im Falle er gezwungen wäre, flüchtig zu werden; den Brief brachte ein Expresser.“

„Mein Gott,“ fragte der erstaunte Advokat, „woher wissen Sie das Alles?“

„Weil der Graf mein Freund war.“

„So können Sie mir auch wohl sagen, warum der Graf meiner Aufforderung nicht nachkam, da er doch meinem Eifer, ihm zu dienen, kannte?“

„Er lernte aus Ihrem Briefe zwar nicht Ihre Person kennen, mein Herr, aber Ihren ehrenwerthen Charakter – und wenn er sich nicht an Sie wendete, als der Kampf zu Ende war, so geschah es deshalb, weil man ihn zwang, die Uniform eines Korporals vom zwanzigsten Infanterieregimente zu tragen.“

„Diese Sprache, dieser Anstand –!“

„Gehört dem Korporal Janos Grafen Esthi!“

„Welch’ ein fürchterliches Geschick führt Sie in unsere Stadt! Herr Graf, die Uebertragung der Verwaltung Ihres bedeutenden Gutes gab meiner Subsistenz den ersten Stützpunkt –“

„Sie wurden mir durch den jetzt verstorbenen Dr. S. als einen zuverlässigen, tüchtigen Sachwalter empfohlen.“

„Ich mußte mich dankbar bezeigen – erinnern Sie sich des Schlußsatzes meines Briefes?“

Der Soldat zog ein Taschenbuch aus der Brusttasche seiner Uniform, und holte einen erbrochenen Brief daraus hervor, den er entfaltete.

„Ja, das ist mein Brief!“ rief freudig der Advokat.

„Sie sprechen darin von einer Eröffnung, die Sie nur mündlich mir zu machen vermöchten,“ sagte der Graf, die Augen auf das Papier geheftet, „ich bin bereit, sie zu hören, doch fassen Sie sich kurz, meine Zeit ist gemessen.“

„Ich habe Ihnen ein Kapital von hunderttausend Gulden gerettet, das zur Empfangnahme bereit liegt.“

„Herr Ferenz,“ rief Janos, „was sagen Sie?“

„Die Wahrheit. Ich ahnte nach der unglücklichen Schlacht den Verlauf der Dinge, und da sich mir eine günstige Gelegenheit bot, veräußerte ich vor der Confiscation des Gutes die Aecker und Wiesen jenseits der Save, so wie alles Mobiliar, was zu demselben gehörte. Der gerichtlich bestätigte Kauf, den ich als unbeschränkter Bevollmächtigter vollzogen, gestattet keinen Widerruf – Herr Graf, nehmen Sie Ihr gerettetes Vermögen in Empfang.“

Schweigend umarmten sich die beiden Männer.

„Freund,“ rief bewegt der Graf, „Sie haben mir einen Dienst erwiesen, der mich unendlich glücklich macht, einen Dienst, den ich Ihnen nie vergelten kann! Als ersten Dank, zolle ich Ihnen mein unbedingtes Vertrauen. Man verfolgt die Gräfin Andrasy, meine Braut.“

„Thekla, Ihre Braut? Herr Graf, noch ist sie geborgen.“

„Wie, Sie kennen ihren Aufenthalt?“

„Noch mehr, in diesem Augenblicke trifft sie die erste Vorbereitung zu ihrer Rettung, darum ist sie abwesend.“

„Ich suchte sie in der Küche.“

„Sie ist auf meinem Zimmer, um meine Kleider anzulegen.“

„Sie unterstützen meinen Plan – am Ufer der Save im Garten liegt ein Kahn –“

Die taktmäßigen Schritte einer Patrouille ließen sich in der Straße vernehmen.

„Großer Gott!“ rief Ferenz. „Gehen Sie an das Ufer, ich folge im Augenblicke mit der Gräfin!“

„Edler Mann, der Himmel lohne Ihnen!“

Der Soldat verließ eilig das Zimmer und stürzte in den Garten hinaus. Als Ferenz auf die Hausflur trat, hörte er, daß die Patrouille im Nachbarhause Nachsuchung hielt. Wie ein Pfeil flog er die Treppe hinan und klopfte leise an die Thür seines Zimmers.

„Ich bist es, Ferenz!“ flüsterte er dabei.

Die Thür ward von Innen geöffnet, und die Gräfin, als Mann gekleidet, erschien an der Schwelle. Das schöne Haar hatte sie unter einer Mütze verborgen, welche Ferenz auf seinen Reisen zu tragen pflegte. Vorsichtig schloß er die Thür wieder. Thekla stand in der Mitte des Zimmers.

„Nehmen Sie meinen Mantel,“ flüsterte er, „er hängt im Nebenzimmer dort, Sie werden seiner bedürfen.“

Die Gräfin eilte in das bezeichnete Zimmer, die Hast des Abvokaten ließ sie die größte Gefahr ahnen, Ferenz erschloß rasch einen Secretär, und holte einen großen, schweren Geldbeutel daraus hervor.

