Stinktopf (Waffe)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Stinktopf (frz. cruche á feu, Figur 6) und Abschussvorrichtung (Balliste, Figur 5), Illustration aus Jean-Charles Perrinet d’Orvals Essay sur les feux d’artifice pour le spectacle et pour la guerre von 1745
Kriegskutter mit Stinktopf am Bugspriet (frz. hier: pot á feu (A), Illustration aus Ozannes Marine Militaire von 1762. Der Stinktopf wurde vom Bugspriet auf kleinere Schiffe einfach fallen gelassen

Stinktopf (auch Stinkpott, Stinkkugel oder Sturmtopf) bezeichnet eine Waffe der Artillerie, die in der frühen Neuzeit bei Belagerungen und Seegefechten[1] weit verbreitet war, bis fortschrittlichere Waffen erfunden wurden.

Es gab mehrere Varianten des Stinktopfes, die eine unterschiedliche Zielsetzung hatten.

Die ursprüngliche Variante des Stinktopfes bestand aus einem meist aus Ton geformten und somit leicht zerbrechlichen Feuertopf, der in Pech getaucht wurde und mit einem oder mehreren Zündern versehen war. Der Topf selber konnte mit leicht entflammbarem Material sowie sehr erheblich riechenden Stoffen gefüllt sein (Schwefel, Schwarzpulver, Pech, Talg, Fäkalien, Asa Foetida, diverse Fäulnisprodukte[2], Arsenmethyl und das sich an der Luft selbst entzündende Kakodyl[3] usw.) und wurde nach dem Aktivieren der einzelnen Zünder in Richtung des feindlichen Schiffsdecks geschleudert, geschossen, geworfen, katapultiert oder von den Rahen aus fallen gelassen.[2][4][5] Taktisch effektiv war der Einsatz von Stinktöpfen, die Hornspäne oder Haare von Ziegen verbrannten: Der Gestank verbrennenden Horns löst bei Pferden einen Fluchtinstinkt aus, der in den gegnerischen Reihen für Unruhe und Unordnung sorgte.[6]

Beim Aufprall auf dem Deck oder auf einem anderen Gegenstand zerbrach das Tongefäß und setzte die unmittelbare Umgebung in Brand – zeitgleich sonderte die nun brennende Füllung einen äußerst unangenehmen Geruch ab, der für den menschlichen Geruchssinn nur schwer zu ertragen oder teilweise sogar giftig war. Zielsetzung dieser Variante war es somit also, neben der Brandwirkung den Feind von Deck zu vertreiben und zu demoralisieren. Bei einem anschließenden Entergefecht war die eigene Schiffsbesatzung dann allerdings ebenfalls dem Gestank ausgesetzt, was durch entsprechende Schutzmaßnahmen aber abgemildert werden konnte.[7]

Explosion durch Granaten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine weitere Variante des Stinktopfes bestand ebenfalls aus dem Tongefäß, dessen Füllung dann allerdings mit Granaten und Schwarzpulver sowie mehreren außerhalb des Gefäßes verlegten Lunten (Anzündschnüren) kombiniert wurde. Diese Variante wurde dann auch als Sturmtopf bezeichnet. Das Gefäß zerbarst beim Aufprall und die angebrachten Lunten entzündeten das Pulver. Das Pulverfeuer wiederum entzündete die eingelegten Granaten, die in alle Richtungen zersplitterten. Beim Nahkampf oder im Entergefecht konnten diese Töpfe, die in die Rahen oder an das äußere Ende des Bugsprietes gehängt wurden, auf dem feindlichen Schiff ein großes Durcheinander hervorrufen und viele Matrosen und Seesoldaten außer Gefecht setzen.[5]

Der Autor Karl May bezog sich in seiner in China stattfindenden Geschichte Kong-Kheou, das Ehrenwort, die später unter dem Buchtitel Der blaurote Methusalem herausgebracht wurde, auf chinesische Stinktöpfe und legte dort deren Wirkung im Rahmen eines Entergefechtes dar.[8]

  • Alfred Geibig: Sturmgefäße / Lime and Fire Pots. In: Die Macht des Feuers – ernstes Feuerwerk des 15.–17. Jahrhunderts im Spiegel seiner sächlichen Überlieferung. Kunstsammlungen der Veste Coburg, Coburg 2012, ISBN 978-3-87472-089-2, S. 31–46.
  • Jean-Charles Perrinet d’Orval: Essay sur les feux d’artifice pour le spectacle et pour la guerre. Paris 1745.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. die überwiegende Literatur stellt stets einen Bezug zu Seegefechten her. Allerdings ist der Einsatz von Stinktöpfen beispielhaft auch im Rahmen der Belagerung von Groningen im Jahr 1672 erwähnt – siehe Autobiografie von Karl Freiherr Rabenhaupt von Suche (bzw. Sucha) (Bernhard von PotenRabenhaupt von Suche, Karl Freiherr. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 27, Duncker & Humblot, Leipzig 1888, S. 85–87.). Die überwiegende Literatur setzt den Stinktopf in einen Bezug zur „Artilleriekunst“, wieder andere setzt Bezüge zur „Feuerwerkskunst“ - beide beziehen sich aber eindeutig auf eine Feindbekämpfung
  2. a b Stinktopf. In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Band 16: Sicilien–Stückgesell. Altenburg 1863, S. 838 (zeno.org).
  3. Duft- und Riechstoffe. In: Meyers Konversationslexikon. 4. Auflage (1885–1892). 17. Ergänzungsband. Leipzig/Wien, S. 258. fanden diese Stoffe in chinesischen Stinktöpfen Anwendung
  4. Stinktopf → Stinkpott. In: Johann Georg Krünitz (Hrsg.): Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt, Haus- und Landwirtschaft. (1773–1858).
  5. a b Nicolas-Marie Ozanne: Marine militaire ou, Recueil des différents vaisseaux qui servent à la guerre, suivis des manœuvres qui ont le plus de rapport au combat, ainsi quà l’attaque et à la défense des ports. Paris 1762 (Nachdruck im Militärverlag der DDR unter dem Titel „Die Kriegsflotte“, Berlin 1989).
  6. Alfred Geibig: Sturmgefäße / Lime and Fire Pots. In: Die Macht des Feuers – ernstes Feuerwerk des 15.–17. Jahrhunderts im Spiegel seiner sächlichen Überlieferung. Kunstsammlungen der Veste Coburg, Coburg 2012, ISBN 978-3-87472-089-2, S. 31–46.
  7. durch die Ausstattung der eigenen Mannschaft mit in Essig oder wohlriechenden Ölen getränkten Tüchern, die vor das Gesicht gehängt wurden, konnte die Geruchsbelästigung etwas abmildert werden
  8. in Karl May: Kong-Kheou, das Ehrenwort. Erstes Kapitel: „Tsching tsching tschin!“