ADB:Neigebaur, Ferdinand
Lützow’schen Freicorps, wurde bei Lauenburg gefangen und, nachdem Davoust vergebens versucht hatte, ihm Angaben über die Stellung der deutschen Truppen in jenen Gegenden abzuzwingen, nach Limoges in die Kriegsgefangenschaft gebracht. Hier widmete er sich mit der Beweglichkeit und Ausdauer des Geistes, die von nun an immer mehr ein auszeichnendes Merkmal seines Lebens wurde, dem Studium der französischen Sprache, des Volkes und der Landeseinrichtungen, welche er dann sehr bald in seinen beiden ersten Druckschriften verwerthete. Die freien Stunden hatte er zu Studien an der Faculté zu Limoges verwerthet und noch vor der Auswechselung sein Baccalaureatsexamen abgelegt. Nur durch einen glücklichen Zufall entging N. der Gefahr, nach der Aufdeckung eines von ihm geplanten Ausbruchsversuches der Tausende im Limousin detinirten Gefangenen, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Dieser Episode entsprangen Neigebaur’s erste Bücher, „Briefe eines preußischen Offiziers während seiner Kriegsgefangenschaft in Frankreich“ (2 Bde., 1816/18) und „Schilderung der Provinz Limousin und deren Bewohner. Aus dem Tagebuch eines preußischen Offiziers in französischer Kriegsgefangenschaft“ (1817). Sie zeigen beide den schriftstellerischen Charakter Neigebaur’s bereits so entwickelt, wie er dann später in zahlreichen ähnlichen Werken sich ausprägte. Das zweite ist das bedeutendere. Es werden hier keine persönlichen Erlebnisse erzählt, sondern Schilderungen der Natur, der Bodenschätze, der Bevölkerung und deren Geschichte und Statistik geboten. Das Buch enthält eine ziemlich vollständige Landes- und Volkskunde des Limousin. Zehn Seiten Tabellen zur Gewerbestatistik der Provinz, Abdrücke amtlicher Schriftstücke, ein Lectionskatalog der Universität von Limoges, Wörterverzeichnisse des Volksdialektes werden dem Leser nicht erspart. Aus eigener Erfahrung die Lage der in Frankreich gefangen gehaltenen Soldaten kennend, verfaßte er 1814 eine Denkschrift über die Nothwendigkeit der baldigen und vollständigen Rückführung derselben nach ihrer Heimath. 1815 wurde N. Präfect von Luxemburg und bekleidete, bis er 1826 wieder nach Breslau versetzt ward, verschiedene Richterstellen in den neuen Provinzen. Diese Thätigkeit veranlaßte [405] die Herausgabe mehrerer Flugschriften über Justizreform in der Rheinprovinz, die verheißene Volksvertretung und einer ganzen Reihe von Werken rechtsgeschichtlichen, praktisch-juristischen und cameralistischen Inhalts, u. a. einer „Statistik der preußischen Rheinprovinzen“. 1832 wurde N. als Director des Landesgerichts nach Fraustadt, 1835 als Director des Criminalsenats nach Bromberg versetzt. Im gleichen Jahre fungirte er als Commissar bei der Grenzregulirung zwischen Preußen und Polen. 1842 wollte er sich zur Ruhe setzen, nahm aber noch einmal eine amtliche Stellung als unbesoldeter Generalconsul für die Donaufürstenthümer an, die er 2½ Jahre bekleidete. In die Zeit seines zweiten schlesischen Aufenthaltes fallen mehrere anonyme Schriften zur Zeitgeschichte, u. a. eine „Geschichte der geheimen Verbindungen der neueren Zeit“ (1831/34), dann eine Reihe von belletristischen Arbeiten, deren Kern die Verspottung des Junkerthums, besonders des Fürsten Pückler: „Ansichten aus der Cavalierperspective“ (1835); „Memoiren eines Verstorbenen“ (1835); „Tuttolasso’s Wanderungen“ (1839) u. a. Noch 1850 entfloß derselben Gesinnung die Flugschrift „Preußen durch seine Aristokratie Deutschlands größter Feind“. An der Erörterung der römischen Frage betheiligte er sich gleichfalls mit mehreren Arbeiten, so besonders mit „Der Papst und sein Reich“ (2 Bde., 1847). Für das neue Italien war N. mit großer Energie publicistisch thätig und war in den nationalen Kreisen der Halbinsel eine bekannte Figur. Bis zur Herausgabe von Termin-, Schreib- und Hauskalendern für den Bürger und Landmann stieg Neigebaur’s fast fieberhafte publicistische Thätigkeit herab, die außer zahlreichen Aufsätzen in Tagesschriften mehr als 100 Bände zwischen 1816 und 1866 zu Tage förderte. In den letzten 20 Jahren seines Lebens, die er meist auf Reisen zubrachte, wandte er sich der Herstellung von Reisehandbüchern „Handbuch für Reisende in Italien“, 1826, und „Frankreich“ 1832) und der Compilation historisch-geographischer Werke über Sardinien, Sicilien, Südrußland, Dalmatien zu. Das Buch über Sardinien lehnt sich gerade in den wichtigsten Capiteln ganz an Della Marmora’s großes Werk und einige minder bedeutende Autoritäten an, und man hat fast den Eindruck, daß es ebensogut auf der Bibliothek einer kleinen deutschen Universität hätte geschrieben werden können. Derselben Gattung gehören dann auch seine „Beschreibung der Moldau und Walachei“ (1848), „Dacien“ (1851), „Die Südslawen“ (1851) an. – Neigebaur’s litterarische Wirksamkeit ruhte auf einer vorzüglichen publicistischen Anlage. Beweglichkeit, Fleiß, Beobachtungsgabe ließen ihn auf den verschiedensten Gebieten eine erstaunliche Productivität erreichen, dabei fehlt es seiner geistigen Physiognomie keineswegs an Eigenthümlichkeit; vor allem bildeten in den früheren Arbeiten frische Auffassung, unabhängiges, kühn ausgesprochenes Urtheil, Fülle der historischen oder geographischen Parallelen, endlich praktischer Blick hervorstechende Züge. Später trat aber die Reproductivität an die Stelle selbständiger Fruchtbarkeit und von den meisten Werken der letzten zwei Jahrzehnte Neigebaur’s gilt, was Johannes Minckwitz in der Vorrede zu der von ihm im Auftrage Neigebaur’s herausgegebenen „Insel Sardinien“ (1853) ausspricht, daß es „mehr seine Absicht, die reiche Litteratur der Italiener und der Sarden selbst über dies noch sehr unbekannte Land zu benutzen als seine eigene Ansicht mitzutheilen.“
Neigebaur: Johann Daniel Ferdinand N., Reise- und Tagesschriftsteller, geb. am 24. Juni 1783 zu Dittmannsdorf in Schlesien, † am 22. März 1866 zu Breslau. Im Vaterhause, einem Pfarrhofe, empfing N. seinen ersten Unterricht, besuchte dann das Gymnasium zu Schweidnitz und die Universität Königsberg, wo er nach Vollendung seiner theologischen Studien zur Jurisprudenz überging und 1807 als Auscultator, 1810 als Referendar in Schweidnitz, 1812 als Assessor in Marienwerder angestellt ward. 1813 betheiligte er sich in hervorragender Weise an der Bildung des- Unsere Zeit, 1866.