„Wo ist der Korporal, der das Gartenhaus bewohnt?“ fragte die zurückkehrende Gräfin.

„Er erwartet Sie am Ufer der Save.“

„Sie haben ihn gesprochen, und wissen, wer er ist?“

„Er ist der Besitzer dieser Summe, die ich ihm gerettet habe. Fort, fort, man sucht schon im Nachbarhause!“

Der Advokat löschte das Licht aus, dann ergriff er den Arm der Gräfin und zog sie mit sich fort. Vorsichtig verschloß er das Zimmer wieder, da er die Kleider der Köchin darin wußte. Auf der Hausflur trat ihnen Netti entgegen. Erschreckt blickte sie den jungen Mann im Mantel an.

„Netti,“ flüsterte Ferenz flüchtig, „in zehn Minuten bin ich bei Ihnen, um Ihnen Alles zu erklären, gehen Sie in das Wohnzimmer, es ist möglich, daß Sie Besuch erhalten.“

Das junge Mädchen starrte den beiden Personen nach, die hastig aus dem Hause in den Garten eilten. Am Ufer trafen sie den Soldaten und den Fischer.

„Herr Graf“ sagte leise der Advokat, „hier ist Ihre Braut, und hier der Rest Ihres Vermögens, so viel ich davon in Golde vorräthig habe. Die Hälfte davon besitze ich in Papieren, die in der Türkei ohne Werth sind; ich werde sie jedoch in klingende [694] Münze umzusetzen suchen, damit sie stets zu Ihrer Verfügung stehen.“

„Ich leiste Verzicht auf die Papiere, sie mögen der Lohn meines großmüthigen Advokaten sein!“

„Herr Graf!“

„Leben Sie wohl, vielleicht sehen wir uns wieder!“

Hastig umarmte der Graf den jungen Mann. Dann half er der Gräfin in das Boot, in welchem Lajos schon wartete. Zuletzt sprang er selbst hinein. Das Wasser rauschte und der Kahn verschwand in dem Nebel, der wie ein graues, undurchsichtiges Tuch auf dem Flusse ruhete. Noch einige Augenblicke hörte man die Ruderschläge, dann war Alles still.“

Als ob er die Flucht des unglücklichen Paares segnen wollte, streckte Ferenz seine Arme ihm nach. Leichten Herzens kehrte er in die Wohnung des Apothekers zurück. Kaum hatte er die Hausflur betreten, als heftig an der Klingel gezogen ward. Der lange Niklas öffnete. Eine Patrouille von demselben Regimente, dem der entflohene Graf angehörte, stand an der Schwelle. Die Gewehrläufe blinkten in dem Lichte der Laterne, die an der Apotheke befestigt war.

„Wem gehört dieses Haus?“ fragte der Offizier.

„Dem Commandanten der Schutzwehr, Herrn Czabo. Der Besitzer ist für den Augenblick im Dienste,“ antwortete Ferenz.

„Der Commandant der Schutzwehr ist nicht verdächtig! Fort!“

Die Patrouille ging weiter. Niklas schloß die Thür.

Fünf Minuten später saß der Advokat in dem freundlichen Zimmer und erzählte der staunenden Netti die Flucht der Gräfin Thekla Andrasy.

Es war zehn Uhr, als Herr Czabo die Glocke zog und Niklas ihm öffnete. Sein erster Weg war der nach der Küche. Sie war finster und still. Unmuthig trat er in das Wohnzimmer.

„Die Kathi soll mir ein Glas Wasser bringen!“ befahl er, um das hübsche Kind nur zu sehen.

Netti ging, und kam mit dem Verlangten zurück.

„Warum bringt Kathi nicht – ?“

„Vater,“ unterbrach ihn Netti, „wir haben eine fürchterliche Entdeckung gemacht! Die Gräfin Andrasy hatte sich in unserm Hause versteckt.“

„Himmel, welche Frechheit!“ rief erstaunt der Apotheker.

„Doch beruhigen Sie sich, lieber Vater,“ fügte der Advokat hinzu, „sie ist schon seit einer Stunde nicht mehr unter Ihrem Dache. Niemand wird glauben, daß eine Gräfin als Köchin in Ihren Diensten gestanden hat.“

Der Commandant fuhr so heftig zurück, daß der große Federhut, den er noch auf dem Kopfe hatte, in den Nacken zurücksank. Nachdem er einen Augenblick sprachlos dagestanden, stammelte er. „Wie, Kathi wäre – ?“

„Die Gräfin Andrasy,“ antworteten lächelnd Ferenz und Netti.

Herr Czabo sank vernichtet auf einen Stuhl. Sein Federhut fiel polternd zu Boden.

„Mein Gott, Vater, was ist Ihnen?“ fragte die besorgte Tochter, denn Herrn Czabo’s Augen schienen sich zu verdrehen.

Der angeführte Wittwer war zwar sehr erschreckt, aber er blieb seiner so viel Herr, daß er die Nothwendigkeit einsah, um sich nicht grenzenlos zu blamiren, einen andern Grund seiner Bestürzung anzugeben.

„Himmel,“ rief er plötzlich aus, „wenn das bekannt wird, bin ich verloren, entehrt, man wird mich meines Postens als Commandant entsetzen! O, diese Schlange! Nicht genug, daß sie im Lande Zwist und Hader anfacht, sie schleicht sich auch in die Häuser friedlicher Bürger, um Unglück anzurichten. Und wie täuschend konnte sie die Köchin spielen! Na, Lajos, Du kommst mir wieder über die Schwelle!“ rief er, die Fäuste ballend.

„Vater,“ sagte Ferenz tröstend, „wenn Sie selbst über diesen sonderbaren Vorfall schweigen können, wird Niemand etwas davon erfahren, denn außer mir und Netti weiß keine Seele darum.“

„Wohin hat sie sich gewendet?“

„Lajos hat sie in seinem Kahne abgeholt. Wenn ihr kein Unglück begegnet, schwebt sie jetzt auf den Wellen der Donau, um das türkische Ufer zu erreichen.“

„Kinder!“ rief Herr Czabo nach einer Pause, „versprecht Ihr mir zu schweigen wie das Grab?“

„Wir versprechen es!“ sagten feierlich die jungen Leute.

„Gut, dann mag die Gräfin mit den vierzig Gulden, die ich ihr voraus bezahlt habe, in der Türkei ihr Glück versuchen – meine Reputation ist mir mehr werth, als diese elende Summe! Gute Nacht!“

Er verließ hastig das Zimmer und eilte nach der Schreibstube neben der Apotheke, wo Niklas in einem Buche las. Herr Czabo hatte stets seinen Zorn an dem langen Menschen ausgelassen, und auch heute suchte er ihn auf, um seine Brust zu erleichtern.

„Niklas!“

„Herr Czabo?“ fragte der Gehülfe, der diesen Ton schon kannte.

„Ich habe vorhin die Kathi fortgejagt.“

„Wie, Herr –?“ Weiter konnte der Gehülfe nicht sprechen, sein breiter Mund blieb vor Erstaunen offen stehen.

„Hast Du mich verstanden?“ rief der Apotheker.

„Ja, Herr Czabo!“

Eine Pause trat ein. Herr Czabo ging auf und ab, der Gehülfe sah ihm nach.

„Niklas!“ rief plötzlich wieder der Commandant.

„Herr Czabo?“

„Du bist ein Esel!“

„Warum?“

„Warum fragst Du nicht nach dem Grunde, der mich veranlaßt hat, die Kathi wegzujagen? Du fragst nicht? Gut, so werde ich ihn Dir so sagen: die Aerzte haben sich über Deine Dummheiten beklagt, fast alle Recepte sind schlecht gemacht, die nicht durch meine Hände gegangen. Das kommt davon, wenn man verliebt ist. Die Kathi mit ihrem glatten Gesichte hat Dir den Kopf verdreht. Um fernern Dummheiten, vielleicht Vergiftungen, vorzubeugen, habe ich sie weggejagt. Und nun nehme ich mir wieder eine Alte in das Haus. Zugleich merke Dir: für diesmal sollst Du mit dem Verweise davon kommen, bei der zweiten Liebschaft mit einer Köchin jage ich Dich davon. Gehe zu Bett!“

„Ja, Herr Czabo!“

Eine Stunde später hatten sich Alle in die Schlafzimmer zurückgezogen. Netti träumte von ihrer nahen Hochzeit – Ferenz sandte noch ein Gebet für die Rettung der Flüchtlinge zum Himmel empor, dann entschlief er – und der Apotheker lag wachend in seinem Bette, er hatte mit einer schwermüthigen Freude den Schluß aus der ganzen Sache gezogen, daß der Verlauf der Dinge für die Ruhe seines Wittwerherzens gut sei. Ein Mann, dachte er, der jeden Tag Bürgermeister von Semlin zu werden hofft, kann doch seine Köchin nicht heirathen, und ich hätte sie geheirathet, wenn sie die schöne Kathi geblieben wäre. Der Wille des Himmels sei gepriesen!“

Der lange Niklas zerbrach sich fast den Kopf, um den eigentlichen Grund dieses plötzlichen Ereignisses zu errathen, er schlief darüber ein.

Als nach Mitternacht der Mond hinter einer schwarzen Wolke hervortrat und die romantischen Gestade der Donau beleuchtete, knieten drei Gestalten am Ufer des rauschenden Flusses und verrichteten ein Gebet.

Es waren Janos, Thekla und der treue Fischer Lajos, sie hatten nach einer dreistündigen gefahrvollen Fahrt das rettende Ufer erreicht.